

„In meinen Adern fließt Baumsaft“
Julia Kospach in FALTER 11/2018 vom 16.03.2018 (S. 46)
Biologie: Roger Deakins Erkundungsausflüge in die Welt des Holzes sind ebenso handfest wie gelehrt. Ein Buchjuwel
Roger Deakin gehörte zu den Waldläufern unter den Geistesmenschen. Zu denen, die lieber in einem Biwakschlafsack lesen und sich Notizen machen als auf dem Sofa. Die mit unbezwingbarer Neugier draußen unterwegs sind, stets in Bewegung bleiben und genauso gern selbst Hand anlegen wie nachlesen. Deakin war Filmemacher, Publizist, Naturschützer und Mitbegründer von Common Ground, einer Organisation, der es um Brückenschläge zwischen Kunst und Natur, Menschen und ihren Landschaftsumgebungen geht. Eindeutig gehörte er auch zum illustren Kreis der unabhängigen, im besten Sinn des Wortes exzentrischen, naturaffinen Gelehrten, die gerade Großbritannien in beruhigend stabiler Zahl hervorzubringen scheint. Dabei war er so dicht eingesponnen in seine Natur- und Kulturerforschungen, dass er sie lange vor allem für sich selbst in zahlreichen Notiz- und Tagebüchern festhielt.
Zu Lebzeiten wurde nur ein einziges Werk veröffentlicht, nämlich das „Logbuch eines Schwimmers“ (dt. 2015). Dafür kraulte und erzählte sich der passionierte Naturschwimmer Deakin quer durch die Seen, Flüsse, Küsten, Teiche und Tümpel Großbritanniens. In seiner Heimat wurde das Buch ein Bestseller. Bevor Deakin 2006 nur vier Monate nach der Diagnose 63-jährig an einem Hirntumor starb, ernannte er seinen engen Freund Robert Macfarlane – Jahrgang 1976 und unangefochtener jugendlicher Genius des literarischen nature writing made in GB – zum Nachlassverwalter. Seither gibt dieser Buch um Buch aus dem Deakin’schen Nachlass heraus, eins besser als das andere.
„Wilde Wälder“ ist ein glitzerndes Mosaik, aus Wanderungen, Erkundungsgängen, botanisch-anthropologischen Forschungsausflügen, eigener Handwerkserfahrung und aus der Beobachtung der Natur entstanden. Es ist geprägt von Deakins Neugier, seinem eleganten Ton und dem Blick eines Menschen, der von Kindheit an den Details der ihn umgebenden Natur seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt hat. Man weiß sofort, dass diese Geschichten weniger im Herumsitzen entstanden sind, sondern aus handgreiflicher Erforschung und Bearbeitung des Werkstoffs Holz, der sein Kernthema ist.
Das Buch führt nicht nur durch englische Wälder, sondern auch in die Pyrenäen, in die Walnusswälder Kirgisistans oder die Wüsten Zentralaustraliens. Deakin erzählt von Holzarten und ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung, widmet sich Baumindividuen oder berichtet von Begegnungen mit Weidenbauern, Holzbildhauern, Insektenkundlern und pflanzenaffinen Malern und Malerinnen. Er breitet sein tiefes Wissen über Waldfauna und -flora aus und eine schier unerschöpfliche Vielzahl von Kultur- und Technikgeschichten rund um Holz, Bäume, Wurzeln und Wälder.
Das reicht von der Herstellungsbeschreibung walnussfurnierter Jaguar-Innenausstattungen über die Produktion von Cricketschlägern aus Weidenholz und Exkursen über die Freuden der Insektenjagd bis zu Bleistiften als enge, elementare Verbindung von Grafit und Holz, Baumwurzeln als Wasserquellen für Aborigines oder geschnitzten „grünen Männern“ an den Decken gotischer Kirchen in England.
„Wilde Wälder“ von Roger Deakin ist das Buch eines gelehrten Holzarbeiters, eines belesenen Schwimmers, eines kunstaffinen Waldläufers, der Landschaften ebenso gern schnaufend und schwitzend durchstreift, wie er sie „amphibisch bereist“ oder mit seinem reichen Bildungsschatz beim Betrachten und Zuhören entschlüsselt. „In meinen Adern fließt Baumsaft“, bekennt Deakin gleich eingangs. Als Autor brauche man eine große Leidenschaft, Dinge ändern zu wollen, statt nur darüber nachzudenken oder zu berichten, schreibt er. Seine Mission: zu zeigen, wie bedeutsam und wichtig Bäume sind und immer schon waren. Herausgekommen ist dabei ein Buch, das Geist und Körper herrlich lange erwärmt. Wie Eichenholz.