

Der Glaube, der den Weltfrieden schafft
Verena Moritz in FALTER 42/2024 vom 18.10.2024 (S. 19)
Von Juhani Aho, einem 1861 in Finnland geborenen Autor, nimmt man in der Habsburgermonarchie nicht allzu oft Notiz. Mehrere Zeitungen drucken aber immer wieder kurze Beiträge des „Dichters“ ab und loben seinen Stil. 1905 veröffentlicht zum Beispiel die Agramer Zeitung einen Text des Schriftstellers – immerhin auf den ersten beiden Seiten. Damals beherrscht freilich der blutige Verlauf der ersten Revolution im russischen Zarenreich, zu dem auch Ahos Heimat gehört, die Schlagzeilen der internationalen Presse.
Mag der später als Anwärter auf den Nobelpreis gehandelte Finne im Habsburgerreich auch kein großer Starautor gewesen sein, eignete sich diese für ihn aber sehr wohl als Schauplatz jener Erzählung, die er 1916 unter dem Titel „Eremit des Friedens“ publizierte. Die nunmehr vorliegende, rund 150 Seiten umfassende deutsche Übersetzung beinhaltet auch jene Passagen, die in der finnischen Erstauflage der Zensur zum Opfer fielen. Damals duldeten die Behörden Klagen über die „Sinnlosigkeit“ eines „brutalen“, „verderblichen“, ja „absurden“ Krieges ebenso wenig wie den Protest gegen ein System, in dem alle ungefragt und unterschiedslos „in den Schlund des Todes“ getrieben würden.
Dem „Eremiten des Friedens“, einem „Tolstoi des Gebirges“, begegnet der Icherzähler in der Abgeschiedenheit der Berge, irgendwo in Österreich. Zuvor aber macht der urlaubende Alpinist noch die Bekanntschaft einer Gruppe von Studenten, die alle aus verschiedenen Ländern stammen und sich in naivem Optimismus über eine friedvolle Zukunft und eine vernunftbasierte Koexistenz ihrer „Völker“ verbreitern.
Trotz des Attentats von Sarajevo glauben die jungen Männer nicht an einen Krieg. Zu „zivilisiert“ sei man längst, zu sehr seien die einzelnen Staaten schon aufgrund wirtschaftlicher Interessen miteinander verbunden und zu vernetzt schließlich die ganze Welt: Angesichts moderner Kommunikationstechnologie und weitläufiger Verkehrswege würden sich Grenzen fast schon erübrigen. Der Urlauber ist skeptisch. Aber auch die Bewohner des Bergdorfs, das ihm als Ausgangspunkt für seine Wanderungen dient, pflichten der sorglosen Jugend bei.
Überzeugungsarbeit leistet dann auch der ominöse Einsiedler. Er ist, so skizziert ihn Aho, ein Tiefgläubiger der besonderen Art. Er setzt den Botschaften der national zersplitterten Amtskirche mit Priestern, die stets die Kanonen der jeweiligen Armeen segnen, das Geheimnis gelebten Glaubens entgegen. Und dieses Geheimnis offenbart sich in entwaffnender Einfachheit: Der Glaube vermag Berge zu versetzen! In dem Schilderwald, den der Eremit errichtet hat, ist unter anderem zu lesen: „Der Weltfrieden wird nicht Wirklichkeit, wenn niemand an ihn glaubt. Seine Verwirklichung beginnt sofort, wenn jemand an ihn glaubt.“
Wir wissen, wie es gekommen ist. 1916, als er den Roman verfasst, weiß das auch Aho. Aber er will glauben, dass es besser wird. Was bleibt ihm, dem notorischen Skeptiker, inmitten des großen Blutbads auch anderes übrig? Der Eremit verliert die Hoffnung erst recht nicht und berichtet – der Krieg dauert bereits viele Monate – freudvoll von Weihnachten an der Front und von Soldaten, die aufhörten aufeinander zu schießen. Weitere Verbrüderungen, von denen Aho noch nichts ahnt, werden folgen. Sie sind das Wetterleuchten eines ideologischen Konflikts, der im Zuge der beiden Russischen Revolutionen von 1917 weite Teile Europas in „Bloodlands“ verwandeln wird.
1921 würdigt eine österreichische Zeitung das Lebenswerk des im August jenes Jahres verstorbenen Autors. Sein Buch „Der Friedenseremit“ sei allerdings von „mehr grübelnder und diskutierender Art“ gewesen, heißt es. Über den Frieden nachzudenken, ist nicht zuletzt ein Prozess des Abwägens. Aho hat sich darauf eingelassen.