

Handstaubsauger und Therapiemusik für Chinchillas
Daniela Strigl in FALTER 41/2019 vom 09.10.2019 (S. 7)
Tiere im Titel müssen sein, und auch den Modernisierungsverlierern bleibt Anna Weidenholzer in ihrem jüngsten Roman treu
Anna Weidenholzer gehört zu jenen, die wissen, dass Literatur aus Sätzen gemacht wird, und nicht aus Anliegen oder Konzepten. Manche Sätze in ihren Büchern haben sogar eine dramaturgische Funktion, die Figuren sind sich ihrer Bedeutung bewusst, sie stolpern darüber, bleiben hängen, stellen sie förmlich aus: „Man sieht mehr, wenn man langsam fährt, alles andere führt zu erhöhtem Erlebnisverlust.“
Das sagt Peter, Wetterredakteur einer Regionalzeitung, und man ahnt, dass, wer solche Sätze sagt, für seine Partnerin von zeitlich begrenzter erotischer Strahlkraft sein dürfte. Andererseits ließe sich diese Sentenz doch auch als poetologisches Programm deuten: Weidenholzers Erzählvehikel ist bedächtig langsam unterwegs, die Autorin sieht viel und beobachtet genau, und der Erlebnisgewinn mag sich ungeduldigen Lesern verschließen.
Peter nervt seine Lebensgefährtin Elisabeth aber auch mit anderen Weisheiten, sowohl allgemein, als auch individuell pädagogischer Natur: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Oder: „Irgendwann wirst Du noch die Vorteile des Handstaubsaugers entdecken.“ Bevor es jedoch so weit kommt, ist die Beziehung zerrüttet.
Die Menschen mit den Allerweltsnamen haben ein Allerweltsproblem, nur zugespitzt, nicht verursacht durch Peters Karrieresprung: Seit er im Politikressort arbeitet, gibt er seiner Neigung zum Katastrophischen ungehemmt nach, ein publizistischer Provinzsheriff. Elisabeth schweigt dazu, rückt freilich insgeheim immer weiter von ihm ab.
Dabei hat alles so gut begonnen mit den beiden. Ein hochsommerlicher Spaziergang in einer namenlosen Stadt mit Hochöfen, in der man getrost Weidenholzers Geburtsort Linz vermuten kann. Die beiden ziehen zusammen, er schenkt ihr zum Geburtstag ein T-Shirt mit Karte: „Für all die Abenteuer, die auf uns warten.“ Aber die erhofften Abenteuer versickern im Zähfluss des Alltags, und das grelle Grün des Shirts hat Elisabeth so wenig gemocht wie die Bergwanderung, an der ihm so viel lag.
Einerseits folgen wir der grübelnden Ich-Erzählerin durch eine durchwachte Nacht, andererseits einem Blick von außen – köstlich die Interviewszene bei der Landesgartenausstellung, in der Elisabeth sich dem allzu schüchternen Reporter Peter als Auskunftsperson zur Verfügung stellt.
„Finde einem Schwan ein Boot“ setzt die Reihe von Titel mit obligatem Tier fort, die zu Weidenholzers Markenzeichen geworden sind: „Der Platz des Hundes“, „Der Winter tut den Fischen gut“ und „Weshalb die Herren Seesterne tragen“. Dass sich der genannte Schwan in ein Boot in Schwanengestalt verliebt hat, ist für das Verständnis des Buches nicht essenziell. Eher schon, dass die Autorin auch hier ihrem Faible für Außenseiter und Modernisierungsverlierer treu bleibt.
Es ist eine stinknormale Wohnsiedlung, die sie zum Gegenstand ihrer diskret verständnisvollen, mitunter leise komischen Untersuchung macht, ein Ort transparenten Lebensvollzugs, mit einer allwissenden Hausbesorgerin, einem zusehends merkwürdigen alten Mann und einem trinkfesten Paar, dessen Verwandlung von Nachbarn in Freunde nicht gelingen will. Weil Weidenholzer aber genau hinschaut, entdeckt sie die Spuren der Devianz auch im kleinbürgerlichen Neobiedermeier: den Chinchilla, dem die Nachbarn eine „Playlist zur Beruhigung von nervösen Chinchillas“ vorspielen, oder die Sherry trinkende „Professorin“ im Café Maria, die niemanden je direkt anspricht, aber leicht schräge soziologische Vorträge hält, to whom it may concern.
„Finde einem Schwan ein Boot“ ist auch ein Buch über das Einander-nicht-Verstehen und über das Schweigen in all seinen Schattierungen, das glückliche, das bedrückende, das enervierte: „Wenn man sich lange genug kennt, ist es ratsam, das Sprechen einzustellen, man weiß ohnehin, was kommt.“
Auch ohne die zuletzt überdeutliche politische Botschaft hätten wir es bemerkt: Anna Weidenholzers gesellschaftlicher Befund ist noch eine Spur melancholischer geworden