

Sieben Mann liegen tot in der Kajüte
Sebastian Gilli in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 28)
Der Anglist und Übersetzer Alexander Pechmann greift in „Sieben Lichter“ die Tradition des Schauerromans auf
Wir schreiben das Jahr 1828. Die Mary Russel, eine Brigg unter britischer Flagge, liegt im Hafen der südirischen Küstenstadt Cove. Sie hat Maultiere auf die Karibikinsel Barbados gebracht und kehrt mit einer wertvollen Ladung Zucker zurück. Für den erfahrenen Käptn William Stewart gehört eine Atlantikquerung zum beruflichen Tagesgeschäft, doch diesmal schöpfte er den Verdacht, an Bord sei eine Meuterei im Gange. Am Ende liegen sieben Seemänner geknebelt, gefesselt und schändlich zugerichtet in der Kajüte in ihrem eigenen Blut. Der Käptn ist ausgebüxt. Ist er der Mörder? Wer hat dem Teufel sieben Seelen versprochen?
Was wie ein schauriges Stück Horror klingt, basiert auf einer wahren Kriminalgeschichte, die den Herausgeber und Übersetzer Alexander Pechmann zu dem beeindruckenden Seefahrerroman „Sieben Lichter“ inspiriert hat. Der gebürtige Wiener (Jahrgang 1968), studierter Soziologe, Psychologe und Anglist, der unter anderen Hermann Melville und Mary Shelley übersetzt hat, versteht sich selbst als Schatzgräber verlorener Texte. Nun hat er ein feines Fundstück ausgegraben. Man merkt seiner dokumentarischen Literatur die Freude an, die ihn bei der Verarbeitung vergessener Geschichten, bei der Vermischung von Fakten und Fiktion antreibt.
Aus purem Zufall stoßen der Ich-Erzähler Fitzgerald, ein aus wohlhabenden Verhältnissen stammender Colonel und Magistrat (Friedensrichter), und sein Schwager William Scoresby bei einer familiären Bootsfahrt auf das Totenschiff. In ihrer Neugier klettern sie an Bord und beginnen noch vor Beginn der offiziellen Ermittlungen, Erkundungen über den Mordfall einzuholen. Immer tiefer geraten sie in den Bann der rätselhaften Vorgänge.
William Scoresby ist nicht nur die zentrale Romanfigur, sondern eine historische Persönlichkeit mit einem abenteuerlichen Leben (1789–1857). Heute nahezu vergessen, war er Seefahrer, Arktisforscher, Naturwissenschaftler und zu guter Letzt Theologe. Als solcher betrachtet er die Tragödie nicht als schlichten Kriminalfall, sondern „als Prüfung seines eigenen Glaubens und seiner eigenen Moral“. Besonders interessieren ihn die Beweggründe des streng gläubigen Mörders.
Alexander Pechmanns Buch wird zwar als Roman ausgewiesen, ist tatsächlich aber eine klassische Novelle mit einer „unerhörten Begebenheit“, stringenter Handlung, einem überschaubaren Figurenensemble und seitenlangen Dialogen. Nach dem Höhepunkt, im zweiten Teil, steht die Frage nach dem Warum bzw. die Gerichtsverhandlung mit überraschendem Ausgang im Zentrum.
Pechmann hat sich den Jargon der Schifffahrt angeeignet, seine Sprache lässt Charaktere entstehen und entwickelt darüber hinaus einen eigenwilligen Sog. Jedes Wort sitzt, und auch bei längeren Ausführungen bleibt die Spannung durch kurze, pointierte Sätze erhalten. Bildhafte Beschreibungen wechseln sich mit reflexiven Passagen ab: „Solange man das Grauen nicht selbst gesehen oder sogar erlebt hat, bleibt es eine Geschichte, die uns vielleicht schaudern lässt, aber nie wirklich in unseren Alltag und unsere Träume eindringt.“
Im Ich-Erzähler findet Reverend Scoresby einen Gesprächspartner, der aufgeklärt argumentiert, rationale Erklärungen sucht und in der Frömmigkeit bloß Fassade erkennt. Die Themen von Glauben und Religionskritik ziehen sich leitmotivisch durch das Werk. Zwischen Hafenkneipen und Seemannsgarn versuchen die Ermittler, die Psyche des Mörders zu ergründen. Dessen radikalisierter Glaube verkehrt am Ende auf zynische Weise Täter und Opfer.
Alexander Pechmanns Figuren scheinen zwar die Stücke im Seefahrtsschauer-Puzzle zusammenzubringen, doch bleibt stets Ungewissheit über die Frage nach der Schuld. Wo beginnt Wahnsinn, was bedeutet Zurechnungsfähigkeit? Die titelgebenden „Sieben Lichter“, die auf die sieben erdrosselten Seemänner verweisen, leuchten tief hinein in die Abgründe menschlichen Denkens und Handelns.