

Spurensuche mit Spuk -eine Studie der Widerspenstigkeit
Sieglinde Rosenberger in FALTER 43/2024 vom 25.10.2024 (S. 21)
Hilde Krones war ein Kind des Roten Wien. Geboren 1910, hat sie die großen Umwälzungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts miterlebt: Erst war sie im Widerstand gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus aktiv, nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie in den SPÖ-Parteivorstand und in den Nationalrat ein. Dann, mit 38 Jahren, unmittelbar nach einer Rede bei einer Nationalratssitzung, beendete sie ihr Leben.
Der Politikwissenschaftler und Historiker Georg Spitaler hat den umfassenden Nachlass von Hilde Krones aufgearbeitet. Die erstmals zugänglichen Quellen geben Einblick in Alltag, Leben und Politik dieses außergewöhnlichen Lebens zwischen den 1920er-Jahren bis 1948. Besonders berührend sind persönliche Briefe von Hilde Krones an ihren Ehemann und von politischen Weggefährten an sie. Spitaler ist sich dabei der Verantwortung im Umgang mit diesem teils sehr intimen Material bewusst, ebenso der Gefahr des voyeuristischen Blicks auf Persönliches.
Politisierung in den 20er-Jahren Das Buch lebt von Primärquellen, die durch bereits vorliegende historische Studien ergänzt werden. Spitaler nutzt politische Theorien, feministische Zugänge und affektive Ansätze, um das Archivmaterial in sogenannte Fallgeschichten zu verdichten. So leuchtet er das persönliche wie politische Leben aus. Er zeigt, wie Krones mit heiklen Themen wie ehelichen Beziehungen, Abtreibung, Berufs-und Sorgearbeit von Frauen umging. Tiefe politische und persönliche Gefühle, Hoffnung und Verzweiflung durchziehen das Material. Überraschend und innovativ ist der Rückgriff auf die Hauntologie, auf die Idee des Spuks und der Geister. Dieser methodische Trick erlaubt es, untypische Phänomene zu entdecken und zu versuchen, Zusammenhänge zwischen Widerspenstigem herzustellen. Forschende Séancen rekonstruieren Wissen, das aus der Biografie selbst resultiert und gleichzeitig weit über diese hinaus reicht.
Die Spurensuche anhand des Lebens von Hilde Krones ist aus mehreren Gründen aktuell äußerst interessant. Sie zeigt, wie in den 1920er-Jahren junge Menschen politisiert wurden, wie Frauen ihre eigenständigen Wege in der Männergesellschaft gingen, welche Emanzipationsbilder sie hatten und welche Arbeits-und Liebeskonzepte sie realisierten. Hilde Krones lebte beruflich wie privat nach dem Motto "Ein Stück meines Rechts verlangen".
Hoffnung auf eine Revolution Sie verdeutlicht, wie bedeutsam Hoffnung auf ein anderes Leben und eine bessere Politik ist. Ohne Zukunftsvision ist politisches Engagement in Kriegs-und Krisenzeiten schwer möglich und sind Schmerz und Leid schwerer zu ertragen. Für Krones und ihre Generation lag die politische wie persönliche Hoffnung in der Vollendung durch eine Revolution. Diese Hoffnung gab die Kraft, politisch aktiv sein zu wollen.
Aktuell besonders spannend ist das Buch dort, wo es an die ideologischen Flügelkämpfe in der österreichischen Sozialdemokratie nach 1945 erinnert. Hilde Krones repräsentierte den revolutionären Flügel. Gegenspieler war der moderate Flügel, der die Sozialdemokratie in der Zweiten Republik an der Seite der Sozialpartnerschaft und in der Regierung sah. Krones wurde als KPÖlerin diffamiert. Spitalers Buch lässt ein bisschen erahnen, wie Menschen an ideologisch nicht überbrückbaren Spaltungen zerbrechen können. Insbesondere dann, wenn sie nicht durch ein persönliches Umfeld aufgefangen werden.