

Feuer der Vergangenheit, Wolken der Zukunft
Anja Hirsch in FALTER 10/2011 vom 11.03.2011 (S. 19)
In seinem Roman "Brenntage" bringt Michael Stavarič die Kindheit zum Leuchten, ohne dem Kitsch zu verfallen
Lange rätselt man, was die Menschen in dem Roman "Brenntage" antreibt, jedes Jahr mit geradezu religiösem Eifer Möbelstücke, Gummiwaren, Essensreste oder Matratzen in die Feuer ihrer weltabgeschiedenen Waldsiedlung zu werfen. Misten sie aus? Vertreiben sie böse Geister?
Solche Rituale markieren in jedem Fall Übergänge, in denen sich etwas verändert – oder besser: jemand. Mit dem 1972 geborenen, in Wien lebenden Autor und Übersetzer Michael Stavaricˇ treten wir im Schein dieser lodernden Feuer aber nichtsdestotrotz sehr behutsam über die Schwelle ins Kindheitsland. Sofort scheint durch sein Erzählen eine schwingende Bewegung einzusetzen, der man sich gerne überlässt.
Der namenlose Ich-Erzähler wächst nach
dem Tod seiner Mutter bei Onkel und Tante auf. Nachts schlagen Äste gegen das Haus, und in den Birken vermutet man Geister schaukeln. Tagsüber nährt die Tante die kleine Familie nach alten Rezepten mit Gerichten, die "Scheiterhaufen" heißen. Der Onkel rüstet sich fürs Leben draußen.
Früh lernt der Neffe klettern, Geheimschriften auf Fensterscheiben hauchen oder Tiere im Keller präparieren; später erfährt er, dass Mädchen nach Waldtümpeln duften.
Es blieben einfach konventionelle Kindheitsszenen, wenn Michael Stavaricˇ sie nicht zugleich aus den modrigen Tiefen
einer von Aberglauben geprägten Gegend geborgen hätte. Aus den Wolken liest man dort die Zukunft ab, durch die Feuer erhofft man sich erhellende Blicke in die Vergangenheit. Und auch auf die Kinder der Siedlung übt das Spiel mit dem Feuer Faszination aus. Sie erfinden eigene Rituale am Waldteich, die nicht immer ganz ungefährlich sind.
Mit allen Sinnen lässt uns Michael Stavaricˇ an der merkwürdig entrückten Zeit der Pubertät teilhaben. Die Magie, die von dieser Prosa ausgeht, ist aber nicht nur eine der Inhalte, sondern ihr wohnt einer Sprache inne, die Klang hat. Jede Penetranz ist ihr fremd, die variierende Wiederholung lieber als der einmalige, abschließende Satz.
Statt Handlung sorgen Leitmotive für Konturen: das Knistern der Flammen, die nicht verstandenen Bewegungen der Soldaten und Jäger im Dickicht des nahen Waldes, nachgelassene Briefe der toten Mutter.
Die Kindheit wird bei Stavaricˇ zur rauen Auseinandersetzung mit den Elementen, mit Feuer, Wasser, Erde, Luft. Angelegt als dauerbewegter Kreisel aus Erzählfragmenten, versiegt der Text auf der letzten Seite trichterartig – wie der letzte Wasserstrudel im Badewannenabfluss. Ein Endlosgedenken, das in Wahrheit keinen Schlusspunkt kennt.
Seinen Helden lässt Stavaricˇ in den unterirdischen Bergwerksminen zurück, wohin sich der Onkel mit ein paar Überlebenden der Siedlung geflüchtet hat – die Feuer hatten doch einmal auf die Häuser übergegriffen.
Kindheit, heißt es bei Novalis, sei die erste Stufe der Bildung – und ein Sehnsuchtsort. "Brenntage" spielt so leichtfingrig auf der Klaviatur der Romantik, das man es kaum merkt. Und doch ist sie im Hintergrund präsent: die Figur von Novalis' Heinrich von Ofterdingen, der erst ins Berginnere eindringen muss, wo ein Einsiedler ihm das Buch seines Lebens zur unmittelbaren Anschauung bringt.
Auch Stavaricˇ geht es um Anschauung, nicht um Analyse. Seine Fragmente folgen einer inneren Ordnung. Sie respektieren die unsichere Balance einer Lebensphase, die verwirrend zwischen heiliger Erwartung und apokalyptisch wirkenden Umbrüchen angesiedelt ist.
Vielleicht ist das der Grund, warum diese literarische Reise ins Kindheitsland nichts Besserwisserisches hat und tatsächlich berührt. Sie berücksichtigt die Naivität der Wahrnehmung, die vieles monströs verzerrt, anderes wieder wundersam auflädt. Die surreale Welt, die dabei entsteht, ist deshalb keine künstlich konstruierte, sondern Teil eben dieser Wahrnehmung – ein Naturgesetz. Von diesem handelt dieser Roman.
Am 31.3., 21.30 Uhr liest Michael Stavarič im Rahmen der "Wortspiele" im Porgy & Bess aus dem besprochenen Roman.