

Alles auf Anschlag, bis zum Buzerl
Sebastian Fasthuber in FALTER 42/2022 vom 21.10.2022 (S. 21)
Mit „Die Infantin trägt den Scheitel links“ hat die Salzburgerin Helena Adler den erfrischendsten Roman des Jahres 2020 geschrieben. Ihre halb autobiografische, halb hemmungslos geflunkerte Coming-of-Age-Story zeigt, was sich aus dem doch schon sehr verbrauchten Genre Anti-Heimatroman noch rausholen lässt, wenn man derart originell und bildhaft zu schreiben versteht wie sie.
Adler kommt von der Malerei und hat jedes Kapitel in dem Buch nach einem Bild benannt – von Bruegel bis Kiefer. Dennoch sei anlässlich ihres neuen Romans „Fretten“ eine Analogie aus der Musik gestattet: Nach einem Hit müssen sich Bands entscheiden, ob sie diesem Sound treu bleiben oder sich neu erfinden wollen – der Ansatz von Wanda vs. das Modell Bilderbuch.
Adler geht den Wanda-Weg und lässt „Fretten“ wieder auf dem ärmlichen Bauernhof spielen, auf dem die Infantin in einer dysfunktionalen Großfamilie aufwächst: der Vater Biobauer mit missionarischen Tendenzen; die Mutter ebenso wahnhaft religiös wie die Großmutter väterlicherseits, die im Alltag den Ton angibt, während die älteren Zwillingsgeschwister der Ich-Erzählerin das Leben zur Vorhölle machen.
So weit, so bekannt. Die ersten 30 Seiten könnten auch aus der „Infantin“ stammen; und die Kapitel sind wieder nach Gemälden benannt. Warum nicht? Auch zwei Ahnherren, die bisweilen aus Adlers Texten winken, haben sich in puncto Stoff, Motiven oder Handlungsort wiederholt. Mit Thomas Bernhard verbindet die Autorin der böse Blick auf die Umgebung sowie der Hang zur Übertreibung. Die Katholiken und Bauern und Fleischhauer auf dem Land – durch die Bank sind sie schlecht und hinterfotzig.
An den Kärntner Josef Winkler wiederum erinnert das beständige Abarbeiten an der Kindheitslandschaft, die der Ich-Erzählerin verhasst ist und von der sie doch nicht loskommt.
Die Infantin braucht den Mist, der sie umgibt und in dem sie sich auch ausgiebig suhlt, als Dünger für ihre ins Kraut schießenden Wortschöpfungen. Und der Furor der zunächst noch jugendlichen Erzählerin ist enorm. Sie schließt sich einer Bande anderer Außenseiter an, es wird mit Fleisch und Drogen gedealt und in den Häusern der Reichen gefeiert und randaliert – mit einer unglaublichen Wut, die die Heldin zum Teil auch gegen sich selbst richtet.
Das liest sich über weite Strecken beeindruckend und verfügt über einen mitreißenden Rhythmus. Um bei der Musik zu bleiben: Die einzige wirkliche Schwäche des Texts besteht darin, dass der Pegel fast immer im roten Bereich ist. Adler spielt am liebsten mit voller Lautstärke.
Der Hang zur Alliteration wirkt geradezu manisch. Auf einer einzigen Seite im Buch finden sich folgende Konstruktionen (Liste unvollständig!): „Ratten-Resort“, „Warzenwahrzeichen“, „Bonzenbordell“, „Kokskapazunder“, „Grottengruft“, „Heroin für die Heroen“, „Wirtschaftswichte in Windeln“, „Luxuslagerhaus“.
Das ist zu viel des Guten, und der Effekt der in Maßen genossen sehr witzigen Neuprägungen nutzt sich ab. Und doch wird man diesem Sprachkunstwerk, dessen Wirkung irgendwo zwischen Achterbahnfahrt nach zu viel Langos und Geisterbahnbesuch changiert, nicht gerecht, wenn man es kleinkrämerisch zerpflückt. Man sollte sich darauf einlassen und die Fahrt genießen.
Denn Adler betritt auch Neuland. Plötzlich ist ein Kind an der Seite der Infantin, was deren Wahrnehmung beinahe komplett verändert. Muttergefühle schießen ihr ein, und obwohl die Sprachmachine immer noch hochtourig läuft, finden sich in der zweiten Hälfte des Romans vermehrt zarte Töne.
Die Autorin beweist, dass sie weder One-Hit-Wonder noch One-Trick-Pony ist; auch wenn sie das Schimpfen und Wüten immer noch am besten beherrscht. Allein die Geburtsszene, in der es die Infantin mit einer grausamen Hebamme aufnehmen muss, ist den Kauf des Buches wert.