

"Transparenz schadet nie"
Barbaba Tóth in FALTER 7/2023 vom 17.02.2023 (S. 26)
Gerald Fleischmann kommt mit Rollkoffer und Handschiene. Es ist Montagmorgen, Treffpunkt ein Wiener Innenstadtcafé, und er ist auf dem Sprung nach Berlin, als Begleiter des Kanzlers und ÖVP-Chefs. Karl Nehammer trifft sich mit deutschen Journalisten zum informellen Austausch. Fleischmann reist mit, natürlich auf Kosten der ÖVP, nicht des Kanzleramts, wie er gleich betont. Denn für die Partei ist er seit Jahresbeginn wieder tätig, als ÖVP-Kommunikationschef.
Die geschiente Hand kommt nicht vom Austeilen, das kann Fleischmann bekanntlich gut, wenn auch mit Worten, nicht mit Fäusten. Nein, er hat die letzten Monate genutzt, ein Buch über seine Arbeit als Spindoktor an der Seite von Ex-Kanzler Sebastian Kurz zu schreiben. Dabei tippte er zu viel am Handy und holte sich eine Sehnenscheidenentzündung. Im Team Kurz war Fleischmann für die "Message-Control" zuständig, für einheitliche Kommunikation nach innen wie nach außen. Er gilt als Raubein, aber Professionalität spricht ihm auch niemand ab.
Über all das erzählt er in seinem Buch. Ein Thema spart er aber aus. Wie Kurz stolperte Fleischmann über Ermittlungen der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Causa "Beinschab-Österreich-Tool". Er soll, so der gut begründete Verdacht der Ermittler, an der Manipulation von Umfragen im Sinne Kurz' federführend beteiligt gewesen sein. Das haben der ehemalige Kurz-Intimus Thomas Schmid und die Meinungsforscherin Sabine Beinschab ausgesagt. Diese frisierten Umfragen wurden dann auch noch aus dem Budget des Finanzministeriums bezahlt -unter falschen Angaben. Es gibt also viele Fragen. Aber nicht alle will Fleischmann beantworten.
Falter: Herr Fleischmann, darf man gratulieren?
Gerald Fleischmann: Wozu?
Dazu, dass Sie vom Saulus zum Paulus geworden sind, übers Wochenende. Alle Zeitungen waren voll mit Berichten über Ihr neues Buch. Fleischmann, der Meisterstratege. Keiner sprach mehr über Fleischmann, gegen den ermittelt wird, weil er frisierte Umfragen in Auftrag gegeben hat, um seinem Chef Sebastian Kurz an die Macht zu helfen.
Fleischmann: Ob das Buch ein kommerzieller Erfolg wird, wird man sehen. Dazu ist es noch zu früh. Eigentlich sollte das Buch ja eine Trägerrakete für meinen neuen Job sein, den ich Ende 2022 antreten wollte. Aber dann kam das Angebot der ÖVP, Kommunikationschef zu werden
...und da konnten Sie nicht Nein sagen. Diese Geschichte haben Sie in jedem Interview, das Sie die letzten Tage gegeben haben, erzählt. Auch dass Sie nicht sagen können, was für ein Job das gewesen wäre.
Fleischmann: Was Internationales, Privatwirtschaft, nicht Politik. Die Idee des Buches war jedenfalls, hinter die Kulissen des politmedialen Systems zu blicken und zu erklären, wie es wirklich läuft -und damit vielleicht auch einen Beitrag dafür zu leisten, dass Medien und Politik wieder mehr Glaubwürdigkeit bekommen.
Ein hoher Anspruch. Zur Ausgangsfrage: Ihre Partei, die ÖVP, steht unter Korruptionsverdacht, Sie stehen unter Korruptionsverdacht. Und dann schreiben Sie ein Buch, in dem Sie aus dem Nähkästchen darüber plaudern, wie Spindoktoren wie Sie die Medien manipulieren. Ganz schön frech?
Fleischmann: Damals im Dezember, in Kombination mit dem neuen Job, wäre das Buch sicher richtiger gelegen, nämlich als Rückblick. Ich gestehe, zwischendurch hatte ich ein bisschen Bauchweh. So etwas kann ja auch nach hinten losgehen. Ich stand noch nie in der ersten Reihe. Aber es ist bis jetzt okay gelaufen.
Die Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Sie. Lässt Sie das kalt?
Fleischmann: Ich habe jedenfalls nicht vor, jahrelang zu warten und nichts zu tun. Ansonsten muss ich darauf verweisen, dass mir der Verlag eine Message-Control auferlegt hat und ich nur Fragen zum Buch beantworten soll.
Eine Message-Control, die Ihnen sicher ganz recht ist. Ich frage trotzdem nach: Einer der wichtigsten Kurz-Vertrauten, Thomas Schmid, hat Sie in seinem Geständnis als federführend beim sogenannten Beinschab-Österreich-Tool dargestellt. Also bei jenen frisierten Umfragen, die mit Steuergeld finanziert wurden und Kurz dienen sollten. Sie hätten Themen und auch gleich Ergebnisse vorgeschlagen. Etwa zu den Auswirkungen des Antretens Peter Pilz' mit seiner eigenen Liste oder Irmgard Griss' für die Neos.
Fleischmann: Nochmals, sorry. Ich werde nur Fragen zum Buch beantworten.
Was sagen Sie dazu, dass diese Umfragen laut Aussagen von Schmid und Beinschab mit Steuergeldern des Finanzministeriums finanziert wurden?
Fleischmann: Das ergibt für mich auch keinen Sinn. Wir werden sehen, was von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft übrig bleibt.
Auf die Message-Control des Verlags, die ihm auferlegt, nichts über die Vorwürfe gegen ihn zu sagen, redet sich Fleischmann gerne aus. Er hält sich offensichtlich für unschuldig. Früher erzählte er gerne davon, dass er im Team Kurz damals den Ruf hatte, Umfragen vorhersagen zu können. Jeden Tag habe ihn jemand gefragt, mit welchen Fragen man ins Feld gehen solle. Da habe er eben seinen Input gegeben. Und dass das Antreten Pilz' den Grünen sehr, der ÖVP kaum schaden würde, war nicht wirklich schwer vorherzusehen. Das intuitiv einschätzen zu können gehöre zum Handwerk eines jeden politischen Strategen.
Zurück zum Buch: Sie beschreiben alle möglichen Methoden, mit denen Pressesprecher die Öffentlichkeit manipulieren und für sich gewinnen wollen. Ein wichtiger Begriff fehlt darin: Litigation-PR, die Kunst, die Öffentlichkeit in einem laufenden Verfahren von seiner Unschuld zu überzeugen.
Fleischmann: Das war auch nie eine meiner Anforderungen.
Aber Ihr Buch ist das perfekte Beispiel dafür. Sie erzählen, wie andere Politstrategen Umfragen frisieren, wie man Journalisten einkocht oder lästige Fragen abwehrt. Nach dem Motto: Part of the Game, machen alle so, kein Grund, das im Falle Kurz' als Problem zu sehen?
Fleischmann: Dass Politiker Public Relations machen, ist ja nichts Neues. Da geht es immer um Spin, Agenda-Setting und Taktik. Ich wollte einfach nicht die sechste Kurz-Biografie schreiben, davon gibt es schon genug. Und ich gehe davon aus, dass es einen Kulturwandel geben wird. Weil die Methoden, die ich im Buch beschreibe, das Verhältnis zwischen Politik und Medien, dieser ganze Mechanismus der politmedialen Blase, das alles natürlich verbesserungswürdig ist und sich weiterentwickeln wird.
Problematische Chats haben bei ORF und Presse zu personellen Konsequenzen geführt. Von der ÖVP gab es bis dato weder eine Aufarbeitung der Chat-Affären noch ein Schuldeingeständnis. Dafür Attacken auf Medien, die aufdecken.
Fleischmann: Auch in der Politik gab es unzählige Rückzüge. Es wurden also Konsequenzen gezogen.
Aber Sie selbst schreiben, dass Kurz Opfer von einem "nicht demokratisch legitimierten Sturz durch eine vereinigte linke Schmutzkübel-Armada" wurde. Warum diese Dolchstoßlegende?
Fleischmann: Es gibt viele Menschen, die das so sehen.
In Ihrer Partei und Sie persönlich vor allem.
Fleischmann: Die einen sehen ihn als Sauron aus "Herr der Ringe", andere als Helden Siegfried. In der Demokratie gibt es eben verschiedene subjektive Wahrheiten, die darum ringen, zur allgemein anerkannten Wahrheit zu werden. Jede dieser unterschiedlichen Sichtweisen ist berechtigt.
Dieses Konzept der sogenannten "Intersubjektivität" lernt jeder Publizistikstudent im ersten Semester. Aber es gibt Grenzen. Rassismus zum Beispiel ist keine Meinung.
Fleischmann: Und das Strafrecht natürlich. Aber man muss aufpassen, denn die Grenzen zur Cancel-Culture sind dünn. Ich glaube an den menschengemachten Klimawandel. Aber wenn mir zum Beispiel ein Wissenschaftler erklärt, er hat in der Antarktis Belege dafür gefunden, dass der Klimawandel nicht rein menschengemacht ist, würde ich ihm zuhören und ihn nicht von vornherein als Spinner und Verschwörer hinstellen.
Sie argumentieren jetzt zum zweiten Mal, dass Sie einen Kulturwandel mit Ihrem Buch anregen wollen. Aber warum vergleichen Sie dann Journalisten mit einem Hühnerstall oder einem Wolfsrudel, dem man Filetstücke zum Fraß vorwirft? Das ist nicht vertrauenserweckend.
Fleischmann: Das sind die Sprachbilder, die unter Pressesprechern teils tatsächlich verwendet werden. Und was Verschwörungstheorien angeht: Man hat immer Angst vor dem, was man nicht kennt. Es kann nie schaden, etwas Dunkles auszuleuchten. Transparenz schadet nie.
Aber das bestätigt doch alle Vorurteile von der politmedialen Elite, die sich untereinander bedient.
Fleischmann: Was ich beschreibe, sind zutiefst menschliche Vorgänge. Und das mit dem Hühnerstall und dem Wolfsrudel ist natürlich auch Ironie oder meinetwegen Berufszynismus. Journalisten revanchieren sich ja auch. Ich führe im Buch auch Beispiele an, wo Medien die Politik Saustall oder Kasperl nennen. Wir schenken einander nichts.
Gleich am Anfang Ihres Buches postulieren Sie, dass Medien grundsätzlich eher links sind und meistens Meinungsjournalismus machen. Das klingt sehr nach dem Spin der ÖVP, die einen Schuldigen sucht, wenn sie nicht erfolgreich ist.
Fleischmann: Nein, meine These ist eine andere, wie Sie im Buch lesen können: Wer als Junger nicht links ist, hat kein Herz, wer im Alter nicht konservativ ist, kein Hirn, sagt man. Im Beruf des Journalisten muss man immer jung bleiben, weil man kritisch bleiben und alles hinterfragen muss. Deswegen gelten viele Journalisten als links. Mit dem Meinungsjournalismus ist es etwas anderes. Den sehe ich kritisch. Ich bin ein Fan des aufklärenden Journalismus.
Dann müssten Sie Medien wie Falter, Profil, Standard oder ORF lieben. Das sind aber genau jene, gegen die die ÖVP immer wieder kampagnisiert. Warum?
Fleischmann: Erst kürzlich hat mich ein hochrangiger Politiker angerufen: Das geht so nicht mehr. Was ist los mit diesen Journalisten? Ich halte das nicht mehr aus. Ich hab ihm gesagt: Schau dir an, was für ein Privileg du hast. Du kannst gestalten, Gesetze machen. Und dann jammerst du wegen ein paar medialer Nadelstiche? Das ist der Preis, den du zahlen musst für die Gnade, die nur wenige haben: gestalten zu dürfen.
Nette Anekdote, leider findet sie sich nicht im Buch. Stattdessen beschreiben Sie, wie sich Politiker gegen schlechte Presse wehren sollen. Sie nennen das "kontrollierte Sprengung" oder "burying bad news". Ihre Tipps: "Verräumen Sie Ihre News in Bigger News, verräumen Sie Ihren Mist in der Saure-Gurken-Zeit der Ferien. Verunmöglichen Sie einen Faktencheck. Zerstreuen Sie die Fakten und stiften Sie damit Verwirrung." Ist es wirklich statthaft, als Pressesprecher eines Bundeskanzlers solche Methoden anzuwenden?
Fleischmann: Aber alle Pressesprecher machen das, seit Bruno Kreiskys Zeiten und wohl noch länger. Man ist Makler, Verkäufer und Dienstleister.
Sie kommen immer mit Kreisky, auch in Ihrem Buch, um gegenwärtige Unsitten zu rechtfertigen. Aber es macht doch einen Unterschied, ob mein Auftraggeber ein privater Kunde ist -oder die Republik?
Fleischmann: Derzeit ist das in westlichen Demokratien Standard, bei allen Parteien. Wir werden sehen, ob sich diese Kultur ändert. Vor allem aber ist es besser, in einer Demokratie um die Wahrheit zu kämpfen als in einer Diktatur oder einem Gottesstaat, in dem die Wahrheit von oben vorgegeben ist.
Wie viel Einfluss hat man als Spindoktor? Anders gefragt: Was ist zuerst da- der griffige Slogan oder der politische Inhalt?
Fleischmann: Ohne Substanz funktioniert auch die beste Vermarktung nicht.
War das nicht das Kernproblem der Ära Kurz?
Fleischmann: Nein. Am Ende gibt es ein Gesetz, ob es positiv oder negativ wahrgenommen wird, ist eine Frage des "Spins", also des Drehs im Verkauf. Aber Gesetz bleibt Gesetz. Der Familienbonus von 1500 Euro, der wirkt beispielsweise unabhängig vom Spin.
Wollten Sie sich mit diesem Buch von Kurz emanzipieren?
Fleischmann: Nein, ich werde immer mit ihm verbunden werden.