

Franz Grillparzer macht Urlaub und kotzt sich auf Tripadvisor aus
Klaus Nüchtern in FALTER 34/2023 vom 25.08.2023 (S. 29)
Nun ist es auch schon wieder 180 Jahre her, dass Franz Grillparzer zur letzten großen Reise seines Lebens aufbrach. Am 27. August 1843 geht er in Wien an Bord eines Dampfschiffes, das ihn donauabwärts bis nach Konstantinopel bringen soll. Am Ufer steht seine ewige Verlobte, Katharina "Katty" Fröhlich, und weint, und dem 52-jährigen Dichter selbst ist die Fahrt auch nicht geheuer: "Mir war zumut wie einem, der zuerst nicht aufs Wasser, sondern ins Wasser geht."
Neben Dramen und Novellen hat Grillparzer auch ein umfangreiches autobiografisches Œuvre hinterlassen: die grandiose "Selbstbiographie" und die gesammelten Tagebücher - "ein herrlicher Brummfetzen", wie Clemens J. Setz urteilte. Die Aufzeichnungen der Reise nach Griechenland, wohin sich der Dichter nach seinem Aufenthalt im Osmanischen Reich begibt, bestätigen diese Brummfetzenhaftigkeit aufs Herrlichste. Dabei lässt sich die Reise gar nicht übel an. Pressburg erscheint dem Schiffstouristen "hübscher und städtischer" als angenommen, auch der "Weiberschlag", für den er stets ein waches Auge hat, findet seine Zustimmung. Aber schon kurz darauf erfolgt der erste Einbruch: "Der heutige Tag ist so ziemlich verloren."
Ein Grantscherben von Graden betätigt sich der insomnia-und diarrhoegeplagte Dichter als Tripadvisor-Troll, der Landschaft, Kulturangebot, Frühstücksbuffet und Zimmerservice mit Gusto und gelegentlich durchaus rassistischen Untertönen benörgelt: Das Donauufer bei Widin ist "so abgeschmackt wie immer"; die Paläste am Bosporus "sind nur aneinandergeschobene Lusthäuser"; und die Kritik einer Theateraufführung in Pest fällt denkbar lapidar aus: "Gespielt wie in Hietzing oder Baden." Grillparzers volatiles Gemüt kann aber auch in die Gegenrichtung ausschlagen. Obgleich die Dardanellen an die Schönheit des Bosporus nicht herankommen, hat der Dichter das Meer nirgendwo sonst "so lichtblau gesehen" und vergibt ausnahmsweise fünf Sterne: "Rechne den heutigen Tag unter die angenehmsten meines Lebens".