Der Große Fall

280 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783518422182
Erscheinungsdatum 19.03.2011
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
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Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
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Kurzbeschreibung des Verlags

Die Geschichte eines müßiggängerischen Schauspielers, an einem einzigen Tag, vom Morgen bis tief in die Nacht: Das Gehen durch eine sommerliche Metropole, von den Rändern bis in die Zentren. Die Begegnungen: mit den Läufern, den Obdachlosen, den Paaren, dem Priester, den Polizisten. Ein Weg mitten durch Nachbarnkriege, vorbei an überlebensgroßen Leinwandpolitikern, dann inmitten von Untergrundfahrern aus einer anderen Welt. Wetterleuchten in der Stadtmitte.
Und das Gesicht einer Frau.

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FALTER-Rezension

Die Lehre des Saint-Schau-zweimal-hin

Klaus Nüchtern in FALTER 13/2011 vom 30.03.2011 (S. 30)

Mit seiner Erzählung "Der Große Fall" setzt Peter Handke seine Ethik des Blickes fort

Literatur ist das Gegenteil von voreilig", notiert Peter Handke am 31. Mai 2010. Man kann diese als Feststellung getarnte Forderung ebenso unterschreiben wie die meisten der apodiktischen ("Die Liebe kann nichts falsch machen"), gewitzten ("Es ist nicht alles falsch, was glänzt"), banalen ("Man staunt viel zu wenig") oder unbezweifelbaren ("John Cheever weiß mehr als der Papst") Aphorismen und Ausrufe, die im soeben erschienenen Jahrbuch von literatur/a 1 abgedruckt sind.
Keine Frage, Peter Handke hängt einem emphatischen Literaturbegriff an. Sein Schreiben soll nicht bloß ein unverwechselbarer Sound in der Kakophonie des Kulturkonsums sein, es soll unser Leben ändern, wenn nicht gar retten – wie denn Handkes aktuellem Helden etwa zur Mitte seines Weges zwischen Bett und Stadt auch einschießt: "Helfen allein genügte nicht; Helfen allein konnte eine Art von Verrat sein. Retten!"

Die Gefahr des Rettenden ist ein verlässlicher Begleiter im Werk des Weltkärntners. Je nach Temperament des Lesers wird sie diesen zum Beitritt in die Church of Handke bewegen oder einen weiten Bogen um diese Weihestätte des Wortes machen lassen. Wer die Warnung vor der Voreiligkeit, die der Dichter ausspricht und die ja zugleich auch eine solche vor endgültigen Urteilen ist, beherzigt, muss bei der Lektüre sowohl mit Begeisterung als auch mit Befremden rechnen – was ja nicht das Schlechteste ist.
Zunächst einmal obsiegt die Begeisterung, denn Handke meint es gut mit uns. "Heute habe ich noch kein Gewitter verdient", gibt er sich am 26. Mai zerknirscht; dem Leser aber schenkt er gleich auf den ersten Seiten seines jüngsten Werks ein Morgengewitter wie nur je eines. Vor dem großen Fall kommt der große Knall, "eine Weckmusik" aus Blitz und Donner, die den Protagonisten "aus dem Tiefschlaf so jäh wie selbstverständlich überführte in eine vollkommene Geistesgegenwärtigkeit, und in noch etwas anderes: eine Bereitschaft".
In eine solche Bereitschaft, "sich zu konfrontieren, zu stellen", findet sich donnerschlagartig auch der Leser versetzt, der nun mit dem Helden aufsteht, nackt durchs nasse Gras geht, eine Tasse fallen lässt, die Sandsteinstufen schrubbt, sich ins Dickicht des angrenzenden Waldes schlägt.
Die Gleichzeitigkeit von Alltag und Ausnahmezustand, das Nacheinander von resoluter Körperlichkeit und deren Krise (die schon zu Beginn der Erzählung den "Großen Fall" präludiert), von heiligem Ernst und slapstickartiger Komik, deren Kontrast sich auch noch in der Syntax und der ziemlich idiosynkratischen Interpunktion niederschlägt – das alles ist Handke at his best, sprich: Literatur, wie sie auf diesem Erdenrund nicht so bald zu finden sein wird.

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Und gerade das Unangestrengte kann ganz schön anstrengend sein, hat man es erst einmal zur ästhetischen Maxime erhoben. Der programmatische Passivismus der Empfindsamkeit, den Handke sich und seinen Lesern immer wieder verordnet, ist der Aufforderung von Ehepartnern, Therapeuten und Ordnungskräften, man möge sich doch bitte endlich beruhigen, vergleichbar: Die Aussicht auf Erfolg ist enden wollend.
Immer wieder muss der Protagonist aus dem "Großen Fall", ein Schauspieler, die Hinterbänkler seines inneren Parlaments zur Ordnung rufen – "Paß auf, was du so daherredest (…) Kusch, Freund!" –, sobald sich diese zur Sünde der Voreiligkeit hinreißen lassen und im Furor des kulturpessimistischen Cholerikers gar über nordic-walkende Pensis herzieht: "Da wanderten in unsterblicher Frische, mit auf den Boden knallenden Wanderschistöcken, die grau- und weißhaarigen Überzähligen!"
Wo just jener voreilig identifizierende "erste Blick" waltet, dem sich "einzig das Typische zeigte" und welcher der Parteinahme fürs Nichtidentische entgegenarbeitet ("Niemand ist, wie er ist"; Eintrag vom 10. Mai), da ist der Autor/Erzähler zum Selbstwiderspruch angehalten. Wenige Seiten nach der grimmig komischen Typenparade, die unter anderen auch noch "die Blonde von der Wetterkarte" und "die Glorreichen Fünf von der Gesichtschirurgie" auftreten lässt, wird Versöhnung verfügt: "Es geschah eine Harmonie, und harmonisch wurde dabei nicht er allein. Die Harmonie da, wieder für eine lange Sekunde aufblitzend, war eine, die ihn verband mit den anderen auf der Lichtung. Und die anderen waren kaum verschieden von den Figuren des Neuen Welttheaters. Jeder von denen verkörperte eine Rolle, eine jede grundverschieden (…)"
Einen radikalen Wahrnehmungs- und Empfindungsindividualismus mit einem One-World-Ethos (das bei Handke auch als Unter-einem-Himmel-Ethos bezeichnet werden könnte) in Einklang zu bringen ist freilich ein, gelinde gesagt, prekäres Unterfangen; und die Bezugnahme aufs Calderon'sche Welttheater unter der Voraussetzung transzendentaler Obdachlosigkeit nicht minder.
"Der Wald ist ein Medium der Ungleichzeitigkeit, der Unübersichtlichkeit, der Unzeitigkeit – und des Partizips. Denn es gibt hier keine zentrale Perspektive", schreibt Thomas Steinfeld in seinem "Sprachverführer"2 über Peter Handkes bevorzugte Landschaft und dessen freien Umgang mit der deutschen Grammatik, die auch dem Leser größtmögliche Freiheit einräume.
In der Tat ist ein übergeordnetes Ganzes nicht auszumachen. Das gilt zum einen von den Landschaften, die "mit dem romantischen Blick, der auf den erfüllten Augenblick fixiert ist" (Steinfeld), nicht zu erfassen sind, sondern ergangen werden wollen. Das gilt aber auch für die Erzählung selbst, die eher einer archaischen, einzelne Episoden gleichmütig abspulenden Epik verpflichtet ist als der zielgerichteten Narration etwa des Entwicklungsromans.
Anders ausgedrückt: Handkes Welt-, Wald- und Wiesentheater ähnelt einem Stationendrama interpretationsheischender Tableaus, deren Sinn nicht mehr in christlicher Allegorik manifest und durch Heilsgeschichte verbürgt ist (wie in John Bunyans "Pilgrim's Progress" von 1678), sondern jeweils vom Dichter bzw. Erzähler gestiftet werden muss: "Das schien nicht bloß so – so war es." Poeta dixit.

Handkes Schule der Wahrnehmung gibt sich sanft gegenüber jenen Dingen, die es zu erschauen, ergehen und erschmecken gilt, hat aber auch etwas Herrisches und Hysterisches. Ständig wird man zum rechten Gehen und Sehen angehalten, will man's aber einmal genau wissen, wird man mit flauschigen Zen-Sentenzen abgespeist: "In ähnlicher Weise änderte er seine Blickart. Wie? Auch das soll hier offen bleiben. Zu erzählen: Seine Gehweise und sein Blick, sie entwaffneten und stimmten heiter."
Wenn einem ständig erzählt wird, wie zu gehen und zu sehen, wie zu sammeln und zu hungern sei (ja, auch der Hunger kann bei Handke "falsch" oder "richtig" sein), dann droht der Kollaps durch ethische Dauerüberhitzung. In dieser – und wirklich nur in dieser! – Hinsicht fühlt man sich bei der Lektüre ein bisschen wie in einem Film von Woody Allen: "Gestern hatte ich einen Orgasmus, aber mein Arzt meinte, es sei nicht der richtige."

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Über den Autor

Peter Handke wurde 1942 in Griffen, Kärnten geboren. Nach der Matura begann er ein Jura-Studium in Graz, welches er 1966 abbrach. Im selben Jahr veröffentlichte Handke mit "Die Hornissen" seinen ersten Roman, außerdem wurde das berühmte Sprechstück "Publikumsbeschimpfung" in Frankfurt am Main uraufgeführt. Seitdem sind mehr als 30 Erzählungen und Prosawerke erschienen, darunter "Wunschloses Unglück", "Das Gewicht der Welt", Die Wiederholung" und "Versuch über die Müdigkeit". Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller arbeitete Handke ebenso als Übersetzer, unter anderem von Aischylos, Emmanuel Bove und René Char. Peter Handke wurde für sein Lebenswerk vielfach ausgezeichnet. 2019 erhielt er den Literaturnobelpreis. Zuletzt veröffentlichte der Schriftsteller "Das zweite Schwert", "Zdeněk Adamec", "Phantasien der Wiederholung " und "20 Pilzdrucke".

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