

Film, Theorie und Politik: Ein Buch leuchtet das X-Men-Universum aus
Michael Omasta in FALTER 23/2019 vom 07.06.2019 (S. 33)
Superhelden, zumal jene aus dem Marvel-Comic-Imperium, leiden an ihrem Anderssein. In der Regel sind sie dazu verdammt, eine Doppelexistenz zu führen und für ihre besonderen Fähigkeiten den Preis der Einsamkeit zahlen zu müssen. Die X-Men, die erstmals Anfang der 1960er in Erscheinung traten, stellen in zweifachem Sinn eine seltene Ausnahme dar: nicht nur, weil es sich dabei um ein Kollektiv von Superhelden handelt, sondern weil das Mutantensein ganz explizit Thema ist.
Punktgenau zum Start von „Dark Phoenix“, dem zwölften, mutmaßlich letzten Film mit den X-Men, liegen die Ergebnisse einer Konferenz im Depot in Wien 2017 nun auch in Form einer kleinen, sehr dichten Publikation vor: „Put the X in PolitiX“. Bei den fünf Beiträgen, schreibt Herausgeber Drehli Robnik einleitend, gehe es darum, „Fan-Sinn zu emulieren: die Begeisterung – aber nicht an der Binnenkosmik eines Franchise/Fan-Scheiß-Universums, sondern an Wirklichkeiten, die ein X uns anträgt“.
Mit der Warenlogik des Blockbusterkinos halten sich Robnik und seine Alliierten – David Auer, Tobias Ebbrecht-Hartmann, Karin Harrasser, Ulrike Wirth – denn auch nicht lange auf, sondern versuchen die Zeichen an der Wand (hübsches Beispiel: ein Karl-Marx-Gemälde in „Deadpool 2“) auf ihre gesellschaftspolitischen Implikationen hin zu lesen.
Kulturgeschichtlich holt Harrasser, Professorin an der Kunstuni Linz, am weitesten aus, indem ihr zum Logo der X-Men das sogenannte Andreaskreuz und Francisco de Goyas eindringliche Zeichnungen von Opfern der Inquisition einfallen.
Besonders spannend auch die kleine Genealogie des X-Man Magneto, die Ebbrecht-Hartmann in seinem Beitrag über „Visuelle Erinnerungen an den Holocaust“ herausarbeitet. War es ursprünglich die Bürgerrechtsbewegung, die in den Geschichten der X-Men widerhallte, so mutierte Magneto alias Erik Lehnsherr in den 1980ern zum Überlebenden der Schoah.
Eben dort setzte im Jahr 2000 im Kino auch der erste X-Men-Zyklus mit LGBTQ-Schauspielikone Ian McKellen als Magneto an. Der Film beginnt in Auschwitz 1944.