

"Es ging um Spaß und darum, etwas Neues zu machen"
Gerhard Stöger in FALTER 48/2021 vom 03.12.2021 (S. 35)
Zwei ganz unterschiedlich angelegte neue Bücher beleuchten die prägende Rolle von Frauen in der Punk-und New-Wave-Kultur
Schon seltsam: Als Punk in den 1970ern sein schmutziges Haupt erhob, war er als stachelig-spröde Dilettanten-Kultur reines Minderheitenprogramm. Doch der Schund von gestern ist vielfach das Sammlergold und Kunstobjekt von heute: In Kleinauflagen veröffentlichte Tonträger werden teuer gehandelt, und nicht selten landet im Museum, was einst subkulturell aus der Hüfte geschossen kam.
Nun wird die Berliner New-Wave-Band Malaria! gewürdigt, die in ihrer formalen Strenge, ihrer unterkühlten Emotionalität sowie ihrem Flirt mit bildender Kunst und Performance stilprägend war. Genauer gesagt geht es um drei personell verbandelte Bands; Mania D., kurzlebig und noch experimenteller, aus denen Malaria! hervorgehen sollten, um schließlich die poppigeren Matador hervorzubringen.
Das äußerst ansprechend aufgemachte Buch "M_Dokumente" führt zurück in die grau-morbide Mauerstadt um 1980 und verbindet kompakte Texte mit vielen Abbildungen: tollen Fotos vor allem, dazu Konzertplakate, Flyer und allerlei historische Dokumente. Beate Bartel, Gudrun Gut und Bettina Köster -sie bildeten Mania D. - fungieren als Herausgeberinnen; Popkultur-Professor Diedrich Diederichsen steuert eine persönliche Würdigung bei; einstige Weggefährten wie der Musiker Nick Cave schicken herzliche Grüße.
In Gesprächen, zur Oral History verdichtet von Anett Scheffel, reisen die Musikerinnen in die Vergangenheit. Sie erzählen keine klassischen Bandbiografien, eher geht es um Stimmungen, Atmosphären und den Geist dieser Zeit. "Sachen machen, statt sie hunderttausendfach durchzukauen und nicht umzusetzen", beschreibt Gudrun Gut ihren damaligen Ansatz. "Jeder hatte Instrumente und Ideen. Also haben wir einfach angefangen." Dass die drei "M"-Bands ausschließlich von Frauen geprägt wurden, ist kein Zufall: Punk setzte die alte Geschlechterordnung zwar nicht außer Kraft, erstmals in der Rockgeschichte waren Frauen auf der Bühne aber mehr als nur die große Ausnahme von der männerdominierten Regel.
Sie traten zusehends ins Rampenlicht und schufen in ihrem selbstbestimmten Auftreten auch neuartige Bilder von Weiblichkeit; androgyn, rebellisch und laut. So auch Malaria! "Es ging um Spaß und darum, etwas Neues zu machen", heißt es an einer Stelle des Buches; gleichzeitig ist allerdings von der damaligen Unmöglichkeit die Rede, als eigensinnige Frauenband in der machoiden Musikindustrie kommerziell zu reüssieren.
Malaria! tauchen auch in Vivien Goldmans Buch "Die Rache der She-Punks" auf, das sich - ganz ohne Illustrationen - um eine feministische Geschichtsschreibung unter besonderer Berücksichtigung von Punk bemüht. Die britische Autorin (Jg. 1954) war einst Popkritikerin, dann selbst (New-Wave-)Musikerin, später Filmemacherin; heute lehrt sie in New York Punk an der Uni.
Statt einer linearen historischen Abhandlung liefert sie vier große, um Überthemen wie "Protest" oder "Girl Identity" gruppierte Kapitel, jeweils geschrieben anhand selbsterstellter Grrrl-Mixtapes. Auf Basis jahrzehntelanger Beschäftigung mit rebellischen Frauen im Pop und Dutzenden Interviews springt Goldman assoziativ durch Szenen und Jahrzehnte, wobei ihr Blick weit über Westeuropa und die USA hinausreicht.
Dass bisweilen zu wenig Platz für Vertiefung bleibt, Genauigkeit im Umgang mit Jahreszahlen nicht ihre größte Stärke ist und die eigene künstlerische Arbeit letztlich zu oft Erwähnung findet, stört bei diesem anregenden Buch weniger; die umständliche, bisweilen wortwörtlich am Original klebende und im schlechtesten Fall fast schon sinnentstellende Übersetzung macht die Lektüre aber zur Herausforderung.
Schade drum. Am inhaltlich spannenden Zugang ändert das freilich nichts.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: