

Die Kunst des Müßiggangs
Gerlinde Pölsler in FALTER 17/2022 vom 29.04.2022 (S. 17)
"Die Arbeitskultur der westlichen Welt angreifen" wollte Tom Hodgkinson mit seinem "How to be Idle". Fröhlich wettert der Brite darin gegen Lohnsklaverei, als Ausweg predigt er Freiheit durch Konsumverzicht. Er selbst dürfte rund um die Uhr arbeiten, gibt er doch ein Magazin und Bücher heraus und führt einen chaotischen Mini-Bauernhof und die "Idler Academy". Da kann man bei einem Ale Ukulele-Spielen oder Imkern für Faule lernen. Aber das ist ja Vergnügen, so wie seine Bücher.
„Du bist nicht deines eigenen Glückes Schmied“
Gerlinde Pölsler in FALTER 43/2015 vom 23.10.2015 (S. 52)
Das Berliner Haus Bartleby kommt zum Elevate-Festival nach Graz. Ein Gespräch über ihr „Zentrum für Karriereverweigerung“ und das Kapitalismustribunal, das sie im Frühjahr in Wien abhalten
Eine Akademie der eleganten Faulheit, ein Ort der Verschwörung gegen die Düsternis unserer Zeit“: So beschreibt sich das „Haus Bartleby“. Gegründet haben es die Freunde Alix Faßmann, Jörg Petzold und Anselm Lenz im Berliner Bezirk Neukölln. Faßmann hatte früher, was man eine „Topkarriere“ nennt: Das einstige Arbeiterkind hatte gut bezahlte Anstellungen als Tageszeitungsjournalistin und zuletzt als Redakteurin für die SPD. Doch sie schmiss alles hin, tuckerte mit dem Wohnmobil durch Italien. Beim Job in einem Olivenhain lernte sie Anselm Lenz kennen, der als Theaterdramaturg genauso mit der Arbeitswelt haderte. Schließlich kam der Schauspieler Jörg Petzold dazu.
Der Name, Haus Bartleby, spielt auf die Erzählung „Bartleby, der Schreiber“ von Herman Melville (1853) an. Der Held verweigert irgendwann die Arbeit und sagt nur noch: „I would prefer not to“ („Ich möchte lieber nicht“). Von einem kleinen Hinterhof aus sowie über ihre unterhaltsame Homepage versammeln die Bartleby-Jünger nun Schriftsteller und Arbeiter, Erwerbslose und Ökonominnen um sich – und kiefeln an der Frage, was statt des Neoliberalismus kommen könnte. Im Frühjahr halten sie in Wien, unterstützt vom Club of Rome, das „Kapitalismustribunal“ ab. Schon diese Woche beehren sie Graz – beim Elevate-Festival (So, 18 Uhr, Dom im Berg).
Falter: Sie sagen, Arbeit, wie wir sie definieren, ist eine Krankheit. Warum das?
Haus Bartleby: Die alten Versprechen von Wohlstand und Unabhängigkeit durch Arbeit lösen sich nicht mehr ein. Wie jeder Mensch sehen und erleben kann, ist die Arbeit viel zu schlecht verteilt, zu unterschiedlich bezahlt und basiert auf vorsintflutlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Immer weniger Menschen können sich die Frage zufriedenstellend beantworten, warum und für wen sie diese Arbeit machen, ob sie den Eigentümer überhaupt mögen oder welches Produkt sie da verkaufen sollen. Und vor allem: warum sie sich selbst verkaufen, sich selbst zu Ware machen müssen, damit sie die Miete bezahlen können. Das heißt aber nicht, dass wir die schwere Arbeit verachten, die viele Menschen jeden Tag ausüben. Einige von uns kennen solche Arbeiten sehr gut oder führen sie auch noch aus.
Ist es denn immer so krass? Gibt es nicht auch sinnvolle Lohnarbeit, die Spaß macht?
Haus Bartleby: Es gibt sinnvolle Arbeit. Doch viel zu häufig wird sie gar nicht bezahlt. Den Kapitalismus kann es ja nur deshalb geben, weil so viele Menschen unbezahlt die Grundlagen dafür schaffen. Das bemerken viele gar nicht, so als wäre es gottgegeben. Dabei sind die Spielregeln der Ökonomie menschengemacht.
Sie alle waren in Ihren alten Jobs erfolgreich, haben gut verdient. Was war trotzdem so unerträglich daran?
Haus Bartleby: Grundsätzlich sind wir keine Misanthropen, wir haben nicht jeden Tag schlechte Laune, sind gern mit anderen Menschen zusammen und sind ja auch in dieser Sekunde tätig. Trotzdem stellt sich die Frage, in welcher Systematik man sich wiederfindet, wem man dient, und ob man das möchte. Wir haben erlebt, dass Arbeit sinnlos wurde, haltlos, inhaltlich daneben oder auch bedrückend. Dabei geht es um Fakten: Das einzelne Auto ist ja eine tolle Erfindung. Aber soll ich wirklich ein solches Produkt verkaufen, das in der Masse den Planeten ruiniert? Soll ich ein Buch schreiben, das kein Mensch braucht? Dann die Politik. Wenn im Apparat einer Partei alles schiefliegt, was schiefliegen kann! In einem Kulturbetrieb wie einem großen Staatstheater wiederum stellt sich die Frage, warum auf Staatskosten ein dysfunktionales Großbürgertum bespaßt werden soll mit Inhalten, die in den seltensten Fällen ästhetisch oder künstlerisch noch zu ertragen sind. Da schreibt sich einfach in allen Fällen eine kapitalistische Nomenklatura die Geschichte ihres eigenen Versagens schön.
Aber was sollen all jene tun, die ohnehin keine Karriere haben, aber halt einfach weiterhackeln müssen, weil sie spätestens im übernächsten Monat die Miete nicht mehr zahlen könnten?
Haus Bartleby: Die Lösung fällt nicht vom Himmel, damit haben wir genauso zu tun. Zu kündigen ist sicher nicht für jeden Menschen gangbar. Dennoch ist es wert, dem wachsenden Unbehagen nachzugehen, Bestehendes zu hinterfragen. Verweigerung ist aber nur der Anfang. Es geht darum, sich mit anderen Menschen zu verbinden und dann wirksam zu werden.
Und Sie, wovon leben Sie jetzt?
Haus Bartleby: Wir arbeiten weiter als Journalisten, wo es halbwegs Sinn ergibt, jobben und machen ein paar Sachen, die wir nicht alle sagen müssen. Letztlich geht es nur noch darum, die wichtige Arbeit machen zu können. Das ist meistens allerdings absolut am prekären Limit. Also keine Sorge, wir machen keine Karriere mit Karriereverweigerung. Das meiste geschieht ehrenamtlich, und Haus Bartleby ist ein gemeinnütziger Verein. Trotzdem ist diese Arbeit die lukrativste, die wir derzeit machen möchten – in inhaltlicher, gesellschaftlicher und in gewisser Weise auch künstlerischer Hinsicht.
Frau Faßmann, als Sie ausgestiegen sind …
Haus Bartleby: Wir definieren uns nicht als Aussteigerinnen! Wir hauen nicht ab, sondern bleiben weiter mittendrin – in der Stadt. In den Städten entscheidet sich das Schicksal der Menschheit.
Gut, also: Als Sie durch Italien getuckert sind, nachdem Sie gekündigt hatten, hat die Angst Sie immer wieder eingeholt: „Ist das hier der Beginn eines verfehlten Lebens?“ Kommt die Angst immer noch vorbei?
Haus Bartleby: Die Angst ist kein Menetekel, die ist ganz normal und eine Triebfeder des Kapitalismus. Wahrscheinlich sogar die entscheidende. Insofern ist es nicht schön, dass so viele Menschen jetzt Angst vor vielen neuen Mitmenschen haben, denn das ist in einem erlernten Konkurrenzsystem ja die logische Folge. Die Antwort kann aber nicht allein Mitgefühl sein. Wir müssen jetzt beginnen, die Systematik des Kapitalismus zu erfassen. Wir leben nicht mehr in Demokratie und Freiheit, sondern unter Zwängen. Der Selbstbetrug, bis vor kurzem in der sogenannten Generation Y sehr verbreitet, muss ein Ende haben: Du bist nicht „deines eigenen Glückes Schmied“.
Und das bedingungslose Grundeinkommen, wäre das eine Lösung?
Haus Bartleby: Es wäre einerseits eine erhebliche Verbesserung für die armen Leute, andererseits ein Almosen für die Abgeschafften, das die Leute mit etwas mehr Waren ausrüstet, aber substanziell nichts ändert. Also im Zweifelsfall dafür! Aber es wäre nur der Anfang. Diese Ökonomie ist am Ende, so oder so. Der Kapitalismus ist pleite.
Sie versprechen: „Am Ende einer peinlichen Epoche werden wir ein neues Bauwerk errichten.“ Aber wie soll das ausschauen?
Haus Bartleby: Wenn Sie uns so salopp fragen, dann … antworten wir einfach mal so: das eine hiervon, das andere davon! Beim Eigentumsproblem hatten die Marxisten schon immer recht: Es kann nicht sein, dass wenigen so viel gehört, den anderen gar nichts – das erzeugt Abhängigkeit und verschärft die undemokratischen Zustände immer weiter. Bei der Unabhängigkeit der Justiz haben sich die Liberalen als überlegen erwiesen – faire Verfahren mit einer unideologischen Abwägung der Argumente. Ökologische Analysen finden sich eher in der „grünen Wissenschaft“, auch wenn sie keine Lösungen bereithalten. Und die Sozialdemokratie hatte es schon immer drauf, zwischen Menschen verbindlich zu wirken. Das Talent sollte eingesetzt werden in der Errichtung gemeinschaftlich genutzter Orte, Seniorentreffs und Klohäuschen, aber nicht in der Exekutive. Und schließlich: Der freie Markt ist ungeheuer kreativ, das ist ein anarchistisches Moment. Aber eben im kleinen Maßstab, im Handwerk, in der Kunst, in kleinen Herstellungsbetrieben. Im großen Maßstab ist der freie Markt tödlich – und das massenhaft.
Sie sagen, die Leute wollten von Ihnen eine Anleitung: „Was muss ich jetzt machen?“
Haus Bartleby: Eine vollständige „Anleitung zur Karriereverweigerung“ kann es nicht geben. Aber es ergibt Sinn, sich überhaupt erstmal auszutauschen. Viele verschweigen ja ihr Unbehagen oder glauben, alles sei ein psychologisches Problem, sie seien schuld an ihrer Armut. An ökonomischer wie geistiger, der Fantasielosigkeit, die sich in abhängiger Beschäftigung ja wahnsinnig schnell einstellt. Sind sie nicht. Sprecht darüber, sprecht über Geld und Abhängigkeiten! Gründet Gewerkschaften und Betriebsräte im Internet, als Facebook-Gruppen und abends an der Bar. Das ist ein erster Schritt!
Auf capitalismtribunal.org kann jeder Mensch ökologische, ökonomische und soziale Auswirkungen des Kapitalismus aufzeigen und Anklage erheben. Im Frühling wird in Wien ein Tribunal darüber abgehalten. Wie wird das ablaufen?
Haus Bartleby: Das Kapitalismustribunal ist ein zivilgesellschaftlicher Gerichtshof. Wir arbeiten dafür von Anfang an zusammen mit dem Club of Rome. Inzwischen sind auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und viele andere große und kleine Partner dabei. Die Ausgangsfrage lautet: Ist der Kapitalismus ein Verbrechen? Der freie Gerichtshof wird in einem fairen Verfahren die Argumente mit Rede, Gegenrede, Zeugen und Beweisen einer Beurteilung zuführen.
Sie veröffentlichen alle Anklagen außer etwa rassistische oder sexistische, so das Statut. In einigen findet sich aber sehr wohl Fremdenfeindliches, etwa: „Überfremdung steigt.“ Jemand anderer wünscht die „Bundesregierung geschlossen in Untersuchungshaft“, weil Deutschland eine „Diktatur“ sei. Manches könnte von Pegida kommen. Bringt uns das wirklich weiter?
Haus Bartleby: Abgelehnt werden können Klagen eben nur, wenn sie explizit die Statuten verletzen. Die Klagen werden dann systematisiert, das Kapitalismustribunal ist also auch eine Art Pädagogium. Und nicht jede Anklage muss zutreffend sein, sonst wäre es ja kein faires Verfahren!
Und was soll am Ende rauskommen?
Haus Bartleby: Zu ermitteln, was in einer künftigen Ökonomie nie wieder geschehen darf. Die Grundsatzurteile finden dann Eingang in die „Wiener Deklaration – Neue Erklärung der Menschen- und Zukunftsrechte“, von deren unmittelbarer Gültigkeit wir ausgehen. Das Kapitalismustribunal ist ein großes Thema, und für viele Menschen in der Postmoderne ist ja schwerlich zu erfassen, dass Menschen überhaupt einmal etwas ernst meinen. Und es auch mit so vielen anderen zusammen durchziehen.
Aber auch wenn Sie es ernst meinen: Ihre „Verurteilten“ gehen trotzdem straffrei aus …
Haus Bartleby: Die Todesstrafe bleibt abgeschafft! In einem fairen, zivilgesellschaftlichen Verfahren geht es eben genau darum, Galgen und Guillotinen in der Garage zu lassen. Wir können die Antworten auf die Frage, wie eine künftige ökonomische Vereinbarung gültig wird, einfach nicht mehr der europäischen Berufspolitik und Konzernlobbyisten überlassen. Alex Stefes vom Club of Rome sagte in seiner Rede bei der zweiten Vorverhandlung: „Dies wird die friedlichste Revolution aller Zeiten!“
Mit Ihrem Namenspatron, Mister Bartleby, hat es kein gutes Ende genommen: Er ist im Kerker verhungert. Keine Angst, dass das ein schlechtes Omen sein könnte?
Haus Bartleby: Nein, die wunderbare Geschichte ist ja fiktiv. Und so viel Vertrauen haben wir schon, zu glauben, dass man gesellschaftlich bemerkt, was wir hier leisten. Am Bartleby in Melvilles Erzählung interessiert uns die Kraft der Verweigerung gegenüber der Sinnlosigkeit. Und die analytische Kraft, mit der Melville den industrialisierten und bürokratisierend-verschleierten Kapitalismus sichtbar macht, dessen Wirkung ja bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wahrnehmbar wurde. Außerdem wollen wir Melvilles Geschichte in gewisser Weise fortschreiben. Was wäre, wenn man Bartlebys Gründe genau gekannt und er sich mit vielen anderen verbündet hätte?
Warum heißt Ihr Hund Anwalt? Brauchen Sie einen?
Haus Bartleby: Er hatte den Namen schon im Tierheim. Anwalt ist ein wohlwollender und gemütlicher Charakter. Er geht gern spazieren, ansonsten döst er ausgiebig. Mit dem kann wirklich jeder gut auskommen.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen:
Andreas Kremla in FALTER 13/2014 vom 28.03.2014 (S. 30)
Tom Hodgkinson ist Langschläfer. Mit der Tugend des Weiterschlafens beginnt die Reise durch einen langen, ruhigen Tag. Flanieren, ausgedehnte Siesta, Pubs und Partys sind weitere Stationen. Auch für Angeln und Meditieren ist Platz; ab und zu darf sogar gearbeitet werden. Hier geschieht nicht viel, doch das auf sehr anregende Weise. Hodgkinson hat die Muße zur Marke gemacht. Der Herausgeber des Magazins The Idler betreibt auch die Idler Academy. Man sagt ihm nach, dass seine eigenen Mußestunden knapp würden. Vielleicht war das 2004, als das Buch auf Englisch erschien, noch anders. Einen "Kanon des Müßiggangs" nennt er es. Zitate aus Literatur und Philosophie streut er lässig in einen zurückgelehnt geschriebenen, vorzugsweise liegend zu lesenden Text ein. Statt der im Titel angedrohten "Anleitung" finden sich hier verführerische Ideen für den stundenweisen Einbau von echtem Leben in den eigenen Alltag.