Die Kugel und das Opium

Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens
432 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783100448156
Erscheinungsdatum 09.10.2012
Genre Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Verlag S. FISCHER
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S. Fischer Verlag GmbH
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Kurzbeschreibung des Verlags

»Die ruhelosen Seelen von 1989, die Opfer von 1989, meine Brüder, die Väter und Mütter von 1989, im Himmel, unter der Erde, im Regen und vom Wind davongeweht, wie sie waren, ich verneige mich vor euch.« Liao Yiwu

Am frühen Morgen des 4. Juni 1989 mobilisierte die chinesische Regierung die Volksbefreiungsarmee, um die friedlichen Demonstrationen Zehntausender Studenten niederzuschlagen, die mehr Freiheit und Demokratie forderten. Am Platz des Himmlischen Friedens richteten sie ein Massaker an, das die Welt schockierte. Wie viele Menschen die Panzer niederrollten, wie viele Studenten von Soldaten erschossen oder zu Tode geprügelt wurden, gab die chinesische Regierung nie bekannt.
Liao Yiwu, der über das Massaker ein Gedicht verfasste und dafür vier Jahre inhaftiert wurde, führte über Jahre hinweg heimlich Interviews mit Augenzeugen und Angehörigen der Opfer. Entstanden ist ein ebenso schockierendes wie bewegendes Zeugnis der unfassbaren Ereignisse vom 4. Juni und eine Verneigung vor den mutigen Menschen, die für ihre Überzeugungen mit ihrem Leben einstanden.

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FALTER-Rezension

Der Chronist der Ausgestoßenen

Sigrid Löffler in FALTER 51-52/2012 vom 21.12.2012 (S. 36)

In seinen Büchern nennt sich Liao Yiwu, der neue Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, selbst "Chronist der Ausgestoßenen und Missachteten am Bodensatz der chinesischen Gesellschaft". Doch was muss einer erlebt und erlitten haben, wie nahe muss er selbst den Menschen am unteren Rand der chinesischen Gesellschaft gekommen sein, bis er von sich sagen kann, er sei deren Chronist?
Liao Yiwu ist Autor, Dichter, Volkssänger, Musiker und Performer. Seine Werke sind in China verboten. Er ist 54 Jahre alt, er war in seinem Leben schon Straßenkind, Küchenhelfer, Lastwagenfahrer, Untergrundpoet, Gelegenheitsarbeiter, Herumtreiber, Krawallmacher, Straßenmusiker, schikanierter Dissident und politischer Häftling.

Seit seiner illegalen Ausreise aus China im Juli 2011, als ihm die Flucht über Vietnam nach Deutschland gelang, lebt Yiwu in Berlin-Charlottenburg als Stipendiat des DAAD, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Und seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis trägt er ostentativ den kahlgeschorenen Schädel der Häftlinge. Er ist der chinesische Parade-Regimekritiker der Stunde. Seine Lesungen und Auftritte mit Polit-Poesie, begleitet von Bambusflöte und summenden Klangschalen, sind in Deutschland und im Westen derzeit sehr gefragt.
In einer Rede, die er 2007 vor dem unabhängigen chinesischen PEN-Zentrum halten sollte, aber nicht durfte, nannte Liao den Hunger, die Schande, die Obdachlosigkeit und das Gefängnis als seine Lehrmeister. Alle vier hat Liao Yiwu am eigenen Leib erfahren. Geboren 1958, in der Zeit der großen Hungersnot, die durch Maos Kampagne "Großer Sprung nach vorn" ausgelöst wurde und mehr als 36 Millionen Chinesen das Leben kostete, lernte Liao schon als Kind den Hunger und die Schande kennen. Sein Vater, ein Hochschullehrer, wurde während der sogenannten Kulturrevolution als Abweichler und Revolutionsgegner angeklagt – das galt als Schande.
Der Sohn driftete nach dem Tod Mao Zedongs erst nach und nach in die Rolle des Regimegegners, der immer wieder verfolgt, verhaftet, verhört wurde, sich zeitweilig ohne festen Wohnsitz durchschlug und bei Freunden versteckte. In den 1980er-Jahren wandelte sich Liao vom anerkannten und mehrfach offiziell ausgezeichneten Lyriker zum rebellischen, mit westlichen Lyrikstilen experimentierenden und mit der Avantgardeszene gut vernetzten Untergrundpoeten. Prompt wurde er wegen seiner aufsässigen Gedichte von den Behörden auf die schwarze Liste missliebiger und verbotener Dichter gesetzt.

Damals war Liao noch ein naturwüchsiger Individualist und Anarchist, ein gefühlsmäßiger, eher unpolitischer Dissident: "Ich hatte das alles schon immer verachtet, den Staat, die Massen, die Parteien." Politisiert und zum Regimekritiker gemacht hat ihn erst die gewaltsame Niederschlagung der Studentenrevolte im Frühjahr 1989, deren Forderungen nach Demokratie, Meinungsfreiheit und Parteireform am 4. Juni 1989 auf dem Tian'anmen-Platz von Armeepanzern blutig niedergewalzt wurden. Dies war das einschneidende Erlebnis, das Liao Yiwus Leben bis heute bestimmt: die Unruhen in China im Frühjahr 1989 und die Massendemonstrationen auf dem "Platz des himmlischen Friedens" in Peking.
Liaos Gedicht "Massaker" ist ein Aufschrei gegen dieses Blutbad und dessen Opfern gewidmet. Es kursierte bald in geheimen Tonbandaufnahmen im ganzen Land. Hinzu kam ein zweites Gedicht "Requiem" zum Gedenken an die Seelen der Opfer, zu dem Liao und seine Freunde einen Untergrundfilm produzierten, der als Video kursierte.
In der Folge bekam Liao die ganze Härte der Maßnahmen zu spüren, mit denen die Staats- und Parteiführung den Freiheitswillen der Aufständischen vom Tian'anmen unterdrückte. Im Zug einer großangelegten Verhaftungswelle gegen Dissidenten im März 1990 wurde auch er gefangen genommen und wegen "Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda" zu vier Jahren Haft verurteilt. Seine Ton- und Videobänder und seine Manuskripte wurden beschlagnahmt.

In den Jahren seiner Haft durchlief Liao alle Unrechtsstufen des chinesischen Justizsystems und erlebte alle Facetten von Willkür, Misshandlung und Folter. Sein monumentaler Zeugenbericht "Für ein Lied und hundert Lieder" ist nicht nur eine Chronik seiner Peinigungen im chinesischen Gulag; das Buch ist auch eine Dokumentation der Justizverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in China.
In seinen zweieinhalb Jahren in U-Haft wurde Liao als politischer Gefangener mit gewöhnlichen Kriminellen, Mördern und Räubern zusammengesperrt und lernte die grausamen Gesetze kennen, nach denen die Häftlingsgesellschaft in den entsetzlich überfüllten Kerkerzellen sich selbst organisiert. Das Gefängnis erwies sich als Liaos härtester Lehrmeister: Er hatte den innersten Kreis der Hölle erreicht, ein Inferno der menschlichen Erniedrigung und Entwürdigung. Er hatte den Bodensatz der chinesischen Gesellschaft kennengelernt.
Noch ehe Liao 1994 vorläufig freikam, hatte er begonnen, seine Gespräche mit Mithäftlingen aufzuzeichnen – mit Knastkönigen und Zellensklaven, mit Serienmördern, Opfern und stillen Helden. Er sprach auch mit politischen Gefangenen, die wegen der Ereignisse am Tian'anmen einsaßen, und begann ihre Geschichten heimlich zu protokollieren. Im Gefängnis wurde Liao Yiwu, der Chronist der Unterdrückten, geboren.
Von seiner Ehefrau und seinen Freunden verlassen und stets überwacht von der Polizei machte sich Liao seit Mitte der 1990er-Jahre zum Sprachrohr für die unteren Schichten des Volkes. "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser", seine Sammlung von Interviews mit Ausgestoßenen und Verfemten, wurde von den Behörden verboten. Mit diesen Gesprächen mit einem Leichenschminker, einem Klomann, einem Mönch, einem Grabräuber und anderen Outcasts, die vielfach die gleichen vier Lehrmeister hatten wie Liao selbst und doch auf ihrer Menschenwürde beharren, legt Liao in aller Drastik die ungeschriebene Kulturgeschichte Chinas von Mao bis heute vor.

Das schwerste Trauma, das bis heute nicht öffentlich thematisiert werden darf, packt Liao in seiner jüngsten Publikation an: In "Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens" protokolliert Liao Zeugenaussagen und Geschichten von Opfern und Überlebenden des Blutbads am Tian'anmen-Platz. Als Untergrund-Historiker sieht er seine Aufgabe darin, die Erinnerung an die demokratische Volkserhebung vom Frühjahr 1989 wachzuhalten, die in seinen Augen ein "Wendepunkt in der chinesischen Geschichte" war.
Denn darum geht es Liao Yiwu in all seinen Büchern und Auftritten: den Westen immer wieder daran zu erinnern, über den profitablen Wirtschaftsbeziehungen zu China die Menschenrechte nicht aus den Augen zu verlieren.

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