Nach den Gespenstern
Auch wenn der Titel es nahelegen könnte: schaurige Spukgeschichten wird man in Bernhard Strobels viertem Erzählband nicht finden – Gespenster und Doppelgänger hingegen schon, auch Heimsuchungen und manches Unerklärliche. Es geht um Konfliktsituationen in Familie und Partnerschaft sowie um Verlusterfahrungen und das Leben im Alter:
Nach dem Tod seiner Frau zieht ein Mann in eine fremde Ortschaft und wird Teil eines Kriminalfalls; der Besuch einer Theateraufführung zieht ein ganz anderes Beziehungstheater nach sich; ein Mann in den Vierzigern macht am Grab seiner Frau eine Begegnung der gespenstischen Art; eine Jugendliche sucht ihren eigenen Weg, um die Großmutter zu trauern; wie ein schlechtes Omen lässt sich das mysteriöse Auftauchen von Steinen im Ehebett deuten …
Strobel gelingt es auf unnachahmliche Weise, sowohl die Ausnahmesituationen des Lebens als auch das Alltägliche in Worte zu fassen. Feinfühlige, stichelnde und witzige Elemente baut er in die 13 Erzählungen ein; Wortgefechte werden ausgetragen oder der Stille Raum gegeben.
Mit Ibsen auf dem Friedhof
Bernhard Strobels Erzählungen „Nach den Gespenstern“ handeln vom Zugriff der Toten auf die Hinterbliebenen
Vor 140 Jahren, im Dezember 1821, veröffentlichte der große Dramatiker Henrik Ibsen sein zum modernen Klassiker gewordenes Familiendrama „Die Gespenster“, in dem aber keine Schauergestalten auftreten, sondern überwunden geglaubte Denk- und Verhaltensweisen früherer Generationen im Heute mächtig nachwirken.
Der österreichische Autor Bernhard Strobel, der auch norwegische Literatur übersetzt, greift dieses zeitlose Ibsen-Thema auf und lässt in 13 Geschichten Männer und Frauen, Ehepaare, Geschwister sowie einander Unbekannte auftreten. Allgegenwärtig ist der in mannigfaltiger Gestalt auftretende Tod, der unter den Hinterbliebenen zu kuriosen und bitteren Auseinandersetzungen führt.
„Nach den Gespenstern“ heißt Strobels wohldurchdachter, sehr ernsthafter Erzählband. Es ist bereits der vierte des gebürtigen Wieners (Jg. 1982). Seine Geschichten zeichnen sich dadurch aus, dass deren Personal ständig zwischen realen, fast banalen Alltagssituationen und dem totalen Absturz changieren.
Unter der Oberfläche brodeln Gewalt und Konflikte, die aus einer längst versunken geglaubten Vergangenheit langsam nach oben kriechen – etwa in der titelgebenden Geschichte über ein Ehepaar, das nach dem Besuch einer Aufführung von Ibsens „Gespenstern“ mit der Straßenbahn heimfährt. Sie will ihm die Tiefe des Stücks erklären, er fühlt sich herabgewürdigt. „Und als er die Hand erhob und schon ausholte, hörte er sie rufen: ,Gespenster, Gespenster!‘“
Strobels Protagonisten sind fast alle namenlose einfache Menschen, Arbeiter oder Pensionisten, Wirtshausgeher. Der Erzähler nähert sich ihnen auf skizzenhafte, aber zärtliche Weise und schreibt über sie stets in der dritten Person. Die zugleich knappe und kunstvolle Sprache wird mitunter aggressiv oder kippt ins Zynische.
Kein Wort ist zu viel. Strobel erweist sich als Meister der Leerstellen und der offenen Enden, die in diesen Geistergeschichten dem Unheimlichen Raum geben. Sie verrücken die Ordnung der Welt, wenn auch fast unmerklich, wie in „Café Post mortem“, wo zwei Friedhofsgeher ins aufwühlende Gespräch über den Verlust der längst verstorbenen Frauen kommen: „Ich komme wegen der Knochen“ – behauptet der eine, um dem Verdacht entgegenzuwirken, den Friedhof aus religiösen Gründen aufzusuchen.
Auf die Frage, wie die Toten die Lebenden beschäftigen, geben die Erzählungen von „Nach den Gespenstern“ literarisch überzeugende Antworten.
Sebastian Gilli in Falter 42/2021 vom 22.10.2021 (S. 16)
ISBN | 9783990590867 |
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Erscheinungsdatum | 27.08.2021 |
Umfang | 176 Seiten |
Genre | Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945) |
Format | Hardcover |
Verlag | Droschl, M |