
Wer braucht einen Kleiderschrank, der überquillt?
Andreas Kremla in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 36)
Wie es uns geht, können wir nicht am Bruttoinlandsprodukt ablesen, meint Sarina Spiegel – und geht in ihrem Buch aufs Ganze: „Die Frage ist [...] nicht, ob wir zu einem menschlicheren und sozialeren Wirtschaftssystem kommen können, das im Einklang mit der Umwelt steht. Die Frage ist: Bist Du dabei?“ In ihrem Plädoyer für eine sozialere und ökologischere Wirtschaft wendet sie sich immer wieder direkt an ihre Leserinnen und Leser.
Zuerst erklärt sie aber an einer kurzen Geschichte der Wirtschaftstheorien, wie die Ökonomie zu dem wurde, was sie heute ist – von Adam Smith über Karl Marx und John Maynard Keynes bis zu den Neoliberalisten. Das Spiel, dessen Regeln diese geschrieben haben, sei stets dasselbe: „Monopoly mit gezinkten Würfeln“. Die einen (im globalen Norden) würden stets Fünfen und Sechsen würfeln, die anderen stets nur ein oder zwei Punkte. Bis sie irgendwo hinkämen, sei alles längst aufgekauft.
Und noch etwas geschehe dabei: Die Wirtschaft überrolle andere lebensbestimmende Systeme, insbesondere die Ökologie und das Soziale.
Sarina Spiegel hat erst 2024 ihren Master am University College London gemacht. Ist sie damit auch eine Stimme ihrer Generation, die sich gegen den Raubbau der vorhergehenden wehrt? Jedenfalls hat sie keine Hemmungen, ihre Stimme laut und unterhaltsam zu heben. Auch vor Eigenwerbung schreckt sie nicht zurück. Wer mehr wissen will, wird immer wieder per QR-Code zu ihrer Homepage geleitet.
Bildung und Arbeit, das Gesundheitssystem, Konsum und Umwelt, das alles sind wirtschaftlich gesteuerte Systeme. Wir leben also immer in der Ökonomie. Deswegen sei sie auch so ungreifbar, meint Spiegel. Sie zu verstehen, falle uns ähnlich schwer, wie wenn wir Fische wären und das Wasser begreifen wollten, in dem wir schwimmen.
Um das Begreifen möglich zu machen, zieht sie alle Register: In einer „Selbsthilfegruppe zur Weltrettung“ lässt sie „Neoklassik“, „Verhaltensökonomik“, „Ökologische Ökonomik“ und andere Wirtschaftstheorien in personifizierter Form miteinander diskutieren. Mit Grafiken illustriert sie, wie Werbung uns Luxuswünsche als Grundbedürfnisse vorgaukelt. Sie zitiert Studien zur „Einsamkeitsepidemie“ und bringt prototypische Fallbeispiele von Menschen, die unter Social-Media-Sucht oder Effizienzgetriebenheit leiden.
Der frische, teils etwas schnoddrige Ton und der bunte Mix verschiedener Darstellungsformen erinnern manchmal an ein Comic. Das funktioniert: So begreift man komplexe Systeme ohne Gähnen oder Knoten im Kopf.
Aber wohin, fragt Spiegel, könnte es gehen, wenn nicht weiter in die Erschöpfung aller globalen und individuellen Ressourcen? Ihre Antwort ist erstaunlich einfach: zu einer Gleichberechtigung der Systeme, die unser Leben zu mehr machen als einer Abfolge aus Essen, Schlafen und Funktionieren. Bahn frei für gar nicht so wenige alternative, aber real existierende Wirtschaftskonzepte: Die Autorin erklärt Gemeinwohl-Ökonomie, Kreislaufwirtschaft und Donut-Ökonomie.
Am Ende präsentiert sie 16 konkrete Vorschläge mit kleinerer und größerer Hebelwirkung: von der guten alten Finanztransaktionssteuer bis zum Umdenken von „effizient“ auf „suffizient“, von „größer-besser-mehr“ auf „so viel wie notwendig und so gut wie möglich“: „Das ist im Übrigen kein Aufruf zu Kerzenlicht und selbstgestrickten Öko-Pullis [...] Es ist der Unterschied zwischen einem Kleiderschrank, der passt, und einem, der überquillt.“
Sarina Spiegel singt hier kein Hohelied auf das Ende des Kapitalismus. Sie ruft auf zu einer Wirtschaftswelt, in der wieder Akkorde mehrerer Stimmen zu hören sind. Und macht klar, dass dies notwendig ist gegenüber der zunehmenden Verarmung durch das Anschlagen von immer nur ein- und derselben Taste: Wachstum, Wachstum, Wachstum.



