Die Punks in der Wiener Gassergasse

Eine soziologische Feldstudie aus dem Jahr 1983/1984
200 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783991262213
Erscheinungsdatum 01.07.2025
Genre Soziologie/Sozialstrukturforschung
Verlag Bibliothek der Provinz
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Verlag Bibliothek der Provinz GmbH
Großwolfgers 29 | AT-3970 Weitra
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Kurzbeschreibung des Verlags

In dieser Studie gelingt es dem Autor ein sehr authentisches und fundiertes Bild der damaligen Wiener Punk-Szene und des Punk-Stils zu zeichnen.

Die Schilderungen der Lebenswege und Einstellungen dieser Jugendlichen geben dem Leser Einblick in eine Welt, zu der man äußerst schwer Zugang findet. Auch gibt es zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum kaum vergleichbare Feldstudien und insofern ist diese Arbeit ein wichtiges und interessantes Zeitdokument.

(Roland Girtler, Soziologe/Kulturanthropolge)

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FALTER-Rezension

"Mei Mutter konnte sich mich nicht leisten"

Livio Koppe in FALTER 32/2025 vom 08.08.2025 (S. 40)

Am Abend des 26. Juni 1983 flogen Ziegelsteine, brennende Matratzen und Molotowcocktails vom Dach des Jugendzentrums in der Gassergasse in Wien-Margareten. Wenige Tage später rissen Bulldozer das Gebäude nieder. Die "GaGa" war Geschichte. "I hab des erste Mal in meinem Leben a Zhaus ghabt, und jetzt ist alles aus", sagt M.
Im Jugendzentrum in der Gassergasse, von vielen nur GaGa genannt, kamen alle möglichen Jugendströmungen und Subkulturen zusammen. "Die Rocker sitzen neben den Schwulen", beschrieb die damalige SPÖ-Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner die Vielfalt in der GaGa. 1981 übergab die Gemeinde Wien das Gebäude dem "Verein zur Schaffung, Förderung und Unterstützung von selbstverwalteten Kultur-und Kommunikationszentren". Dieser eröffnete dort das erste autonome Jugendund Kulturzentrum Wiens. Hier gab es eine alternative Volksschulklasse; kürzlich entlassene Häftlinge arbeiteten in Werkstätten und Ateliers. Rocker, Mods und Skinheads trafen sich hier - und Punks. Um die 150 davon waren Anfang der 80er in der Gassergasse unterwegs, einige schliefen zeitweise dort.

Mehr als ein Jahr lang besuchte der Soziologe Herbert Grabner damals regelmäßig die Gassergasse. Er war Soziologiestudent, zu den Punks forschte er, weil er immer schon ein "Herz für Außenseiter" hatte, wie er sagt. In der GaGa lernte Grabner unter anderen M. kennen und schrieb ihre Biografie auf. Er verbrachte Nächte im Punkbeisl, wo zu Punkrock geraucht, getrunken, gekifft und gezogen wurde; spielte Billard mit den jugendlichen Punks. Die meiste Zeit aber beobachtete er und hörte zu.

Vor einigen Wochen, mehr als 40 Jahre, nachdem er sie geschrieben hatte, erschien seine Diplomarbeit als Buch. Zentral in "Die Punks in der Wiener Gassergasse" sind die Protokolle der Punks M., T. und N., die damals in der GaGa lebten. Alle Zitate der drei Punks stammen aus diesen Protokollen. Ihre Geschichten lassen das Wien der 80er und dessen jugendliche Subkulturen lebendig werden.

M. wurde als Kleinkind ihren Großeltern zur Betreuung übergeben, die Mutter arbeitete damals als Prostituierte in München. "I kenn ehm eigentlich fast gar net", sagt M. über ihren Vater. Mit elf oder zwölf nahm sie zum ersten Mal heimlich Valiumtabletten. Damals begannen auch die Probleme mit ihrem Großvater: "Er hat mi dauernd gschlagn und gschimpft, dass i a Schlampn bin." Einmal versuchte M., sich die Pulsadern aufzuschneiden, aus Frust über ihr Familienleben.

Irgendwann haute sie von zuhause ab, zog zu ihrem ersten Freund und lernte kurz darauf die Punks in der Gassergasse kennen. Wenige Wochen später, M. war damals 16, zog sie in der GaGa ein. "I hab eigentlich a gar keine andere Wahl ghabt; bei meine Großeltern, des wär schrecklich für mich gwesen."

Die Punkbewegung entstand Mitte der 70er in New York und London. Punks stellen sich gegen die Konsumgesellschaft und soziale Normen. Sie lehnen Arbeit ab und erschnorren, was sie zum Leben brauchen.

Als in den 80ern erstmals Punks über den Wiener Stephansplatz spazierten, war die Öffentlichkeit schockiert. Irokesen-Frisuren, nietenbesetzte Gürtel, schwarze Lederjacken mit Aufschriften wie "Terror" und "RAF", lebende Ratten auf den Schultern, das waren "ästhetische Provokationen", sagt Herbert Grabner.

Aber nicht nur modisch stachen sie heraus, auch sonst hielten sich die Punks nicht an gesellschaftliche Spielregeln: Sie rauchten in der Straßenbahn, urinierten auf der Kärntner Straße und hatten Sex im Volksgarten -für Letzteres wurde T. einmal verhaftet. "Man hat keine Vorstellung davon, was für eine Lawine da in den Medien losgegangen ist", erzählt Grabner. "Die Punks waren für viele der letzte Abschaum."

Besonders die GaGa war manchen ein Dorn im Auge. ÖVP und FPÖ wollten das Jugendzentrum schließen. Auch Anwohner beschwerten sich, es sei zu laut, es werden Drogen konsumiert. "Die san nackert auf dem Flachdach g'wesen. Geschlafen habn s'dort miteinander", wird eine Pensionistin 1983 im Profil zitiert.

Die Stimmung eskalierte, als die Bewohner des autonomen Jugendzentrums am 26. Juni 1983 ein Protestfest abhielten. Sie wollten auf von der Stadt Wien versprochene, aber nicht ausbezahlte Subventionen aufmerksam machen. Kurz nach 20 Uhr gingen erste Beschwerden wegen Lärmbelästigung bei der Polizei ein.

Als zwei Polizisten die GaGa betraten, wurden sie umringt und mit gelbem Lackspray besprüht. Die Polizisten riefen Verstärkung, die Lage eskalierte: Zunächst flogen Ziegelsteine vom Dach des Jugendzentrums, später auch Molotowcocktails und brennende Matratzen.

Um 1.05 Uhr stürmte die Polizei das Gebäude und verhaftete 63 Leute -"unter Anfeuerungsrufen der Anrainer", schrieb die Volksstimme damals. Auch M. war unter den Verhafteten. "Wias uns alle verhaftet haben, haben di Leut gsagt, vergasts des Gsindl", sagt sie. Wenige Tage nach der "Schlacht in der Gassergasse"(Presse vom 28. Juni 1983) wurde das Jugendzentrum abgerissen.

Als die Gassergasse geräumt wurde, war Mike Blumentopf noch kein Punk. Erst 1988 schnitt er sich seinen ersten Irokesen. Er erinnert sich, dass damals bei einer Straßenbahnstation ein Kind auf ihn zeigte: "Der schaut ja komisch aus!" - "Das ist ein Alien", antwortete der Vater.

Mike Blumentopf muss lachen, als er diese Geschichte erzählt. Er heißt eigentlich Michael Wollitzer, ist jetzt 53 Jahre alt, sitzt in seinem Atelier in Währing, raucht Tschick und trinkt Bier.

Er trägt einen knallorangen Overall, seine Haare trägt er als "klassischen Iro", sie sind blau, grün und pink.

Punk ist er noch immer, sagt er, auch ohne Lederjacke und Ratte auf der Schulter. Punk ist schließlich eine Lebensphilosophie für ihn: "Punk sein heißt: Jeder Mensch ist frei, darf aussehen, wie er will, und tun, was er möchte. Solange er kein Arschloch ist", sagt Wollitzer.

Soll heißen: Eigentlich könnten alle Punks sein. Und trotzdem findet man sie in Wien kaum mehr. Von Punks besetzte Häuser gibt es in Wien derzeit keine. Die letzte große Aufregung ist auch schon mehr als ein Jahrzehnt her: Um Altmieter zu vergrau len, holte sich ein Immobilieninvestor 2011 Punks in sein Haus in der Mühlfeldgasse im zweiten Bezirk und gab ihnen einen bis Juni 2012 befristeten Mietvertrag.

Doch der Plan ging in die Hose, die Punks solidarisierten sich mit den Hausbewohnern. Die alte Pizzeria im Erdgeschoß wurde zur "Pizzeria Anarchia", gegen Spenden buken die Punks Pizza.

Im Sommer 2014 rückte die Polizei mit Panzerwagen, Hubschrauber und Wasserwerfern an, um das Haus zu räumen. "TAU-SENDSIEBENHUNDERT gegen NEUN-ZEHN" titelte der Falter damals. Zwölf Stunden dauerte es, bis die 1700 Polizisten und Beamten 19 Punks festgenommen hatten.

Wer sich heute auf die Spuren der Wiener Punkszene begibt, landet im Ernst-Kirchweger-Haus, im Arena-Beisl -und im Venster99. Nahe der U6-Station Alser Straße liegt diese "grungy punk bar", wie sie die New York Times 2023 beschrieb. An einem Donnerstag Ende Juli spielt die australische Hardcore-Punk-Band Punter dort, es riecht nach Bier, Zigaretten und Haschisch.

Gegen halb neun sitzen ein paar Leute in Lederjacken vor dem Eingang und rauchen. An der Eingangstür prangen Sticker und Schmierereien, ACAB, ein großes, umkreistes A für Anarchie. Viel los ist aber nicht. Wären T., N. und M. hier, sie würden die Gäste wohl Modepunks schimpfen.

Denn die Stilelemente der Punks sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt der Soziologe Grabner. Das sei der natürliche Ablauf von Jugendkulturen: "Irgendwann gibt es Künstler, die das in die Welt transportieren, so wie zum Beispiel die Sex Pistols. Sie geben dem eine Bühne und machen es weltweit bekannt."

Eine neue Ästhetik ist nicht das Einzige, was jugendliche Subkulturen ausmacht. Sie zeigen auch gesellschaftliche Probleme auf.

Welches Problem haben die Punks sichtbar gemacht? "Sie haben gezeigt, dass alleinstehende Frauen ein blinder Fleck der Gesellschaft sind."

Das zeigen auch die Biografien der drei Punks in Grabners Buch. Alle drei Fälle erzählen von zerbrochenen Familien, abwesenden Vätern und Müttern, die sich nicht alleine um die eigenen Kinder kümmern können. T. etwa wurde als Fünfjähriger einer Kinderübernahmestelle übergeben, er verbrachte seine Kindheit und Jugend in verschiedenen Heimen. "Mei Mutter hat sich mich nicht leisten können", sagt er.

N. wurde mit 18 von seiner Mutter hinausgeworfen, er landete erst im Obdachlosenasyl und später in der Gassergasse. "Denen wurde die Kindheit gestohlen", sagt Herbert Grabner. Ohne familiäre Stütze fielen sie durch alle Raster. Die GaGa war das Einzige, was zwischen ihnen und einem Leben auf der Straße stand. Einmal sagte T. zu Herbert Grabner, eine treffendere Bezeichnung für die Punkbewegung wäre "missed generation".

Nachdem die GaGa 1983 geräumt worden war, verlor Herbert Grabner bald die Spur der drei Jugendlichen. Auch Grabner forschte nicht weiter, sondern arbeitete in der Wirtschaft.

Ein paar Mal sah er T. noch am Naschmarkt und im WUK. Ob T., N. und M. noch leben, weiß er nicht.

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