

Vom Sterben des spielenden Mannes
Martin Pesl in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 43)
Es war von Anfang an klar, dass dieses Buch zum Testament werden würde. Als Saskia Jungnikl-Gossy Anfang dieses Jahres begann, sich mit Peter Simonischek zu Gesprächen über sein Leben zu treffen, hatte er seine Diagnose bereits erhalten: Lungenkrebs, inoperabel.
Am 29. Mai 2023 starb der Schauspieler 76-jährig in Wien. Wenige Tage zuvor, so schreibt Jungnikl-Gossy in der Einleitung, habe sie ihm noch die fertige Fassung vorgelesen. In Händen halten kann Simonischek das Buch nicht mehr. Es ist sein zweites. 2006 erschien „Ich stehe zur Verfügung“ mit Interviews, die er dem Schweizer Journalisten Andres Müry gab.
Unweigerlich ist „Kommen Sie näher“ mehr ein Feature über Simonischeks letzte Lebenswochen als ein Gemeinschaftsprojekt. Laut Buchdeckel ist Jungnikl-Gossy nur Ko-Autorin, doch ihre eigenen Betrachtungen nehmen viel Raum ein. Sie baut sie anhand der Pole Glück und Unglück auf. Bis zur Erkrankung schien das Leben es nämlich meist gut mit dem gebürtigen Steirer zu meinen.
An der Schauspielschule in Graz wurde Simonischek mit Handkuss genommen, dem strengen Zahntechniker-Vater gab er erfolgreich vor, Architektur zu studieren. Vor Publikum aufzutreten, fiel ihm leicht, Angst vorm Scheitern war ihm fremd.
Die Umstände der Entstehung des Buchs spricht die Verfasserin offensiv an: Wie Simonischek im Gespräch manchmal zum Sauerstoffgerät griff. Wie sie ihn nach einem Infarkt im Krankenhaus besuchte und ihm das Sprechen schwerfiel. Wie er trotzdem noch Theatertexte auswendig wusste und seine Erzählstimme sie stets mitriss, egal wie schlecht es ihm gerade ging. Zitat: „In manchen Momenten und oft, wenn man nicht damit rechnet, zeigt der Schauspieler in ihm, dass er größer ist als der erkrankte Mensch.“
Es mag makaber klingen, aber gerade wegen dieses Wissens um das bevorstehende Ende geht das Unterfangen auf. Jungnikl-Gossy kann offensichtlich mit dem erkrankten Menschen mehr anfangen als mit dem Schauspieler. Sie beobachtet und beschreibt seine Gestik und Mimik während des Gesprächs, fragt ihn bei jeder Begegnung aufs Neue: „Worum geht’s im Leben, Peter?“, und bringt seine Antworten dem Anschein nach ungeschönt zu Papier.
Das ist rührend und reizend und bringt immer wieder kleine Einblicke in den Kopf eines Stars, der für seine Souveränität und Natürlichkeit, aber auch für eine gewisse Eitelkeit bekannt war – Letztere nahm er in einer seiner späten Rollen am Burgtheater, als Pianist Heink in Hermann Bahrs Lustspiel „Das Konzert“, genüsslich aufs Korn. Im Buch berichtet Simonischek, wie er einmal im Kino ein Mädchen, das neben ihm saß, darauf hinwies, dass er da gerade auf der Leinwand zu sehen sei. „Es war so witzig“, sagt er. „Weil ich dachte gleichzeitig, was ist denn jetzt mit mir los?!“ Eine aufschlussreiche Anekdote über das Dilemma, sich seines eigenen Talents bewusst zu sein.
Das schwierige Verhältnis zu Simonischeks Vater und dessen Selbstmord behandelt Jungnikl-Gossy erwartungsgemäß behutsam. Sie hat eigene Erfahrungen 2014 im Buch „Papa hat sich erschossen“ aufbereitet.
Wann immer hingegen Simonischeks Werdegang im Film und am Theater zum Thema wird – letztlich der Grund, warum wir uns für ihn interessieren –, erweist sich Jungnikl-Gossy als wenig trittfest auf dem einschlägigen Fachgebiet.
So wecken ihre Formulierungen den missverständlichen Eindruck, der Schauspieler sei für seine Rolle in „Toni Erdmann“ für einen Oscar nominiert worden. In Wirklichkeit ging die Nominierung an das Gesamtprodukt in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“.
Ein Kapitel über Simonischeks Frau beginnt mit dem Satz „Brigitte Karner ist Schauspielerin des Jahres 2022“. Den Kontext, nämlich dass Karner diese Auszeichnung im Rahmen der Ö1-Hörspiel-Gala im Februar 2023 erhalten hat, unterschlägt Jungnikl-Gossy. Wer nicht googelt, könnte auch meinen, sie käme von der Zeitschrift „Theater heute“ oder einer Filmjury.
Da Simonischek in einer Inszenierung des Dramenklassikers „Nathan der Weise“ seine erste Bühnenrolle hatte, jene des Tempelherrn, lässt sich die Fragerin von ihrem Interviewpartner ausführlich dessen Handlung erzählen. Das wirkt wie ein ungelenker Versuch, die ohnehin großzügig bedruckten und durch zahlreiche Fotos ergänzten Seiten mit Inhalt zu füllen.
Fairerweise muss man dazusagen, dass die Autorin die im „Nathan“ zentrale Ringparabel am Ende für eine dramaturgische Pointe aufgreift. Denn wie der weise Mann in der Geschichte hat auch Peter Simonischek drei Söhne, und wie jener spricht er davon, ein Erbstück zweimal nachbauen zu lassen, um keinen zu bevorzugen.
Max, Benedikt und Kaspar Simonischek sind alle am Theater tätig. Sie kommen im Buch zu Wort, ebenso wie Brigitte Karner. Dabei gilt verständlicherweise: „De mortuis nihil nisi bene.“ Als Fachliteratur oder kritische Biografie eignet sich dieses Buch also nicht. Vermutlich wollte es aber nie mehr sein als ein liebevolles Porträt.
Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“, jenes jährlich bei den Salzburger Festspielen aufgeführte Stück, in dem Peter Simonischek von 1991 bis 1994 den Tod und von 2002 bis 2009, so lange wie sonst niemand bisher, die Hauptrolle spielte, trägt den Untertitel „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Saskia Jungnikl-Gossy hat ein Buch vom Sterben des spielenden Mannes vorgelegt.
In seinen besten Momenten greift es dem Leser von hinten an die Brust und nimmt ihn mit in eine Welt schaurig schöner Traurigkeit.