

Hallihallo, wer sitzt am Klo? Der neue Handke macht uns froh!
Klaus Nüchtern in FALTER 43/2012 vom 26.10.2012 (S. 31)
Kurz vor seinem 70. Geburtstag am nächsten Nikolotag ein Buch übers Klo herauszubringen ist fast schon von dylanesker Lässigkeit. Denn der "Stille Ort", dem Peter Handke seinen nunmehr vierten "Versuch" widmet (nach solchen über die Müdigkeit, die Jukebox und den geglückten Tag), meint in der Tat das Häusl, die Toilette, den Abort.
Nun wäre Handke aber nicht Handke, wenn er – kicher, kicher – mit dem Tabuthema kokettieren würde. Statt den Begriff des stillen Ortes euphemistisch einzusetzen, versteht ihn der Autor wortwörtlich: als eine Enklave des Rückzugs und der Sammlung.
Vom Hauptwidmungszweck des Scheißhauses ist bei Handke so gut wie keine Rede, ohne dass man deswegen den Eindruck hätte, hier würde etwas verdrängt oder -schwiegen. Das Verhältnis des Erzählers zum stillen Ort ist vielmehr von sympathischer Ungeziertheit. Als der junge, damals staatenlose Handke aus dem heimatlichen Dorf gen Westen aufbricht, verbringt er eine Nacht auf der Bahnhofstoilette von Spittal an der Drau: "Ich habe mich umstandslos auf den gekachelten Boden gelegt, den Seesack als Nackenpolster."
Wie immer ist Peter Handke auch hier der poetischen Evokation singulärer Wahrnehmungen verpflichtet, die freilich nicht naiv beschworen, sondern auch im Modus skeptischer Selbstbefragung thematisiert werden. War es wirklich so? Ist so recht davon gesprochen? Geht es nicht auch anders?
Stilistisch bringt dieses Ethos des Schreibens ganz unterschiedliche syntaktische Gebilde hervor: Sätze von jubilierender Schlichtheit ("Was für ein Leichtsinn mir dazu beschert wurde! Ah, Sorglosigkeit und Leichtsinn, schöner"), aber auch 147 Worte lang wuchernde Hypotaxe voller Klammern und doppelter Doppelpunkte. Und wenn sich Handke in etymologischen Exkursen ins Altgriechische ergeht, gerät er gefährlich in die Nähe geschwätzigen Bildungsgeklingels.
Dafür wird man aber mehr als genug entschädigt: Wie sich der Internatszögling am ersten Tag im vollbesetzten Speisesaal in die neuen Hosen pinkelt, um sich erst dann auf die Toilette zu "retten", ist ebenso diskret wie präzise beschrieben. Weltliteratur!