

Die Stimme der Rose
Sabina Zeithammer in FALTER 16/2018 vom 18.04.2018 (S. 36)
In ihrer Autobiografie „Mutig“ rechnet die Schauspielerin Rose McGowan mit dem männerdominierten Hollywood ab
„Gott verdammt noch mal. Ich habe ihm gesagt, er soll damit aufhören.“ – „Ich habe ihm eben erst den Arsch gerettet und eine Enthüllungsstory über ihn in der LA Times verhindert. Er schuldet mir, endlich damit aufzuhören.“ Es sind fast wortgleiche Antworten, die Rose McGowan von zwei Männern, einem Schauspielerkollegen und einem Mitarbeiter ihrer Agentur, bekam, als sie ihnen 1997 von der Vergewaltigung durch Harvey Weinstein erzählte. Der traumatisierten jungen Schauspielerin wurde mit einem Schlag klar, dass ganz Hollywood die Verbrechen Weinsteins deckte.
Es sollte noch 20 Jahre dauern, bis McGowan und viele andere Frauen den Missbrauch publik machten und der Filmproduzent entmachtet wurde. Weinsteins Sturz markierte auch den Beginn der #MeToo-Bewegung.
Als Schauspielerin kennt man Rose McGowan aus dem Horrorfilm „Scream“ (1996), als Paige Matthews aus der TV-Serie „Charmed – Zauberhafte Hexen“ (2001–2006) und dem Double-Feature „Death Proof“ und „Planet Terror“ (2007) von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez. Man kennt sie von Klatschpressefotos in einem Hauch von Nichts neben ihrem Freund Marilyn Manson, aus Berichten über Schönheitsoperationen und als Verlobte von Rodriguez.
Im Jahr 2015 trat eine andere Rose McGowan in die Öffentlichkeit. Die Schauspielerin prangerte über die sozialen Medien die Unterdrückung von Frauen in der Filmbranche an, startete ihre Onlineplattform #Rosearmy und entwickelte sich zu einer feministischen Aktivistin. Mit „Mutig“ (im Original: „Brave“) ist nun McGowans Autobiografie auf Deutsch erschienen. Sie zeichnet den schmerzhaften Weg einer Frau nach, die ihre Stimme erhebt und Wichtiges zu sagen hat.
Rose McGowan wird 1973 als zweites Kind eines US-amerikanischen Paares nahe Florenz geboren. Ihre Eltern haben sich hier der Sekte „Kinder Gottes“ angeschlossen, in der das rebellische Mädchen Rose von klein auf mit Männern konfrontiert wird, die ihre Macht missbrauchen. Als der Sektenführer „Moses“ David Berg sexuelle Handlungen mit Kindern vorschreibt, flüchtet die Familie – die Eltern sind mittlerweile getrennt – nach Amerika. McGowans Beziehung zu ihrem manisch-depressiven, gewalttätigen Vater und der Mutter, die sich ständig in destruktive Partnerschaften verstrickt, zieht sich durch das Buch und wechselt zwischen der Erinnerung an mörderische Wut und liebender Bewunderung.
Als 13-Jährige lebt McGowan eine Zeitlang auf der Straße und kommt mit Drogen in Berührung. Mit 15 erwirkt sie die juristische Loslösung von ihren Eltern und gerät in ihre erste Missbrauchsbeziehung zu einem Mann, die in einer Essstörung mündet. Als 20-Jährige wird sie von einer Filmproduzentin angesprochen, ihre Karriere als Schauspielerin beginnt.
Es ist ein sehr persönlicher Bericht, in dem McGowan ihr Leben in 14 Kapiteln Revue passieren lässt. Jeden Abschnitt ihrer Icherzählung unterfüttert sie mit Anekdoten und Reflexionen, skizziert ihre Erlebnisse mitunter wie Filmszenen. Häufig spricht sie ihre Leser direkt an und spitzt die Dinge mit bissigem Humor zu. Ihre Sprache erinnert oft an jene aufklärerischen oder motivierenden Podiumsvorträge, die in sozialen Medien gern geteilt werden.
Wären da nicht die vielen Schimpfwörter. Vom Vorwort beginnend liegt ihr Fokus auf der Anprangerung eines negativen Frauenbildes, besonders im männerdominierten Hollywood. Über viele Jahre kämpfte McGowan damit, als Schauspielerin wie ein Objekt behandelt, niemals gleichberechtigt mit männlichen Kollegen wahrgenommen zu werden. So schnell und leicht sich ihr Buch liest, so bedrückend sind die beschriebenen Übergriffe auf ihren Körper und ihre Psyche. Von Weinstein wurde sie auf eine Schwarze Liste gesetzt, ihre große Liebe Rodriguez entpuppte sich als Tyrann. Das Kapitel „Zerstörung“, das sie der Beziehung zu ihm widmet, ist eines voller Reue.
Dass die heute 44-Jährige, die als Schauspielerin, Regisseurin und Sängerin tätig ist, nach Phasen der Einsamkeit, Orientierungslosigkeit und dem Gefühl, sprachlos zu sein, ihre Stimme wiedergefunden hat, beweist der zweite Teil ihres Buchs. Mit Ausschnitten aus ihren offenen Briefen und Tweets werden die „Sekte Hollywood“ und ihre Botschaften entlarvt.
„Mutig“ ist mehr als der erschütternde Bericht eines Weinstein-Opfers. McGowan sensibilisiert die Leser für die vielen noch offenen Forderungen, die von der Wahrung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit jedes Menschen und dem respektvollen Umgang mit weiblichen Filmfiguren bis zu gerechter Bezahlung reichen.
Dass in der 90-jährigen Geschichte der Oscars bisher nur eine einzige Frau als Regisseurin ausgezeichnet wurde, sollte im Jahr 2018 als die groteske Tatsache wahrgenommen werden, die sie ist.