

Ökologisch denken ohne Schubladisierung
Kirstin Breitenfellner in FALTER 8/2020 vom 19.02.2020 (S. 34)
Timothy Morton braucht viele Begriffe, um etwas Einfaches zu erklären. Darunter befinden sich auch Neologismen, inspiriert von der philosophischen Phänomenologie. Sein Buch „Ökologisch sein“ behandelt die globale Erwärmung und das Artensterben. Morton hat aber einen anderen Ansatz gewählt als die gefühlten hundert Neuerscheinungen unter dem Motto „Es ist fünf vor zwölf, und ich erkläre euch jetzt, was ihr tun müsst, um die Welt zu retten“. Von dieser Art Selbstgewissheit ist der US-Philosoph meilenweit entfernt. Er schafft das Kunststück, ein Buch über die ökologische Krise zu schreiben, ohne Zahlen zu verwenden, Moralpredigten zu halten oder Prognosen abzugeben.
Über weite Strecken spricht er mehr über Kunst als über Biologie. Und auch im letzten Kapitel, „Eine kurze Geschichte des ökologischen Denkens“, geht es nicht um Fakten, sondern um Denkstile und Erwartungshorizonte. Gerade deswegen lohnt es sich, sein Buch zu lesen. Es hinterfragt so ungefähr alles, was man für gewiss gehalten hat.
Morton unterrichtet an der Rice University in Texas englische Literatur, sein Forschungsschwerpunkt liegt aber auf Philosophie und Ökologie. Er hat an unzähligen Umweltkonferenzen teilgenommen, die immer mit der bangen Frage endeten: „Was sollen wir tun?“ Denn dass wir den Planeten retten müssen, darüber sind sich die meisten einig, strittig ist nur, wie das gelingen könnte. Jedenfalls nicht, indem Medienkonsumenten mit Daten zugemüllt werden, meint der Autor, der entschieden gegen Fatalismus und Zynismus argumentiert. Schon eher, indem man Räume für kreatives Denken und Handeln öffnet.
Ökologisch zu sein bedeutet für ihn, sich bewusst zu werden, dass alle Lebensformen miteinander verbunden sind. Das habe die Menschheit nach der Sesshaftwerdung vor 12.000 Jahren so gründlich vergessen, dass diese Erfahrung nicht einfach zu haben sei. Trotzdem endet der so anspruchsvolle wie subversive Einspruch in eine verfahrene Debatte mit einer frohen Botschaft: „Du brauchst nicht ökologisch zu sein. Denn du bist ökologisch.“