

Die Liebe zu altem Stahl
Florian Holzer in Falter 41/2025 vom 2025-10-08 (S. 36)
Individualverkehr ist immer auch ein Statement. Menschen, die sich mit einem SUV fortbewegen, machen das nicht nur, weil das Aussteigen so bequem ist, sondern weil sie damit auch etwas ausdrücken wollen. Etwas, das vielleicht mit Macht und Dominanz zu tun hat. Wer eine alte Vespa fährt, findet höchstwahrscheinlich Italien super, und wer mit dem elektrischen Longboard die Mahü runterbrettert - Kopfhörer, Sonnenbrille, Blick aufs Handy -, gibt uns zu verstehen, dass ihn die Befindlichkeiten anderer gerade nicht kümmern.
Und was ist mit der wachsenden Zahl jener, die auf alten Rennrädern in der Stadt unterwegs sind? Gemeinsam ist allen, dass sie die Schönheit, die Grazie, die rasante Eleganz dieser historischen Maschinen über jede Vernunft stellen. Denn in Wien mit dem Rad zu fahren erfordert Mut und Leidensfähigkeit. Wirklich gute, sichere Radwege sind rar (nur ein Viertel der 200 Kilometer sind von der Fahrbahn und dem Gehweg getrennt), die Akzeptanz der Autofahrer, dass es sich bei Radfahrerinnen und Radfahrern um gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer handelt, ist gering.
Die einen setzen sich über solche Bedenken hinweg, weil alte Rennräder gerade extrem angesagt sind. Ein Vintage-Accessoire, das auch in der Werbung als Symbol für jugendlich-urbane Individualität herhält. Der Wunsch, im Trend zu liegen, ist eine starke Motivation.
Dann gibt es die nachhaltigen Rationalisten. Sie finden es gut, alte Rennräder wieder in Schuss zu bringen, damit das örtliche Handwerk zu fördern und Emissionen (die bei der Herstellung und dem Transport von billigen Fahrrädern aus Asien zwangsläufig anfallen) zu vermeiden.
Sie schätzen das Rennrad als das effektivste Fortbewegungsmittel, das die Menschheit bisher erfand: Ein Kfz setzt nur ein Fünftel der eingesetzten Energie in Fortbewegung um, beim Rennrad sind es bis zu 98 Prozent. Sie rechnen vor, dass man sich unterm Strich nicht schneller, leiser, billiger und effektiver fortbewegen kann als mit einem wiederbelebten Rennrad.
Diese Gruppe kann sich mit den sentimentalen Nostalgikern überschneiden, die Rennräder des sogenannten "Goldenen Zeitalters"(1970er- bis 1990er-Jahre) zeitgenössischen Geräten vorziehen, weil sie von Handwerkern gebaut wurden und nicht von Computer-Designern. Statt anthrazitgrau-stromlinienförmiger Uniformität bieten die alten Gefährte blitzendes Chrom, bunte Lackierung, feinst gefeilte Muffen-Verbindungen sowie Details, an denen man sich kaum sattsehen kann.
Dann gibt es die Forscher, die sich in die damals noch bestehenden Universen an Herstellern von Rahmen und Komponenten einnerden. Die Bastler, die die Herausforderung schätzen, mit den vier alten Gewindenormen zurechtzukommen und für jedes einzelne Bestandteil ein eigenes Werkzeug zu brauchen.
Und schließlich die Patrioten, die sich mit Inbrunst mit den hochwertigen Rennrädern beschäftigen, die bis Ende der 80er-Jahre noch in Österreich gebaut wurden, den Puch Mistrals, den KTM Stradas, den RIHs, den Selects, den Simplons,
Kurz: Es gibt in Wien sehr viele Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen für alte, schöne Rennräder begeistern. Sie haben Werkstätten entstehen lassen, die die alten Renner in Schuss bringen oder fit halten. Sie sind der Grund dafür, dass man diese alten Renner auf Wiens Straßen wieder sehen kann.
Das ist ein Grund dafür, dass ich dieses Buch schreiben musste.