
Mit Tolstoi auf Magical Mystery Tour
Klaus Nüchtern in FALTER 51/2025 vom 17.12.2025 (S. 33)
Im Buddhismus unterscheidet man zwischen den Strömungen des "kleinen Fahrzeugs" (Hinayana) und des "großen Fahrzeugs"(Mahayana). Sollte Jakob Martin Strid Buddhist sein, dann ist er ganz klar von der Mahayana-Fraktion, denn für große Fahrzeuge hat der Mann ein unübersehbares Faible.
Mit Sicherheit ist Strid Däne, 53 Jahre alt und als Karikaturist für die Zeitung Politiken tätig. Im deutschen Sprachraum wurde er mit seinem 2012 erschienenen Kinderbuch "Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne" bekannt, das fünf Jahr später auch für die Leinwand adaptiert wurde. Es handelt davon, wie Kater Mika und Elefant Sebastian eine Flaschenpost mit einem Samen finden, aus dem eben besagte Riesenbirne erwächst. Sie wird ausgehöhlt, fällt ins Meer und wird zum Schiff, auf dem Mika, Sebastian und Professor Glykose eine abenteuerliche Reise unternehmen.
Großes Fahrzeug, ganz genau. Ein solches steht auch im Mittelpunkt von Strids jüngstem Opus "Den fantastike Bus". 2023 im dänischen Original erschienen, ist es nun von Sigrid C. Engeler, die unter anderem die Bücher des dänischen Krimiautors Jussi Adler-Olsen übersetzt hat, ins Deutsche übertragen worden. Apropos tragen: Man hat ganz schön zu schleppen an dem Teil, das 38,5 mal 30,2 Zentimeter groß und zweieinhalb Kilo schwer ist. Fürs Durchblättern im Zug oder in der Straßenbahn ist "Der fantastische Bus" also denkbar wenig geeignet, und im Bus wird einem ohnedies schlecht beim Lesen. Die Reise aber, zu der die Tiere im genannten Gefährt aufbrechen, führt von Ahnstore City in das 100.000 Kilometer entfernte Balanka, und zwar über die Brücke zum Nordpol, die ihrerseits in stratosphärische Höhen reicht.
Dermaßen extreme Routen und Distanzen lassen sich natürlich nur mit einem entsprechend hochgerüsteten Fahrzeug bewältigen. Der wirklich fantastische Bus, der hier unter Aufsicht des alten Luftwaffe-Piloten Lucas und des Botanikers Tolstoi, eines latzbehosten Löwen, zusammengeschraubt wird, ist entsprechend mit einem 18-Zylinder-Turbo-Diesel sowie zwei V10-Benzinmotoren ausgestattet, die noch einmal zusätzliche 11.300 PS bringen.
Diese gut dosierte, augenzwinkernde Techno-Fantasy hat nichts zu tun mit den transhumanistischen Hirngespinsten des Silicon Valley. Im Finale, das die Herzen aller Prog-Rocker höherschlagen lässt, wird ein gigantischer Synthesizer angeworfen, und Tolstoi kann sich endlich wieder einmal einen Joint reinziehen - viel hippiesker geht's kaum.
Als "grandios bekiffte Zumutung für Kinder bis zu 99 Jahren" bezeichnete Die Zeit dieses Cinemascope-Epos, das anmutet, als hätten Anime-Altmeister Hayao Miyazaki und "Oppenheimer"-Regisseur Christopher Nolan gemeinsame Sache gemacht. In der Kunstgeschichte oder Strids ureigenem Genre ließen sich die Wimmelbilder Pieter Bruegels des Älteren oder die Kinderbücher von Richard Scarry (1919-1994) als Vorbilder ausmachen.
Allerdings ist "Der fantastische Bus" auch abseits von kiffenden Löwen und Hunden mit Alkoholproblemen ein ziemlich erwachsenes "Kinderbuch": Ein Atomkrieg hat die Erdachse verrückt, die Umweltschäden sind nicht zu übersehen, und die in illegalen Behausungen lebenden Bewohner von Ahnstore werden gleich zu Beginn delogiert.
Die Protagonisten, die sich aufmachen, um die sagenumwobene Safran-Lilie zu finden, die den todkranken Timo heilen soll, sind dennoch voller Zuversicht. Und man verrät wohl nicht zu viel, wenn man hinzufügt, dass die Geschichte gut ausgeht. Auch wenn der Rezensent am Ende Tränen in den Augen hatte.


