
Blitze schießen aus den Nägeln des Dichters
Sebastian Fasthuber in FALTER 33/2017 vom 16.08.2017 (S. 24)
:: Das erste Mal blitzte es bei ihm zu einer Zeit auf, als seine Lebenssäfte anstiegen und seinen Leib kräftiger zu durchströmen begannen.“ In Florjan Lipuš’ Roman „Der Zögling Tjaž“ spielte das Kratzen eine entscheidende Rolle, die neue Erzählung „Seelenruhig“ hebt mit irritierenden frühmorgendlichen Blitzen an. Sie schießen dem Erzähler aus den Fingernägeln. Er kann die Erscheinung nicht recht deuten: Ist es die Liebe, die ihn zucken lässt? Oder wollen ihm die Blitze mitteilen, dass er zum Dichter erwählt ist?
Mit einem starken Bild hebt der Text an, und er wird noch besser. Der neue Lipuš verbindet Gedanken, die einem in fortgeschrittenem Alter kommen, mit Erinnerungen an die Kindheit und Jugend. Noch einmal schreibt er über die Frau, über die er im Grunde nichts weiß – seine Mutter –, den Mann, dem er nie näher kam – seinen Vater – sowie über die Großmutter, die ihm nur kurze Zeit Schutz bot.
In „Seelenruhig“ gelingt Lipuš die späte Aussöhnung mit dem Vater. Er tut dies, nicht ohne diesem noch einmal nachzurufen, wie unmöglich er sich verhalten hat. Die Erzählung führt zurück in eine bäuerliche Welt, deren Strenge uns heute fremd erscheint. In dieser Welt ist dem Kind kein Spielzeug erlaubt. Heimlich schafft es sich ein paar Murmeln an, die es gut versteckt, um nicht den Zorn des Vaters zu erregen. Jahrelang hat es sich mit einer Hose zu begnügen, für die er sich schämt, weil es eine lächerlich aussehende Dreiviertelhose ist.
Auf gerade einmal 100 Seiten erzählt Lipuš seine Lebensgeschichte noch einmal in komprimierter, fast schon lyrischer Form. Er schlägt dabei einen neuen Ton an. Davon kündet schon der Titel „Seelenruhig“, ein Wort, das auf den ersten Blick nicht zu diesem Autor passen will.
Eine große Rolle auf dem Weg zur Seelenruhe spielt die Gefährtin, die das Leben der Erzählers begleitet hat. Wenn er sich in der Früh zum Schreiben zurückzieht, wünscht sie ihm nicht „Guten Morgen“, sondern „Schöne Sätze“, und „daß er möglichst viele Sätze vor dem Sturz ins Bodenlose rette“.
Man möchte unablässig aus diesem Buch zitieren, das nicht zuletzt ohne Larmoyanz von den Freuden des Alters kündet: „Wer es kann und zu kühnen Gedanken fähig ist, bereit ist, unerschrocken zu handeln, frischt jetzt noch einmal alle Genüsse und Reize des Lebens auf, bringt die Schönheit der Geschlechtslust in Schwung, die ästhetische Neugier, verdoppelt den Genuß am Schönen, die Gier nach Lust, nach irdischen Freuden. Er mäßigt sie nicht mehr, wie er es bisher aus Rücksicht auf alle und alles tun mußte, sondern erlaubt ihnen, sich in ihm voll auszuleben.“


