

Giorgia Melonis Geschichtsrevision
Franz Kössler in FALTER 30/2025 vom 23.07.2025 (S. 18)
Seit drei Jahren ist Giorgia Meloni Regierungschefin Italiens, als erste Politikerin einer rechtsextremen Partei. Dennoch spielt Italien bisher eine loyale Rolle in der EU, ist im Ukraine-Konflikt auf Nato-Linie. Und ist noch immer ein Rechtsstaat, wenn auch ein etwas weniger liberaler. War der anfängliche Aufschrei unbegründet?
Nach der Lektüre von Melonis Selbstdarstellung "Ich bin Giorgia" bleibt ihr Projekt unklar. Antonio Scurati, Autor eines monumentalen Werks über Mussolini, verlangt von einer Partei, die ihre Wurzeln im Faschismus hat, eine offene Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit, sonst drohe eine schleichende Revision der Geschichte.
Melonis Buch wählt die zweite Variante. Es sind die Umdeutungen der Geschichte, die die Richtung erkennen lassen. Europa sei nicht 1945 befreit worden, sondern 1989 - Hitler und Mussolini werden zur Episode. Italien solle nicht mehr die Befreiung vom Faschismus feiern, sondern die Einigung Italiens im vorvergangenen Jahrhundert.
Das Buch ist ein Jahr vor Melonis Wahlsieg in Italien und jetzt auf Deutsch erschienen, leider ohne aktuelle Anmerkungen. Es ist perfektes Polit-Marketing. Meloni gibt sich als bescheiden aufgewachsene, bodenständige Frau, unverheiratete Mutter, mit persönlichen Unsicherheiten und trotzigem Kampfgeist gegen den feindseligen linken Mainstream.
So spricht sie Nostalgiker an wie auch neue Rechte. Im Plauderton erzählt sie von ihrer Politisierung als 15-Jährige nach einem Mafia-Attentat auf einen Richter, ausgerechnet in der Partei, die sich auf das Erbe des Faschismus beruft. Sie beteuert Ehrlichkeit und will daran gemessen werden: "Ich bin Giorgia, Ich bin eine Frau. Ich bin eine Mutter. Ich bin Italienerin. Ich bin Christin. Und das werde ich mir nicht nehmen lassen."
Als das Buch in Italien erschien, zeigten selbst politische Gegner eine gewisse persönliche Sympathie. Eine Recherche der Repubblica zeigt jedoch Auslassungen, Beschönigungen, um sich einen volkstümlichen Anstrich zu geben. Geschickt versucht Meloni, die Sympathiewerte auch auf ihre politischen Ansichten zu lenken.
Nach populistischem Muster teilt sie die Gesellschaft in das Volk (gut und rechts) und die Eliten (korrupt und links). Fratelli d'Italia, ihre Partei, ist das Volk -die liberalen Linken sind die Verräter: "Das politisch Korrekte, das Evangelium des Einheitsdenkens, das eine staatenlose und entwurzelte Elite durchsetzen will, ist die größte Bedrohung für den grundlegenden Wert von Identität."
Migration ist für sie eine gezielte Strategie der Linken, das italienische Volk "auszutauschen". Das Wort "Umvolkung" gibt es im Italienischen nicht. So sieht sie (vor ihrem Aufstieg zur Regierungschefin) auch die EU als "undefinierbares Gebilde in den Händen obskurer Bürokraten, das auf nationale Identitäten keinen Wert legt oder diese sogar ganz abschaffen will."
Ihre autoritären Visionen ziehen sich durch das Buch: Das Recht auf Abtreibung soll nicht gestrichen, aber durch staatliche Maßnahmen eingehegt, das Adoptionsrecht auf heterosexuelle Paare beschränkt werden, Minderheiten bedürfen keines besonderen Schutzes, die parlamentarische Demokratie soll durch Volkswahl des Regierungschefs geschwächt werden. Melonis Regierung hat bereits das Demonstrationsrecht eingeschränkt, die Justiz geschwächt.