

In die USA der Größe wegen! Ernst Soudeks True Stories
Armin Thurnher in Falter 14/2013 vom 2013-04-03 (S. 40)
Österreichs legendärer Leichtathlet hat ein Buch über sein wildes Leben als Sportler und Akademiker geschrieben
Zum ersten Mal sah ich ihn Mitte der 1980er. Ich spielte Tennis auf den Cricketerplätzen, gegenüber dem Ernst-Happel-Stadion. Immer wieder traten dort furchterregende Horden von Hooligans auf. Ob man nicht an Polizeischutz denke, wenn ein internationales Spiel anstehe, fragte ich einen Klubverantwortlichen. Wir brauchen keine Polizei, sagte der. Wir haben den Soudek.
Der Soudek, das war ein Hüne, der damals jeden Tag bei Cricket in der Kraftkammer trainierte. Jeder Leser der Sportseiten wusste, wer "der Soudek" war. Kugelstoßer, Hammerwerfer, zwischen 1963 und 70 österreichischer Rekordhalter im Diskuswurf. Der würde allein mit einer Horde Hooligans fertig? Es kam nie zum Test, aber ich betrachtete Soudek mit anderen Augen.
Jahrzehnte später schickte er dem Falter eine Kurzgeschichte ("Zwei Fäuste wie Waffen", Falter 36/2012), die wir begeistert druckten. Eine True Story, wie Soudek versicherte, eine bizarre Orgie der Gewalttätigkeit. Ein Karatekämpfer hat seine Fingerknöchel durch wiederholtes Schlagen auf ein Brett so verhärtet, dass er sie als Waffen registrieren lassen muss. In Notwehr schlägt er einem Angreifer die Schädeldecke weg und schleudert das Hirn des Mannes einem weiteren Bösewicht ins Gesicht. Uff.
Ja, es gebe noch mehr solcher Geschichten. Manche mit mehr Sex, manche mit mehr Gewalt, manche mit beidem. Alle selbst erlebt. Es wurde ein Buch daraus. Ernst Soudek ist nämlich viel mehr als eine Figur der österreichischen Sportgeschichte. Ich treffe mich mit ihm im Kaffeehaus. Soudek erzählt.
Es sind nicht nur Raubersgschichten, die ich da geschrieben habe. Als einer, der jahrzehntelang Literatur lehrte, möchte ich schon darauf hinweisen, dass sich in meinem Buch ein Themenkreis schließt, dass das Motiv des Retters immer wieder auftaucht. Auch Gesellschaftskritik steckt drin. Ich habe aus selbst erlebten Geschichten lauter Fabeln gemacht.
Heute früh habe ich trainiert, ich bin noch immer stark. Ich sehe ein Mädchen, dessen Trainingsweise mir imponiert, gehe hin und frage sie, für welchen Sport sie trainiere. Darauf sie: Mach mich nicht an, Oida! Eine typisch Wiener Reaktion, so in Amerika undenkbar.
An meiner amerikanischen Uni habe ich einmal Martin Walser erlebt, der den versammelten Profs, unter ihnen ich, sagte, sie säßen fix angestellt und wohlbestallt da unten und er müsse sich vor ihnen den Kopf zerbrechen. Da dachte ich das erste Mal, es wäre schon schön, selbst ein belletristisches Buch zu schreiben. Meine FH-Kollegin, die Literaturwissenschaftlerin und gelegentliche Falter-Mitarbeiterin Diane Shooman, ermutigte mich, das oft Erzählte aufzuschreiben. Dann kam der Falter Verlag, und die Geschichten sprudelten. Der Rahmen: Sex, Sport, Gewalt. Als tumber Tor komme ich 1960 nach Amerika, und als tumber Tor kehre ich 1986 nach Österreich zurück. Immer treffe ich Retter, einen Mafiaboss, einen Leichtathletiktrainer, Helmut Zilk. In Wien wollen sie dich, wenn du Geld bringst, aber wehe, du willst was. Einen Posten. Oje, der nimmt jemandem Platz weg! Der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler, in den USA zum Freund geworden, half bei der schikanösen Nostrifizierung des akademischen Grads.
Nach Amerika bin ich gegangen, weil ich zu groß war. Ich war ein unglücklicher Teenager, meine Eltern steckten mich in die HTL, obwohl ich lieber an die Grafische gegangen wäre. Mein Vater war Kommunist, der wollte was Handfestes für mich. Wir hatten wenig Geld, andere fuhren auf Skikurs, ich nicht. Passendes Gewand gab es auch nicht, weil ich zu groß war. Alle hatten Lederjacke und Jeans, wer nicht? Der Ernsti. Aber dann hörte ich: Gary Cooper 1,95 Meter, John Wayne 1,93
diese Amis mögen große Leute, dachte ich.
Ein Onkel in Detroit machte die Reise möglich. Die Russen hätten mich nicht reingelassen, wäre mein Vater beim Kurier gewesen. Aber die Amis ließen mich rein, obwohl mein Vater bei der Volksstimme war. Kein politischer Redakteur, aber prinzipientreu. Er war halb jüdisch, meine Großmutter war getaufte Jüdin. Niemand wusste das. Mein Vater war Spion und fand die Wahrheit über Oma heraus. Aber das ist eine Geschichte fürs nächste Buch. Wie Vater die Nazizeit überlebte, ist mir ein Rätsel. Wie ich draufkam? Ich erzählte ihm eines Tages, wir hätten nun einen jüdischen Jungen in der Klasse. Da packte er aus.
Ich ging nicht des Sports, sondern der Größe wegen in die USA. Dass ich an einem Leichtathletik-Meeting teilnahm und gewann, war reines Glück, denn meine Disziplin Hammerwerfen stand nicht auf dem Programm. Also nahm ich den Diskus, und der Wind war günstig. Diskuswerfen ist ein aerodynamischer Bewerb. Der Kult-Coach Don Canham sah mich, drei Monate später verschaffte er mir ein Leichtathletik-Stipendium der renommierten University of Michigan. Ich blieb drüben.
Canham wollte mich als Sportstudent einschreiben. Ich entschied mich für Anglistik. Für ein Stipendium braucht man Studienerfolg. Den hatte ich. Master und Doktorat machte ich in Comparative Literature, dann fing ich an, Komparatistik zu lehren, Arthurian Literature, Wolfram von Eschenbach, Marlowe und so. Dazu gibt es eine Story im Buch. Später schaffte ich es an die Anglistikabteilung der Engineering-School der University of Virginia. Wurde als Nicht-Native-Speaker Associate Professor, quasi pragmatisiert, sicher meine größte Leistung. In der Germanistik kommen viele Deutschsprachige unter, aber in der Anglistik?
Steroide? Anabolika? Natürlich haben wir die genommen. Bis 1976 waren Anabolika nicht verboten. Mit 29 hielt ich den österreichischen Rekord im Diskuswerfen mit 58,80 Metern, das war untere Weltklasse. 60 Meter waren absolute Weltklasse. Da kam der besagte Don Canham und sagte: Ernie, you wanna be world class, don't you?' Klar. Also, sechs Wochen, je drei von diesen blauen Pillen. Vielleicht ein Placeboeffekt, aber ich warf gleich 62,50 Meter. In Österreich haben sie mich später im Fitnesscenter ausgelacht; so viel nehmen sie zum Frühstück, sagten sie. Ich denke, man sollte Athleten in zwei Klassen einteilen: Die behaupten, sie nehmen nichts, sollten überprüft werden, die anderen spielen in einer eigenen Liga, unter medizinischer Aufsicht.
Meine Schultern sind kaputt, die Rotormanschetten, aber auf der Brustmaschine hebe ich noch über 100 Kilo, 20 Mal hintereinander. Ich bin eitel, habe eine junge Frau, trainiere zweimal in der Woche. In Amerika waren es jeden Tag sechs Stunden, drei Krafttraining, drei Werfen. Ich war auch mit 45 Jahren bei den Senioren Weltmeister, das war mein größter Erfolg. Jetzt ist schon lange Schluss, ich habe es eh zu lang getrieben. Jeder sollte mit 35 aufhören. Aber mir saß die Olympiade im Nacken, da hatte ich was gutzumachen.
Ich verstehe den Schwimmer Markus Rogan gut, ich weiß genau, was er meinte. Das ist einer der erfolgreichsten österreichischen Sportler, und nur weil er am Ende versagt hat, wird er geächtet. Und wegen eines blöden Spruchs, wo er sich schlecht ausdrückte. Aber er hat recht, man darf nicht zu denken anfangen. Ich gehörte 1964 in Tokio zum Versagerteam, null Medaillen, man hatte auf mich gehofft, aber ich habe im Wurfkreis zu denken angefangen, die Knie haben geschlottert, und der Diskus fiel mir aus der Hand. Wahnsinn.
Was ich sage, wenn Leute mich als gewalttätig bezeichnen, meine Stories als machistisch? Das habe ich in mir. Reize den schlafenden Löwen nicht! In der Zeit, als ich Anabolika nahm, war ich sehr reizbar. Vielleicht haben die meine erste Ehe ruiniert. Krafttraining hebt den Testosteronspiegel, ich war nicht immer leicht auszuhalten.
1986 kehrte Soudek nach Wien zurück. Nach langem Suchen bekam er seinen Traumjob, leitete die Sprachabteilung an der Fachhochschule Technikum, lehrte Englisch (besser als Literaturseminare mit 15 Teilnehmern) und fand seine Martina. Jetzt, mit 73, lebt er als Pensionist und Schriftsteller, der nicht auf Tantiemen angewiesen ist. Herrlich! Österreich war fair zu ihm, er kriegt für 22 Jahre doppelt so viel Pension wie ihm die USA für die gleiche Zeit bezahlen.
Klar liest er, vorzugsweise Nicht-Fiction oder Halb-Fiction, Daniel Kehlmann findet er gut. Den hatte er übrigens einmal als Student, als Soudek auf der Germanistik ein Seminar über mittelalterliche Mystik abhielt. Kehlmann war schon damals brillant. Den Nobelpreis hätte Soudek Handke gegeben, aber er gönnt ihn auch der Jelinek. Bei der Literatur, sagt er, geht es mehr ums Gefallen als ums Belehren. Und sie sei sowieso Geschmackssache.
Wie er sich politisch einordne? Als Kennedy-Demokrat. Obama muss zu viele Kompromisse machen. Oder als Sozialdemokrat vom alten Schlag, solche, wie es sie nicht mehr gibt. Nicht Renner, sondern Seitz. Der Kapitalismus kann die Probleme nicht lösen, eines Tages wird der Marxismus in neuer Form wiederkommen.
Den Wiener Rekord im Diskuswerfen hält Soudek noch immer. Seit nunmehr 50 Jahren. Aber das ist keine Errungenschaft. Die Jungen wissen nicht einmal, was ein Diskus ist. Frag sie, ob sie die Statue von Myron kennen. Keine Ahnung!