

DER PATRIARCHATSINDEX
Anna Goldenberg in Falter 10/2025 vom 2025-03-05 (S. 35)
Was hat ein Penis neben einer Prozentleiste zu suchen? Was nach einer pubertären Kritzelei aus dem Mathematikunterricht klingt, ist bei Lenka Reschenbach wohlüberlegt und witzig. Es handelt sich nämlich um eine Infografik, die darstellt, wie viele Menschen der Aussage zustimmen, dass Männer besser für Führungspositionen geeignet sind als Frauen.
Ganze 21 Prozent, so das Ergebnis einer Umfrage von UN Women aus dem Jahr 2022. Um das Verhältnis zu illustrieren, hat Reschenbach einen langen Penis neben die Prozentskala gesetzt. Der Eichelkranz ist so eingezeichnet, dass er ein Fünftel des Penis einnimmt.
Pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März ist im Falter Verlag ein Buch mit Reschenbachs frechen Infografiken erschienen. "Der Patriarchatsindex" heißt es, in allen Zeichnungen sind aktuelle Daten und Fakten rund um die Gleichbehandlung der Geschlechter dargestellt. Und zwar nicht als Balken oder Tortengrafiken, die man schon oft gesehen hat, schließlich geht es beim Geschlechterverhältnis "um Menschen, und nicht um Torten", sagt Reschenbach.
Die Frau mit der sanften Stimme, heute 29, stammt aus einer Wiener Künstlerfamilie. Die Mutter ist Kunstlehrerin, der Vater Bildhauer. Stifte und Papier gab es zuhause stets zuhauf. "Wenn mir langweilig war, habe ich entweder gezeichnet oder die Augen zugemacht und mir etwas Kreatives vorgestellt", sagt sie. Etwa, wie sie Räume neu einrichten würde.
Dennoch entschied sich Reschenbach zunächst gegen die Künstlerkarriere und studierte stattdessen Rechtswissenschaften an der Universität Wien. "Es war auch ein bisschen Rebellion", sagt sie heute. Und fügt hinzu, dass ihr das Studium sehr wohl Spaß gemacht hat. "Ich wäre eine glückliche Anwältin geworden." Auch das Gerichtsjahr absolvierte sie.
"Das Ende der patriarchalen Ehe in Österreich", so lautete der Titel von Lenka Reschenbachs Diplomarbeit. Die Jus-Studentin hatte sich ein rechtshistorisches Thema ausgesucht. Sie ackerte alte Gesetzestexte und die Protokolle von Nationalratssitzungen durch, um zu verstehen, wie sich Familien-und Eherecht in Österreich entwickelt haben. Um im Jahr 2018, als sie ihr Studium abschloss, zu dem Fazit zu kommen: "Wir können eigentlich nicht vom Ende des Patriarchats reden. Wir sind noch mittendrin."
Die Fragen rund um die Gleichberechtigung von Frauen ließen sie nicht los. "Viele Diskussionen werden nicht sachlich, sondern emotional diskutiert", sagt sie. "Man ist schnell bei gefühlten Wahrheiten." Die einen, die behaupten, es gäbe keine Diskriminierung mehr. Und die anderen, die ebenfalls oft nicht differenzieren. Die Fakten gibt es, aber wie kommuniziert man sie?
Reschenbach hatte da eine Idee. 2017, als sie das Jus-Studium beinahe abgeschlossen hatte, bewarb sie sich doch noch auf der Universität für angewandte Kunst, um Kommunikationsdesign zu studieren. "Ich hab mir gedacht, jetzt trau ich mich das mal", sagt sie. Außerdem war sie damals gerade einmal 22 Jahre alt. Reschenbach bekam den Studienplatz. Auch im neuen Fach ließ sie die Geschlechterfrage nicht los. Für ihr Diplomprojekt an der Angewandten recherchierte sie Daten und Studien zu den zentralen Fragen rund um die Gleichberechtigung der Geschlechter -und goss diese in Infografiken. "Auch mir sind Zahlen fremd", sagt sie. "Also wollte ich sie nahbar machen."
Der Falter Verlag bringt Reschenbachs erweiterte Diplomarbeit nun als Buch heraus. Ganz ohne Torten. Im Gegenteil: Es menschelt, und zwar schonungslos, sind die Dargestellten doch nackt. Der Humor bleibt dennoch subtil, der Strich auch bei schwierigen Themen respektvoll. Das Kapitel zu Gewalt, erzählt Reschenbach, sei eine besondere Herausforderung gewesen.
Wie illustriert man Vergewaltigungen (eine von zehn Frauen wurde vergewaltigt), Morde und Mordversuche an Frauen und Mädchen (74 waren es 2021) oder das Geschlechterverhältnis bei Gefährdern (90 Prozent sind Männer)? Tränen, Sternchen -die Lösungen, die sie fand, sind zurückhaltend und dennoch einprägsam.
Mittlerweile zeichnet Reschenbach hauptberuflich. Sie arbeitet als Illustratorin und Art Director in einer Werbeagentur.
Es ist übrigens nicht so, als hätte Reschenbach nicht auch im Unterricht gekritzelt. Um bei Vorlesungen aufmerksam zu bleiben, zeichnete sie nebenbei kleine Motive auf ihre Unterlagen. So auch in einer Lehrveranstaltung, in der Falter-Chefredakteur Florian Klenk vortrug. Der von den Zeichnungen begeistert war.