

Was, wenn der Wald vor Gericht zieht?
Gerlinde Pölsler in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 32)
Männer mit Waffen gegen Menschen in Gummistiefeln: Elisabeth Weydt ist Anfang 20, als sie im subtropischen Regenwald Ecuadors in einen Konflikt um eine Kupfermine gerät. Die Bewaffneten sind mit Pick-ups gekommen, um die Straßensperre zu durchbrechen, die die Einheimischen zum Schutz ihres Landes aufgebaut haben. Weydt ist mit einem Freiwilligendienst im Land. Sie ahnt: „Irgendetwas hat das auch mit mir zu tun. Mit mir und Europa und der Welt.“ Es ist der Anfang einer langen Reise für die spätere Journalistin „und der Grund, warum Sie nun dieses Buch in der Hand halten“.
Seither verfolgt Weydt die Kupferkonflikte im ecuadorianischen Intag-Tal. Der Nebelregenwald in den Anden zählt zu den Biodiversitätshotspots der Erde, doch unter dem grünen Paradies liegen große Mengen Kupfer.
Das Besondere an Ecuador: Als einziges Land der Erde hat es 2008 die Natur zur eigenständigen Rechtsperson erklärt. Inzwischen fordern rund 400 Initiativen Ähnliches. In Neuseeland, Indien und Kolumbien gelten bereits einzelne Flüsse als Rechtspersonen. In Spanien hat die Salzwasserlagune Mar Menor als erstes Ökosystem diesen juristischen Status erhalten. Weydt will nun wissen: Kann dieser Ansatz uns im Kampf gegen Klimakrise und Massenaussterben helfen?
Die heute 40-Jährige arbeitet als freie Journalistin unter anderem für die ARD. Sie war auch im Team des ICIJ, des Internationalen Konsortiums für investigativen Journalismus, bekannt durch die Panama-Papers. Dort recherchierte sie zu Vertreibungen durch von der Weltbank finanzierte Projekte. Im Mittelpunkt des Buchs steht das Dilemma um die „Grüne Wende“, die fossile Brennstoffe überflüssig machen soll, aber Unmengen an Rohstoffen verschlingt, vor allem Kupfer (mehr dazu lesen Sie auf den Seiten 30/31). Wir brauchen Kupfer „für Windräder, Solarzellen, E-Autos und Stromtrassen, denn fast überall, wo Strom fließt, ist Kupfer verbaut“. Aktuell verbraucht die Welt rund 25 Millionen Tonnen Kupfer pro Jahr, „die Weltbank geht davon aus, dass wir bis 2050 noch einmal dieselbe Menge an Kupfer benötigen werden, die wir in den letzten 5000 Jahren Menschheitsgeschichte bereits gefördert haben.“ Und das geht derzeit oft einher mit massiver Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen.
Was bewirkt nun das Festschreiben der Natur in der ecuadorianischen Verfassung? Bienen, Flüsse und Ökosysteme sind demnach nicht nur schützenswert, weil sie dem Menschen dienen, sondern einfach so. Vertreten durch menschliche Anwälte, können sie auch vor Gericht ziehen. Im Fall des Intag-Tals tat das der langnasige Harlekin-Frosch. All das hat international Aufsehen erregt und ist Thema von Doktorarbeiten und Jus-Seminaren, hat aber freilich nicht gleich alles geändert. Der Staat selbst verletze zusammen mit dem größten Kupferkonzern der Welt die Rechte der Natur, sagen Aktivisten und klagen ihre Regierung an. Rund 60 Prozesse im Namen der Natur fanden bisher statt, mehr als die Hälfte sei für diese entschieden worden.
Die Autorin hat ein enormes Fachwissen angesammelt: Sie analysiert europäische Lieferkettengesetze und das deutsche Umweltrecht. Wir reisen mit ihr in den Intag, wo bäuerliche Aktivisten sich von Anwälten für ihre Auftritte vor Gericht aufmunitionieren lassen. Erfahren von Konflikten um Kobalt im Kongo und von den Überlegungen deutscher Autobauer. Das wirkt alles sehr lebendig, nur teilweise sind es schon so viele Details, dass es schwierig wird, den Überblick zu behalten. Ein Kapitel, in dem Weydt den Stand der Dinge zusammenfasst, hätte dem Buch noch gutgetan.
Das jüngste Gerichtsurteil aus dem Intag-Tal ist jedenfalls vielversprechend: „Intag hat gegen den größten Kupferkonzern der Welt gewonnen“, und das nach 30 Jahren Kampf. Die Aktivisten feiern an diesem Abend aber nur verhalten. Sie wissen, es „kommt das nächste Bergbauunternehmen, der nächste Gerichtsfall“.