

So schreiben, als sei es ohne Mühe entstanden
Georg Renöckl in FALTER 11/2021 vom 19.03.2021 (S. 35)
Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre dieser Brief kürzer geworden“, sagte Goethe. Und Lichtenberg. Und Pascal, Twain, Schiller, Kleist, Swift, Lessing, Marx. Es stimmt ja auch jedes Mal: Umständlich kann jeder, in der Kürze liegt die Kunst. Ein ähnliches Paradoxon benennt Klaus Reichert, der zeit seines Lesens und Schreibens vor allem eines wollte: so schreiben nämlich, „als sei es mühelos von der Hand gegangen“. Ein ganz schön anstrengendes Unterfangen, schließlich gilt: „Nichts ist schwerer, als leicht zu schreiben.“ Es dürfte ihm insgesamt dennoch halbwegs gelungen sein.
Der 1938 geborene Autor ist nicht nur Verlagslektor, Professor für Anglistik, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Übersetzer von Shakespeare, James Joyce, Lewis Carroll oder John Cage, Herausgeber Virginia Woolfs, H.C. Artmanns oder Paul Celans, sondern auch ein vielfach preisgekrönter Lyriker und Essayist. Er habe nie „unterschieden zwischen wichtigen und lässlichen Texten, alles wollte gleichermaßen sorgfältig geschrieben, auch laut gelesen sein auf die Satzmelodie hin, auf die Reihenfolge der Wörter und ob sie saßen wie die Steinchen in einem Mosaik“, beschreibt Reichert den Anspruch an sich selbst, der auch in seinen nun vorliegenden Grazer Vorlesungen in jeder Zeile spürbar ist.
Reichert entwickelt darin seine Überlegungen zu „Gelehrsamkeit und Poesie“ anhand der eigenen Lebensgeschichte, beginnend in einer anarchischen Nachkriegszeit, in der alles kaputt, aber trotzdem vieles möglich war. Vielleicht liegt die Frische, die vom Denken des mittlerweile 81-Jährigen ausgeht, ja in dieser Prägung begründet: Das Auftürmen von Sekundärliteratur etwa, die den Blick auf den Text verstellt, ist die Sache des späteren Professors nicht.
Er liest und denkt lieber selbst. Ein wichtiger Weg, die eigene Neugier zu stillen, ist dabei das Schreiben, schließlich wäre es schlicht viel zu „fad gewesen, etwas aufzuschreiben, was ich schon wusste“. Wie gern man diesen Satz Verfechtern der Bildungsstandardisierung in ihren Raster schreiben würde! Nicht zuletzt sind Klaus Reicherts Vorlesungen eine wehmütige Liebeserklärung an die Vielsprachigkeit und die Bereicherung, die diese für Individuen, Gesellschaften und Literaturen bedeutet – im Bewusstsein, dass sie in vielen Bereichen gerade zu verschwinden droht. Reichert hat ein schlicht aufgemachtes Buch von großer Schönheit vorgelegt. Es muss ein schweres Stück Arbeit gewesen sein – so wunderbar leicht liest es sich.