Kein Grund, gleich so rumzuschreien

320 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783257073218
Erscheinungsdatum 27.11.2024
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Diogenes
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Kurzbeschreibung des Verlags

Nahe Familienmitglieder sterben, der Welt geht es auch nicht so gut, das letzte Glas Alkohol wird getrunken und die letzte Zigarette geraucht. Und doch färbt Martin Suter sich noch immer nicht die Haare. Wer auch in schwierigen Situationen und Kippmomenten des Lebens noch lacht, meint es wirklich ernst mit dem Humor.

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FALTER-Rezension

"Plötzlich ist das Blaulicht unter den Wörtern"

Sebastian Fasthuber in FALTER 9/2025 vom 28.02.2025 (S. 4)

Edler Zwirn und gute Laune: Die Bestsellerautoren Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre geben im Büro des Züricher Diogenes Verlags Interviews zu ihrem neuen Gesprächsbuch. Auf dem Tisch steht Mineralwasser, man hat die Wahl zwischen "Still" und "Laut"."Laut natürlich!", gibt der deutsche Popautor Stuckrad-Barre, 50, die Richtung vor. Sein Schweizer Kollege, 76, lässt ihn im Gespräch vorpreschen, isst währenddessen Keks oder greift zum Fotoapparat -ist aber immer voll da. Am 2. März lesen die beiden im Wiener Konzerthaus aus ihrem zweiten Gesprächsbuch "Kein Grund, gleich so rumzuschreien"

Falter: Sie plaudern sonst immer zu zweit. Stört es Sie, wenn ich dabei bin?

Benjamin von Stuckrad-Barre: Um Gewohnheiten zu sabotieren, ist jede Störung willkommen. Wenn es in einem Text heißt: "Dann fuhr das Auto die Straße lang und die Sonne ging unter", dann täte beispielsweise ein Meteoriteneinschlag dem Plot ganz gut. Es reicht aber auch schon ein "Aber plötzlich" - schon pennen einem die Leser nicht weg. Heute sind Sie unser "Aber plötzlich", ist doch herrlich.

Martin Suter: Ich habe in meiner Kindheit, als ich Karl May las, immer im Augenwinkel auf den Seiten das Wort "plötzlich" gesehen. Ich musste mich dazu zwingen, nicht sofort an diese Stelle zu springen. Dieses Wort blinkt so.

Stuckrad-Barre: "Plötzlich" ist das Blaulicht unter den Wörtern.

Ihr erstes gemeinsames Buch "Alle sind so ernst geworden" entstand 2020 spontan. Wie war es beim zweiten?

Stuckrad-Barre: Beim ersten Buch war die Idee sowas wie Zerstreuung, eigentlich Eskapismus, beim zweiten Band notwendigerweise die Gegenbewegung: Schluss mit dem Getanze und Weggelaufe, das Leben klingelt Sturm und reicht uns zwei sehr verbindliche Themenvorschläge rein. Große Themen, sogar die beiden größten, die es überhaupt gibt. Und die ziehen sich nun leitmotivisch durch unser neues Buch.

Es geht um Liebe und Abschiednehmen. Herr Suter, hat das Plaudern mit Ihrem Freund beim Trauern über den Tod Ihrer Frau ein wenig geholfen?

Suter: Ich kann mit ihm auch normal reden und lachen, wenn etwas Schlimmes in der Luft hängt. Es tut natürlich gut, die Mittrauernden nicht auch noch trösten zu müssen. Ich versuche normalerweise, es den Leuten leicht zu machen. Weil ich es mir leichter machen will. Man ist ja ein wenig gehemmt, wenn jemand in dieser Situation ist. Also habe ich zu allen gesagt: "Bitte blödelt, lacht, seid ernst, redet übers Handwerk, Geschäft, über alles, das ist okay." Mit dem Benjamin zu reden, tut mir sowieso immer gut. Er ist lustig und so schnell. Wir haben manchmal den gleichen oder zumindest einen sehr ähnlichen Humor.

Herr Stuckrad-Barre, Sie wiederum haben über Instagram erfahren, dass Ihr Vater gestorben ist und bereits beerdigt wurde.

Stuckrad-Barre: Dieses Erlebnis war privatpersönlich zwar äußerst unerfreulich, aber plötzlich! Aber plötzlich wurde daraus das eine große, dem Buch noch fehlende Kapitel. Das ist ja das Schöne an unserem Beruf, zumindest so wie ich ihn begreife und ausübe: Eigentlich ist alles Material. Wenn es richtig reinregnet ins Leben, hat man immer den Trost, irgendwann später ist genau das, was jetzt gerade am schlimmsten von allem ist, der beste und seltsamerweise oft auch lustigste Teil eines Textes. Das zu wissen hilft mir, das Leben nicht ganz so persönlich zu nehmen.

Als ich eben vom Bahnhof herkam

Stuckrad-Barre: Wie gefällt denn Ihnen der Züricher Bahnhof? Ich empfinde ihn als extrem verwirrend. Bloß nie die Treppen runter, wenn man sich in diese unteren Stockwerke begibt, ist man verloren.

Ein bisschen unübersichtlich ist er schon.

Stuckrad-Barre: Unter dem Züricher Bahnhof tut sich ein krakenhaft verästelter Hades auf.

Suter: Der Bahnhof ist speziell. Wenn ich von irgendwo komme und auf Gleis 34 ausgespuckt werde, vergehen manchmal Tage, bis ich wieder einen Orientierungspunkt gefunden habe. Auch die Signaletik im Bahnhof ist schlecht. Das Wort kennt ihr, oder?

Stuckrad-Barre: Wir kennen das Wort nicht und haben gehofft, dass es nicht auffällt.

Suter: Das ist ein Beruf. Die Grafiker haben das erfunden mit dem Auftrag, sehr gut verständliche Wegweiser und Beschriftungen zu machen.

Stuckrad-Barre: Ah. Ich glaube, bei den Olympischen Spielen 1972 in München ging es mit den Piktogrammen los. Suter: Das weiß ich nicht.

Stuckrad-Barre: Dann erzähle uns doch von der Signaletik. Wo habt ihr euch kennengelernt? Heißt es Signaletik oder Signalethik?

Suter: Signaletik. Das ist eine Wissenschaft.

Die Kunde von der Beschilderung?

Suter: Ich halte es fast nicht mehr aus. Soll ich es nachschlagen?

Stuckrad-Barre: Nein, ich mach das. Du kannst währenddessen weitersprechen. Suter: Ich kann euch auch fotografieren.

Stuckrad-Barre: Wir haben hier Besuch aus Wien, Martin. Und der will nicht fotografiert werden, der möchte mit uns sprechen.

Suter: Ich kann doch gleichzeitig sprechen und fotografieren. Dafür bin ich berühmt.

Stuckrad-Barre: So, hier habe ich es gefunden, Signaletik gibt es tatsächlich. "Orientierung, die zum Ziel führt. Signaletik dient der räumlichen Orientierung von Menschen in einem komplexen Gebäude oder Areal wie beispielsweise einem Flughafen oder Bahnhof". Das scheint eine Schweizer Spezialität zu sein. Ich hatte in eine ganz andere, völlig falsche Richtung gedacht, irgendwas mit Ethik und so Mönchen, die im Kräutergarten zu Studienzwecken eine Ampel aufgebaut haben, oder so.

Apropos: Als mich der Bahnhof ausgespuckt hat, kam ich an einem kleinen Laden mit einer Schreibwerkstatt vorbei. Der Inhaber wirbt mit dem Spruch "Schreiben kann glücklich machen". Stimmen Sie zu?

Suter: Es kommt darauf an. Vielleicht meint er damit: Schreiben kann auch unglücklich machen. Es kann sogar wütend machen.

Stuckrad-Barre: Als Werbung in einem Schaufenster finde ich diesen Spruch ungeeignet. Zu differenziert, da wird viel zu wenig versprochen. Es klingt eher wie die Pflichtbedruckung auf Zigarettenschachteln: Kann Krebs verursachen. Kann glücklich machen. So oder so, mir ist dieser Satz viel zu erbaulich. Die ganze Denkweise, die sich in solchen Sinnsprüchen abbildet, gilt es auszulachen und vor allem als Falle zu erkennen, eigentlich als Deppentest. Es gibt ja diese weitverbreitete Schriftstellerkrankheit, zum Beispiel die Talkshowfrage "Europa, quo vadis?" als beantwortbare Frage aufzufassen und sich selbst als universalkompetente Supercordhose zu erleben: "Kein Problem, dazu habe ich fünf, sechs Essays parat".

Suter: Das war ein Witz aus meiner Jugend. Als ich ein junger Werbetexter war, hat unser Vorgesetzter mal ein Buch geschrieben mit dem Titel "Sorgen um Europa". Wir haben damals selten so lange über etwas gelacht.

Stuckrad-Barre: Aber waren Witze drin, oder hat er sich wirklich Sorgen gemacht? Suter: Nein, wirklich Sorgen um Europa.

Stuckrad-Barre: Schade. Sonst wäre es ein genialer Titel. Auch für unseren dritten Band denkbar.

Herr Suter, Sie waren kein übermäßiger, aber ein regelmäßiger Trinker -und haben von einem Tag auf den anderen aufgehört. Bis heute?

Suter: Ja, ja. Das Radikale war gut. Einen Monat nicht trinken, das wäre für mich schwer. Nie mehr trinken fällt mir leicht. Der Mann mit der scharfen Zunge sagt wahrscheinlich gleich, dass nie mehr bei mir auch nicht mehr so lange ist.

Stuckrad-Barre: So steht es in unserem Buch, ja. Mir haben Ärzte immer empfohlen: "Nie mehr" klingt für viele anfangs zu groß, unvorstellbar. Einen Tag aber kann man übersehen und sich besser vornehmen: "Heute trinke ich nichts". Andererseits: Wenn es für Martin so funktioniert, ist es natürlich gut. Genauso habe ich mir vor gut einem Jahr auch das Rauchen abgewöhnt: "Das ist jetzt die letzte Zigarette". Fertig. Fand ich auch gar nicht schwer.

Suter: Die letzte Zigarette habe ich erst beim vierten Mal geschafft. Mit einem anderen Trick: In einem Restaurant in Basel, das übrigens Stucki heißt, habe ich mich vollgefressen, vollgesoffen und vollgeraucht. Um danach mit allem aufzuhören. Zwei von drei Sachen kann ich ja wieder anfangen, das war die Idee. Aber das Rauchen wollte ich wirklich lassen. Das machte die Entscheidung ein bisschen weniger hart.

Stuckrad-Barre: Eine ungewöhnliche Taktik. Steht übrigens alles in unserem Buch. Aber das macht nix. Die Geschichte ist so gut, die kann man gut mehrmals erzählen.

Suter: Ich merke, ich habe unser Buch nicht mehr gut genug präsent, wird Zeit, dass wir auf Tour gehen, am Ende habe ich es dann wieder voll drauf.

Stuckrad-Barre: Du hast ja in der Zwischenzeit auch schon wieder zwei Romane geschrieben. Wissen Sie, ich hab den Suter wirklich gern, aber er ist schon auch ein Kollegenschwein.

Weil er so produktiv ist?

Stuckrad-Barre: Er schreibt mindestens ein Buch pro Jahr. Man kommt sich so langsam vor neben ihm. Bis er anfängt zu sprechen. Suter: Ich habe ja erst mit 50 angefangen, Bücher zu schreiben. Ich habe einen unheimlichen Nachholbedarf.

Stuckrad-Barre: Wären sie wenigstens schlecht. Ich brauche für meine Bücher immer viel zu lang. Aber ich versuche, von Martin zu lernen. Es ist ja doch nichts schöner, als ein Manuskript abzuschließen und in den Druck zu geben. Dann hat das zwei Deckel, kann ins Regal, weiter geht´s.

Suter: Es macht mir halt Spaß, Romane zu schreiben. Ich bin auch an anderen Projekten dran. Im Alter hat man nicht mehr so viel Zeit. Ich denke nicht nur an die Lebenszeit. Es soll ja vorkommen, dass man plötzlich nicht mehr schreiben kann, nicht mehr denken, sich nicht mehr erinnert, aber noch 20 Jahre weiterlebt. Ich habe noch nie eine Oper geschrieben. Müsste ich das nicht mal? Oder eine Komödie. Ich bin befreundet mit dem neuen Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann. Wir schleichen uns jetzt langsam an, um ein bisschen Schweizer Urtümlichkeit reinzubringen. Beim Skilaufen klappt es schon ganz nett.

Herr Stuckrad-Barre, als Pop-Nerd haben Sie früher auch Bands interviewt. Wie sieht es heute mit Ihrem Musikkonsum aus?

Stuckrad-Barre: Musik, überhaupt Kunst ist für mich Religionsersatz. Es gibt alte Helden, denen ich unverbrüchlich folge, und ich höre immer auch ganz neue Sachen. Abgesehen von Martin bin ich sonst mehr mit Musikern befreundet, weil die einfach lustiger sind als Schriftsteller.

Suter: Meine Tochter ist sehr jung. Mich interessiert, was sie so hört. Außer Techno. Dafür habe ich zu lange in Ibiza gelebt, um das auszuhalten.

Stuckrad-Barre: Martin hat diese atypische Sicht auf Ibizas Clubmusik. Er spricht aus der Spezialperspektive des Landwirtes, der dort viele Jahre lang Oliven und Wein angebaut hat. All diese weltberühmten Clubs dort kannte er nur vom morgendlichen Dranvorbeifahren, da dröhnte es natürlich immer noch durch die Wände.

Suter: Ich war dort nie in einer Disco. Nur einmal mit einem Journalisten im Pacha. Der wollte mit mir da gewesen sein.

Stuckrad-Barre: Das ist ein sehr schöner Satz. Und, wie war es dort mit dir?

Suter: Ziemlich langweilig. Als ich morgens vorbeifuhr, waren die Leute oft so zu, dass es immer wieder tödliche Unfälle gab. Der Spanier ist wie der Schweizer und der Österreicher: Wenn er um acht Uhr im Büro sein muss und um zehn nach acht immer noch nicht durchkommt, weil alle verladen und besoffen auf der Straße stehen, besteht er auch mal auf seinem Vortrittsrecht.

Wie halten Sie es denn mit österreichischer Popmusik?

Stuckrad-Barre: Ich finde Eli Preiss sehr gut. Mit der habe ich auch mal geschrieben und erfuhr so, dass sie unser erstes Buch gelesen hat und dadurch angeregt auch "Die dunkle Seite des Mondes", einen von Martins besten Romanen. Der habe sie inspiriert zu einem Song, schrieb sie, und dass sie, wenn sie es schafft, zu unserer Wien-Lesung kommt und ihn dir dann gerne vorspielen wird.

Suter: Bei österreichischer Musik bin ich ganz deutlich eine andere Generation. Falco habe ich nie sehr gemocht.

Stuckrad-Barre: Das ist das Verrückteste, was du jemals gesagt hast. Ich weiß gerade gar nicht, ob ich überhaupt noch hier mit dir in diesem Raum sein will.

Suter: Ich fand die Texte einfach nicht gut. Stuckrad-Barre: Also bitte: "Zürich Limmatquai /Neunzehnhundert-achtzig-zwei". Allein der Reim!

Suter: Das ist schon mal kein Reim. Weil er nicht weiß, wie man Quai ausspricht.

Stuckrad-Barre: Er weiß es so auszusprechen, dass es sich reimt, verdammt. Falco war von allen der Größte. Und wird es für immer sein.

Suter: Und sein Hit mit dem genialen Reim: "Drah di ned um, der Kommissar geht um", naja.

Stuckrad-Barre: Das ist jetzt wirklich albern. Suter: Geliebt habe ich immer Wolfgang Ambros.

Stuckrad-Barre: Nein, nein, jetzt bist du unterzuckert oder so, was du da für einen Blödsinn redest! Nein, bei Falco nehmen wir bitte meine Meinung.

Suter: Bei Ambros nehmen wir aber meine. "Da Hofa war´s, vom Zwanzgerhaus / Der schaut ma so verdächtig aus". Das geht.

Wobei das nicht direkt Ambros ist. Er hatte damals einen guten Texter.

Suter: Falco hätte das auch nicht geschadet.

Stuckrad-Barre: Quatsch. Die schwächsten seiner Liedtexte sind fast durchweg solche, die er eben nicht allein geschrieben hat. Du musst dich wirklich nochmal mit ihm beschäftigen, bitte noch vor unserer Wienreise. Ich werde dich dann abfragen. Textsicher bin ich bei Falco größtenteils, beim Karaokesingen aber werde ich hoffentlich nie mehr ein Lied von ihm wählen. Das ist Übermut, der sofort bestraft wird. Seine Sprachrhythmik ist so hypervirtuos, man kriegt´s nicht hin. Nicht mal eine Zeile. Etwas anderes, Martin, weil wir ja nun bald gemeinsam nach Wien reisen: Ist dieses Strafverfahren dort gegen dich inzwischen verjährt? Du musstest Österreich doch lange Zeit meiden, nicht?

Suter: Ich stand auf der Fahndungsliste, ja.

Wie das denn?

Suter: Das muss 1972 gewesen sein. Ich habe damals in Wien gelebt und mein Auto mit einer Schweizer Nummer mitgenommen. Dann habe ich es einem Mitarbeiter ausgeliehen. Das war der Fehler. Er ist zu schnell gefahren und wurde angehalten. Es handelte sich um ein Zollvergehen. Ich bekam einen Brief mit einer Buße. Das Auto war aus dritter Hand, vielleicht habe ich 5.000 Franken dafür bezahlt. Als Buße oder Zoll wären 8.000 fällig gewesen.

Also haben Sie das ignoriert?

Suter: Ich bin bei Nacht und Nebel mit dem Auto in die Schweiz zurückgefahren und mit dem Zug wieder nach Wien. Ich bekam immer diese Rechnungen und habe sie weggeschmissen. Irgendwann war ich auf der Fahndungsliste wegen eines schweren Zollvergehens. Zu der Zeit war ich aber nicht mehr in Wien. Der Werber Hans Schmid, bei dem ich gearbeitet habe, wollte, dass ich wiederkomme. Er hat gesagt: "Ich bin befreundet mit dem Bundeskanzler. Wenn sie dich am Flughafen festhalten, dann ruf mich an. Ich hol dich da raus."

Stuckrad-Barre: Das sind so Sätze.

Suter: Dann war das Abenteuer vorbei. Ich war nervös, doch nichts ist passiert. Ich bin seither mehrmals wieder nach Wien gereist. Ohne Problem.

Stuckrad-Barre: Jetzt hast du ja mich dabei.

Suter: Mittlerweile fände ich es eine wahnsinnig schöne Geschichte, wenn die mich verhaften würden.

Stuckrad-Barre: Das wäre so toll. Ich würde dir noch hinterherrufen: "Martin, ich hol dich da raus." Ich wiederum habe lange gedacht, ich sei hier in Zürich zur Fahndung ausgeschrieben. Gründe dafür hätte es wohl genug gegeben, ich hatte hier etwas unsolide Lehr-und Wanderjahre. Vor gut 20 Jahren. Die Mahnung heißt ja hier "Betreibung".

Suter: Nein, die Mahnung ist nur eine Mahnung. Bei der Betreibung wird es schon ernst. Da kommen die.

Stuckrad-Barre: Ach so? Ja, viele Betreibungen. Ich habe aber nie jemanden reingelassen, zumindest tagsüber nicht. Müsste aber jetzt eigentlich auch verjährt sein.

Suter: Man muss nur lange genug warten. Es verjährt eigentlich alles. Außer Mord.

Stuckrad-Barre: Naja, daran würde ich mich schon erinnern.

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Über den Autor

Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, arbeitete zunächst als Werbetexter und Creative Director, bis er sich vollständig dem Schreiben widmete. Bisher erschienen unter anderem die Romane "Elefant", "Montecristo", "Die Zeit, die Zeit", "Der Koch" sowie die Allmen-Reihe. Auch mit seinen "Business Class"-Geschichten verliehen dem Autor internationale Anerkennung. Unter den vielen Auszeichnungen, die Suter verliehen wurden, finden sich der Deutsche Krimipreis, der Preis der österreichischen Industrie am Joseph-Roth-Wettbewerb sowie der Literaturpreis des Wirtschaftsclubs. Für "Song Book" arbeitete Suter mit dem Musiker Stephan Eicher zusammen und verfasste einige Songtexte. Viele seiner Werke wurden außerdem verfilmt, darunter "Lila, Lila", "Small World" und "Nachtlärm". Gemeinsam mit seiner Familie lebt Martin Suter in Zürich. Reihenfolge der Allmen-Reihe: 1. Allmen und die Libellen 2. Allmen und der rosa Diamant 3. Allmen und die Dahlien 4. Allmen und die verschwundene María 5. Allmen und die Erotik 6. Allmen und der Koi

Alle Bücher von Martin Suter