

Und ewig funkeln die Fleischermesser
Anja Hirsch in FALTER 41/2013 vom 11.10.2013 (S. 16)
Mit seinem illustrierten Roman "Königreich der Schatten" hat Michael Stavaric ein gut gewürztes Geschnetzeltes angerichtet
Michael Stavarics letzter Roman "Brenntage" handelte von einem Ritual kollektiver Reinigung: In einem Dorf werden alljährlich Dinge verbrannt – kleinste Zettel, aber auch ganze Sofas.
Der neue Roman ist leichter, spielerischer und wird von den surreal anmutenden Illustrationen von Mari Otberg begleitet, die mit ihren leicht verzerrten Perspektiven und bleistiftfein gezeichneten Ausschnitten passgenau auf dem doppelten Boden tänzeln, den Stavaric für sie bereitet hat. "Königreich der Schatten" wird zunächst aus der Sicht von Rosi Schmieg erzählt. Bei Otberg sieht sie aus wie eine traurige Holzpuppe aus einem dieser wunderbaren, dunklen Marionettentheater, die eigentlich nichts für Kinder sind.
Rosi ist ein wenig labil. Nachts im Hotelzimmer, das die Wienerin nach ihrem Umzug nach Leipzig bezieht, hört sie ihr eigenes Herz viel zu laut pochen. Überhaupt scheint sie nicht grob genug zu sein für das blutige Handwerk, das sie zu erlernen beabsichtigt und das quasi in der Familie liegt. Denn schon der aus der Tschechoslowakei stammende Großvater war Fleischhauer, bevor er im Zweiten Weltkrieg fiel. Durch Zufall gerät am Ende dieses assoziationsreich strömenden Romans auch die Enkelgeneration sehr blutig in die alten Verstrickungen hinein.
Die Geschichte und die wechselnden Fronten sind hier allgegenwärtig. Aber das alles ist nur der Rahmen einer Prosa, die vor allem vom Fragmentarischen lebt, von den vielen Details und Fantasien, die erst Rosi Schmieg und dann, in der zweiten Romanhälfte und von Amerika kommend, einen anderen Metzgerlehrling bewegen.
Zwischen all den schnittig gezeichneten Fleischermessern, Wetzstäben, Kotelettklopfern und Steakhammern geht es von Wien nach Leipzig, von New York über Paris nach Leipzig, wo es dann einen unerwarteten Countdown gibt, und immer wieder rückwärts, zu den Wurzeln dieser weitverzweigten Geschichte. Wie man vom Schlachten übers abgehangene Schwein bis hin zu Regelblutflecken auf dem weißen Bettlaken und Reflexionen über Totenhemdchen gelangen kann, das ist so abenteuerlich und irrwitzig, dass man schon mal die Orientierung verlieren kann – nicht aber die Lust am Lesen.
Das liegt auch an dem Märchenschatz, der hier eingebettet ist wie ein geheimer Pfad durch zwei Biografien, die dunkel miteinander verbunden sind. Viel ist von Tod die Rede, vom Töten von Mensch und Tier; von Chemieunfällen, die in Amerika dazu führen, dass die Vögel ausbleiben und andere Tiere wiederum plötzlich die Zoos verlassen, um sich unter Städtern anzusiedeln; exotische Arten, die Amerika verändern.
Stavaric erzählt das alles mit sicherer Eleganz, als hätte er selbst großen Spaß am Wandel. Er ist eher Spurensucher und Spurenleger als ein alles überblickender Erzähler, wobei das Vergehen der Zeit und die Relikte aus einer immer weiter zurückliegenden Vergangenheit für eine luzide Atmosphäre sorgen.
Eine leicht wahnhafte Reise durch Städte und Gegenden ist dieses "Königreich der Schatten", fast ein Familienroman. Stavaric durchmisst das alles im Laufschritt, das Messer gewetzt, mit Sinn für Komik, selbst ein Artenspezialist, ständig zu Abwegen bereit. Und wenn er auf Rosis moderner Antirutschmatte in ihrer neu eröffneten Leipziger Fleischerei Unvorhersehbares geschehen lässt, löst sich manches, aber längst nicht alles.
Die einzelnen Romansplitter aber glänzen nach. Hat der Autor, so fragt man sich leicht beunruhigt, eine Parabel geschrieben? (Und wenn ja, worauf?) Oder wollte er einfach nur alle seine Reisen verarbeiten? Denn wenn Rosi in Leipzig erstmals die Fleischermesse besucht, vermutet man sie eher auf der Buchmesse. Da gibt es zum Beispiel einen Stand mit Fleisch, das von Tieren stammt, die ein Leben lang nur Rotwein zu trinken bekommen haben – ab frühmittags das Messegetränk schlechthin. Und von der Anbetung des Fleisches ist die Rede. Stavarics launige Sätze aber können mitunter ganz schnell kippen. Und genau diese Kippmomente sind es, die seinem Text die rechte Würze verleihen.