

"Weg mit dem Hut, den will ich nie wieder sehen!"
Gerhard Stöger in Falter 22/2025 vom 2025-05-28 (S. 28)
Einmal wäre Glück, zweimal enormer Zufall. Aber drei-, viermal? Stefan Redelsteiner, 1982 geboren und am Rande Wiens in Floridsdorf aufgewachsen, hat mit Wanda, Voodoo Jürgens und Nino aus Wien gleich drei herausragende Acts des sogenannten neuen Austropop entdeckt und auf ihrem Weg zum Erfolg begleitet.
Der Studienabbrecher gründete 2007 das Label Problembär Records, das er 2013 um ein Butterbrot verkaufte, dann aber noch ein Weilchen managte. Mit Redelsteiner Dahimène Edition (kurz: RDE) wurde der Musiktyp 2012 auch zum Buchverleger. Redelsteiner überredete damals eine Saufbekanntschaft, ihre Facebook-Statusmeldungen zum Buch zu machen - und initiierte so Stefanie Sargnagels Karriere.
Seinen kommerziellen Höhepunkt erlebte der 42-Jährige mit Wanda. Er lernte die damals selbst im Wiener Pop-Underground noch gänzlich unbekannte Band 2013 kennen. Drei Jahre später spielten Wanda in den größten Hallen -und Redelsteiner kündigte den Job als Manager der Gruppe, erschöpft, enttäuscht und entnervt.
In "Der Problembär. Die Abenteuer des Musikmanagers Stefan Redelsteiner am Rande von Wien, Wanda und Wahnsinn" hat Falter-Redakteur Gerhard Stöger diese und viele andere Geschichten protokolliert. Das Buch ist die facettenreiche Biografie eines großen Rock-'n'-Roll-Romantikers und zugleich eine kurzweilige Erzählung über die Popstadt Wien nach der Jahrtausendwende.
Das hier abgedruckte, stark gekürzte Kapitel führt zurück in jene Tage, als Wanda in Stefan Redelsteiners Leben traten.
Filmriss Meine erste Begegnung mit Marco Wanda vergaß ich alkoholbedingt sofort wieder. Hätte er diese Geschichte nicht später in einem Interview erzählt, wüsste ich gar nichts davon. Jedenfalls fiel mir Anfang 2013 kein Programm für den monatlichen Problembär-Club im Rhiz ein, also machte ich einen Open-Mic-Abend für unbekannte Acts ohne Label.
Am späteren Abend tauchte ein ungutbetrunkener Krawalltyp auf, einen Kompagnon im Schlepptau. Beinahe hätten wir sie rausgeworfen, weil sie sich so aufführten. Letztlich lautete der Deal: Okay, spielt halt -aber dann schleicht ihr euch! Weil sie derart unangenehm aufgefallen waren, hörte ich sie mir gar nicht erst an. Was interessieren mich diese Idioten, dachte ich - und vergaß das Ganze sofort, bis Marco die Geschichte Jahre später einem deutschen Radiosender erzählte. So von wegen: "Unser Manager weiß das vermutlich gar nicht mehr, aber "
Im Spätsommer 2013 ging ich zum Volksstimmefest im Prater, bei dem es immer auch ein umfangreiches Konzertprogramm gibt. Anschließend saß ich im Dezentral im zweiten Bezirk zufällig neben Laura Landergott, der Gitarristin der Band Eternias. Irgendwann erzählte sie mir von einem alten Kindheitsfreund, einem gewissen Marco.
"Der müht sich so ab, aber niemand will etwas mit ihm zu tun haben. Er ist halt auch ein schwieriger Typ. Aber er macht gute Musik. Leider verscherzt er es sich immer gleich mit allen. Aber für Problembär könnte das durchaus etwas sein. Willst du dir das nicht einmal anhören?" Klar, dachte ich mir, immer nur her damit, ich bin eh der Typ für die schwierigen Fälle.
Blöderweise endete der Abend an diesem Punkt noch nicht. Irgendwann war ich derart betrunken, dass ich einen kompletten Filmriss hatte. Zwei Wochen später schrieb Laura mir und Ilias Dahimène gleichzeitig eine Facebook-Nachricht. Die Eternias waren auf seinem Label Seayou Records, daher wusste sie, dass Problembär inzwischen auch ihm gehörte.
"Hey Stefan, ich hab dir nach dem Volksstimmefest doch von dieser Band erzählt. Gibt es da gar keine Reaktion? Du kannst mir ja auch sagen, wenn es dir nicht gefällt?" Ich konnte mich an keine Band erinnern, peinlicherweise wusste ich nicht einmal mehr, dass wir uns getroffen hatten. Im Facebook-Chat frischte sie meine Erinnerungen auf, Ilias las mit, und dann schickte sie uns den Link zu den ersten vier Songs, die diese Band auf Youtube online gestellt hatte.
Ilias und ich verstanden die Welt nicht mehr. Los ging es mit "Easy Baby", dann kamen "Auseinandergehen ist schwer","Bologna" und "So san die Leut". Keines davon hatte mehr als hundert Aufrufe. Auf dem Foto, das jeweils als Standbild hochgeladen wurde, sah man fünf junge Männer, die wie die Verkörperung all meiner Rockstar-Fantasien aussahen. Beiläufig cool, lässig, wie im Vorbeigehen abfotografiert, und dennoch war klar, dass in dieser Bildsprache bis ins kleinste Detail nichts dem Zufall überlassen war. Wie bei den Beatles und Oasis hatte ich mich wieder ins Bild verliebt, bevor die Musik noch losgegangen war.
Ebenso unglaublich waren die Songs selbst. Ilias und ich hatten denselben Gedanken: "Wahnsinn, wie gut das ist. Warum kennt die niemand? Man kann inmitten von Wien doch nicht im Vakuum existieren?!?" In Absprache mit Ilias schrieb ich Wanda eine Facebook-Nachricht. Hätte Ilias das selbst übernommen, würde er heute als der große "Wanda-Entdecker" gelten. Einmal ganz abgesehen davon, dass Laura Landergott uns die Band förmlich hinterhergetragen hat.
Bei Facebook sieht man, ob jemand eine Nachricht gelesen hat. Wanda taten das sehr schnell, antworteten aber nicht. Nach einigen Tagen fragte ich nach, und erst dann ließen sie sich in ihrer aufgesetzten Coolness dazu herab, mir zu schreiben. Ihr Image hatten Wanda damals schon verinnerlicht, und das bedeutete unter anderem: "Wir sind eine Gang. Außenstehende werden wie Eindringlinge behandelt und müssen sich erst als unserer würdig erweisen." Vielleicht war es auch nur Marcos Revanche für die Geschichte im Rhiz ein halbes Jahr davor. Irgendwann kam die genervte Antwort: "Ja, okay, eigentlich sind wir nicht auf der Suche, aber komm halt vorbei."
Ganz unbekannt war ich nach all den Problembär-Jahren 2013 nicht mehr. Vielen in der Szene galt ich durch Ninos Erfolg als eine Art Zampano. Die Reaktion einer noch völlig unbekannten Band hätte normalerweise "Wow, der Redelsteiner will etwas mit uns machen!" gelautet. Von Wanda aber kam nur ein achselzuckendes "Wer bist du überhaupt und was willst du?".
Easy Baby Ich sollte in ihren Proberaum im zweiten Bezirk kommen. Bei der angegebenen Adresse in der Leopoldsgasse angekommen, realisierte ich erst: Das ist ja direkt gegenüber dem Elternhaus meines Vaters, dem Gebäude also, in dem ich selbst als Kind oft zu Besuch gewesen war! Während ich aufgrund dieses surrealen Flashbacks an meinen gerade erst verstorbenen Vater dachte und kurz in meine eigene Kindheit zurückreiste, ging die Tür auf, und ich stand in einem zum Leben erwachten Rock-'n'-Roll-Gemälde.
Die Wiener Musikszene war damals anödend brav und politisch korrekt, wie es in solchen Bubbles eben üblich ist. Alle sind immer scheinheilig freundlich, eine heuchlerische Bussi-Bussi-Gesellschaft. Und mit einem Mal tat sich eine Welt auf, von der ich immer geträumt hatte, die mir in Musik-Wien aber noch nie begegnet war. Es war, als wäre meine eigene Oasis-Fantasie zum Leben erwacht -und ich mittendrin.
Vor mir stand ein cool aussehender, auf verlebte Art attraktiver Typ in Lederjacke, die Haare verwuschelt, als hätte er seit fünf Nächten nicht geschlafen, in der Hand eine Jack-Daniels-Flasche.
Anstatt mich zu begrüßen, nahm er einen Riesenschluck aus der Pulle, hielt sie mir hin und sagte mit schwerem Zungenschlag: "Hey, willst du auch?" Als De-facto-Alkoholiker, der ich damals war, sagte ich natürlich nicht nein, womit es intuitiv gleich eine erste Connection gab.
Dann gingen wir rein, und ich sah drei weitere verrückte Typen, dazu einen, der als Einziger nicht wie ein Prolo vom Bau aussah und in seiner gutbürgerlichen Erscheinung als Produzent erkennbar war. Paul Gallister. Der Schlagzeuger fehlte bei dem Treffen, aber ich wusste ja noch nicht, wer wer ist. Das Szenario wirkte wie im Film, alle sahen so cool, so perfekt aus.
Neben dem fertigen Typ mit der Whiskeyflasche saß ein muskelbepackter Prolo mit extrem charismatischen, stechenden Augen: weißes Unterleibchen, Bierflasche, wie ein Hackler auf Pause. Daneben ein Dandy mit längeren Haaren, Ringen an den Fingern, einem Zuhälter aus der "Kottan"-Welt nicht unähnlich. Ich blickte mich im Raum um und sah nur Superstars. "Wer von denen ist bloß der Sänger?", fragte ich mich. "Jeder dieser drei Typen wäre der charismatischste Frontmann jeder aktuellen Wiener Indieband. Bis auf den einen da, den Vierten!"- der wirkte in diesen ersten fünf Abtastminuten ruhiger, nachdenklicher und analytischer als die anderen drei.
Wie sich rasch zeigen sollte, war genau der Marco Wanda. Sie stellten sich nämlich nicht vor, sondern spielten ein Ratespiel mit mir: Wer spielt welches Instrument? Ich dachte, dass der Typ mit der Whiskyflasche der Schlagzeuger sei, denn es wäre der Lottosechser gewesen, wenn er auch noch singt. "Nein, ich bin der Gitarrist, Manu." Ich war erleichtert: Zumindest versteckt er sich nicht hinter dem Schlagzeug.
Als klar war, wer der Frontmann ist, dachte ich kurz: Oh, schade, der Uncoolste - aber okay. Obwohl Marco tatsächlich der Extrovertierteste der ganzen Band ist, gab er sich zu Beginn sehr zurückhaltend. Er wollte offenbar genau beobachten, wie ich mit seinen Leuten umgehe. Letztlich war auch das wie im Film: Der Typ, der in der Ecke sitzt und nichts sagt, ist in Wahrheit der Häuptling. Zuerst redete ich nur mit Manu, dem Bassisten Ray und Christian, dem Keyboarder, der sich konträr zu seinem Erscheinungsbild nicht als Prolo, sondern als feingeistiger Gentleman mit guten Manieren erwies. Sie hatten auch einen verdammt guten Band-Humor. Gerade so, als wären sie seit zwanzig Jahren beste Freunde. Wie die jungen Beatles alberten sie herum, sprangen einander unvermittelt an, begannen mitten im Gespräch, sich wie übermütige Achtjährige auf dem Schulhof zu balgen.
Was ist da los, was sind das für Leute, dachte ich mir. Dass Marco all das gezielt gesucht und gefunden hatte, sollte mir erst später klar werden. Von diesem Kalkül nichts ahnend, fragte ich mich so erstaunt wie fasziniert, in welchem Film ich da bloß gelandet bin: Wanda machen also nicht nur gute Musik, sie wirken auch noch wie eine perfekt zusammengestellte Boygroup für Indierock.
Irgendwann übernahmen Marco und Paul das Kommando und erklärten, dass sie hier die Chefs seien, die die Songs schreiben und aufnehmen würden. "Die anderen sind in erster Linie dazu da, um gut auszusehen", meinten sie. Im Scherz zwar, aber halt eben nicht nur. So ein Konzept hatte ich noch nie erlebt, aber es klang schlüssig.
Indie-Boygroup Dann präsentierten sie ihren Welteroberungsplan: "Es mag dir zwar ungewöhnlich erscheinen, eine Band so aufzuziehen, aber es wird das größte Ding, das du dir vorstellen kannst, und in Deutschland Zehntausender-Hallen ausverkaufen." Ich gab zu bedenken, wie lange ich schon mit dem Nino aus Wien arbeite und wie überschaubar der kommerzielle Erfolg trotz all der Anerkennung geblieben war.
"Vertrau mir", meinte Marco. "Meine Mutter ist Psychologin, noch dazu aus Deutschland. Ich kenne mich aus. Ich habe die Deutschen analysiert. Ich weiß, wie es geht, wir werden sie knacken. Gehen wir es richtig an, sind wir innerhalb eines Jahres die größte Band des deutschsprachigen Raums."
Das war ihr Anspruch, und Marco gab mir auch klar zu verstehen, dass ich mich gleich wieder schleichen könne, wenn ich mir das nicht zutraue. Ich hatte ja blöderweise unsere erste Begegnung vergessen, aber sie wussten umgekehrt genau, wer ich bin und was Problembär war. "Das interessiert uns aber genauso wenig wie jedes andere Wiener Indielabel. Ihr seid alle Versager, reine Indie-Nerds. Wir sind viel größer, eine andere Liga. Entweder du akzeptierst das oder wir machen es ohne dich. Aber wir glauben, dass es mit dir schneller funktionieren würde. Du musst einfach nur mitspielen. Wenn du aber erwartest, dass wir Respekt vor einem deiner Scheiß-Acts haben: Sorry, das spielt's nicht, wir machen das hundertmal besser."
Wanda hatten keinen Szeneeinblick, sie kannten praktisch niemanden, und niemand kannte sie. Aber sie spürten, dass abseits von Schlager kaum wer in Österreich von seiner Musik leben konnte und vieles mehr Behauptung als Realität war. Gleichzeitig waren sie überzeugt davon, dass die Zeit reif war, mit diesem Neo-Austropop die breite Masse zu erreichen.
"Was willst du wirklich, Stefan?", fragte Marco. "Willst du, dass nur Studenten deine Musik hören? Willst du dir weiterhin im Rhiz vor hundert Leuten gut vorkommen? Oder willst du, dass auch die Trafikantin aus Floridsdorf die Platte kauft, die du veröffentlichst?"
Klar, diese Frage musste man mir nicht zweimal stellen. Verdammt arrogant fand ich diese Typen trotzdem. Ich kannte ja gerade einmal vier Lieder, die zwar wirklich gut, aber vermutlich auch ihr bestes Material waren. Also fragte ich, ob es denn noch mehr zu hören gäbe. "Wir haben ein bisschen was aufgenommen", meinte Paul lapidar. Dann drückte er auf "Play" - und spielte mir im Prinzip die Songs der ersten beiden Wanda-Alben plus ein paar weitere vor. Und alle waren bereits zu 99 Prozent veröffentlichungsreif.
Jedes Lied ein Hit Normalerweise redet man in solchen Fällen zwischen oder während der Lieder. Ich aber saß nur fasziniert da, hörte mir alles an und dachte: "Das kann doch nicht wahr sein. Ist das geklaut und ich komme nicht drauf? Läuft hier gerade eine Aufnahme für ,Versteckte Kamera'?"
Stell dir vor, du kennst vier tolle Wanda-Lieder. Vier Lieder, die unentdeckt auf Youtube vor sich hindümpeln. Und dann sitzt du da und hörst: "Stehengelassene Weinflaschen","Kairo Downtown","1,2,3,4", "Bussi Baby" und so weiter. Und du denkst dir: Jedes Lied ist eine Single, jedes Lied ist ein Hit! Vor dieser Listening Session hatte ich mich Marco und Paul gegenüber noch skeptisch gegeben. Von wegen: "Lassen wir die Kirche im Dorf." Danach war ich still, denn ich wusste: Okay, die haben mit allem recht. Wanda werden das größte Ding. Spielen wir es halbwegs cool, muss das die erfolgreichste österreichische Gitarrenmusik seit Rainhard Fendrich und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung werden, anders geht es gar nicht.
Bis heute glauben viele, ich hätte das Image von Wanda entworfen. Tatsächlich musste ich nur ein paar Details feintunen, denn alles war bereits gründlich und fein säuberlich ausgedacht und vorbereitet. Meine Leistung bestand einfach nur darin, zu erkennen, wie gut dieses Team bereits eingespielt war, und Wanda von der Leine zu lassen. Lediglich einen kleinen, aber wichtigen Eingriff nahm ich anfangs vor: Schon beim ersten Treffen irritierte mich, dass Marco einen Indiana-Jones-artigen Hut trug, auch auf allen frühen Fotos, die vor meiner Zeit entstanden waren.
Wanda wollen Natürlichkeit ausstrahlen, und dann haben sie einen Sänger mit einem Hut, den in ganz Wien niemand sonst auf der Straße tragen würde. Also sagte ich schon beim ersten Treffen: "Weg mit dem Hut, den will ich nie wieder sehen!" Warum er ihm so wichtig war, wurde klar, als er ihn abnahm: Sein Haar dünnte bereits merklich aus.
Marco meinte, dass zu dieser Band kein haarloser Sänger passe, daher wolle er als Teil des Wanda-Konzepts nur mit Hut in der Öffentlichkeit herumlaufen. "Wenn du erfolglos bleiben willst, kannst du das ruhig durchziehen, denn dieser Hut ist einfach lachhaft", erklärte ich ihm. "Sollte der Plan trotzdem aufgehen, werden die Leute bald wissen wollen, warum dieser Sänger immer einen Hut trägt. Und der erste Schluss wird auch gleich der richtige sein, wie immer in solchen Fällen."
Mir war klar, dass wir von Beginn an offensiv damit umgehen müssen. Zumal es ja perfekt zum geplanten Image passte: Wir wollten Leute ansprechen, die nicht so viel Wert auf ihr Äußeres legen, die herumlaufen, als wären sie gerade aufgewacht, die sich nicht stundenlang vor dem Spiegel frisieren. Haarausfall, wunderbar!
Die anderen haben den eh nicht, und du, Marco, sprichst dann eben alle an, die Probleme mit Haarausfall oder vergleichbare Macken haben. Aber steh dazu und versuch nicht, etwas zu sein, was du nicht bist! Er akzeptierte sofort, schmiss den Hut in die Ecke und setzte ihn nie wieder auf.