

Ein unsteter Stifter aus Amerika
Leopold Federmair in FALTER 16/2015 vom 17.04.2015 (S. 34)
Unerschöpflich sind diese Bücher. Wie ich sie aufblättere, ist es mir beinahe unbegreiflich, zu denken, daß sie wirklich unter den Deutschen noch fast unbekannt sein sollen.“ Diese Sätze schrieb Hugo von Hofmannsthal nach dem Tod von Lafcadio Hearn (1850–1904), und sie sind mehr als hundert Jahre später zu wiederholen. Eine Zeitlang, vor dem Ersten Weltkrieg, wurde Hofmannsthals Stimme gehört, in Deutschland veröffentlichte man Hearns Schriften aus und über Japan in sechs Bänden. In Japan verbrachte der 1850 in Griechenland geborene Autor seine letzten 14 Lebensjahre.
Hearn war ein Unsteter, zwangsweise und aus freier Entscheidung. Er betätigte sich in vielen Berufen, schrieb in diversen Genres und übersetzte aus dem Französischen ins Englische, das seine Vatersprache war. Auf einen Nenner bringen lässt er sich kaum. An dieser Schwierigkeit liegt es wahrscheinlich auch, dass er nie den festen Platz in der angelsächsischen Literaturgeschichte erhielt, der ihm gebühren würde. Alexander Pechmann, der nun einen Roman von Hearn übersetzt und kommentiert hat, nennt ihn in einem Atemzug mit Herbert Crane, Robert Louis Stevenson oder Joseph Conrad. Man könnte noch Herman Melville hinzufügen.
„Chita“ ist Literatur des 19. Jahrhunderts, ein schmaler, doch sprachlich opulenter Roman. Der Untertitel lautet „Eine Erinnerung an Last Island“ – Erinnerung deshalb, weil ein gewaltiger Sturm und die von ihm ausgelöste Flut diese Insel im Golf von Mexiko – in Louisiana, dem Land der Bayous und der Kreolen – verwüstete. Das war 1856. Hearn selbst hat die an den Hurrikan Katrina von 2005 erinnernde Katastrophe nicht erlebt. Er kam erst später in die USA, als ihn seine Familie verstieß. Die fernen Verwandten in Cincinnati setzten den nach einem Unfall auf einem Auge blinden Hearn aber bald vor die Tür, worauf er nach New Orleans weiterzog. Die kulturellen und sprachlichen Vermischungen dieser Gegend spiegeln sich in seinem Roman, dessen virtuose Naturschilderungen denen Adalbert Stifters locker das Wasser reichen.