Zitronen

Roman | Ein sprachgewaltiges Buch über das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom | Nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2024
186 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783518431726
Erscheinungsdatum 12.02.2024
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Suhrkamp
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HerstellerangabenAnzeigen
Suhrkamp Verlag GmbH
Torstr. 44 | DE-10119 Berlin
info@suhrkamp.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

August Drach wächst in einem Haus am Dorfrand auf, das Hölle und Paradies zugleich ist. Der Vater, von sich und dem Leben enttäuscht, misshandelt seinen Sohn, Zärtlichkeit hat er nur für die Hunde übrig. Trost findet August bei seiner Mutter, die ihn liebevoll umsorgt. Doch als der Vater die Familie verlässt, verwandelt sich die Zuwendung der Mutter: Sie mischt August heimlich Medikamente ins Essen, schwächt das Kind, macht es krank; von seiner Pflege verspricht sie sich Aufmerksamkeit und Bewunderung. Erst Jahre später gelingt es August, sich aus den Fängen der Mutter zu befreien, ein unabhängiges Leben zu führen, erste Liebe zu erfahren. Doch wie lernt ein erwachsener Mensch, das Rätsel einer Kindheit zu lösen, in der Grausamkeit und Liebe untrennbar zusammengehören? Wie durchbricht er den Kreislauf von Lügen und Betrügen? Und was passiert, wenn sich dieser Mensch, Jahre später, an den Ursprung des Schmerzes zurückwagt?
Sprachgewaltig, in packenden Bildern und Episoden erzählt Valerie Fritsch in ihrem neuen Roman von der Ungeheuerlichkeit einer Liebe, die hilflos und schwach macht, die den anderen in mentaler und körperlicher Abhängigkeit hält. Ein Entkommen ist nicht vorgesehen, es sei denn um den Preis, selbst schuldig zu werden.

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ISBN 9783518431726
Erscheinungsdatum 12.02.2024
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
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FALTER-Rezension

Sterne, wie kitschig leuchtende Zitronen

Lina Paulitsch in FALTER 12/2024 vom 22.03.2024 (S. 7)

Valerie Fritsch hat einen offensichtlich österreichischen Roman geschrieben. Kein anderes EU-Land verzeichnet so viele Frauenmorde, wohingegen die Sorge um das Tierwohl hier besonders ausgeprägt zu sein scheint. „Die Hunde nämlich hatten es gut. Sie bekamen all die herrenlose und ungewollte Liebe im Haus am Rande des Dorfes“, schreibt die Autorin in ihrem neuen Roman „Zitronen“, erschienen im Suhrkamp Verlag, und kokettiert mit der heimischen Grausamkeit.

In diesem Haus fehlt jede Spur von Liebe. August Drach, ein kleiner Bub, wird von seinem Vater misshandelt. Der schlägt das Kind, wenn ihm selbst etwas misslingt, beschuldigt es für Fehler und Verbrechen, um es bestrafen zu können. Kommt August mit blauen Flecken in die Schule, fragt niemand nach. Er habe sich wohl wieder an der Treppe gestoßen, sagen die Lehrer und wenden den Blick ab. Und das im Dorf, wo jeder jeden kennt.

August lernt, in Deckung zu leben. Er weiß, dass es auf eine Frage keine richtige Antwort gibt, dass er schuldig ist, wenn der Vater ihn dafür befindet. Die Mutter lebt in ihrer eigenen Welt, schaut verträumt aus dem Fenster und lässt ausgefallene Haare einzeln hinausfliegen. Ist der Vater grausam, tröstet sie August erst später: „Die Eltern waren ein Kippbild aus Schutz und Bedrohung, ein janusköpfiges Wesen, das einen erst mit kaltem, dann mit mitleidigem Gesicht ansah.“

Doch eines Tages verschwindet der Vater, verlässt die Familie. Und die Mutter verwandelt ihre punktuelle Zuwendung in eine krankhafte. August muss Tabletten, Schimmel und Asbest essen, damit er kränkelt und die Mutter ihn bemuttern, ja „übermuttern“ kann. Während im Wohnzimmer in Dauerschleife das Begräbnis von Lady Di im Fernsehen läuft, pflegt sie ihren Sohn am Krankenbett. „Abends blickte sie, stolz auf ihre Leistungen, in den Spiegel und sah ein Spiegelbild, das selbst genas.“ Es sind seltsam sterile Sätze, die es beim Lesen schwer machen, selbst so etwas wie Empathie zu entwickeln.

Sobald es August besser geht, mischt ihm die Mutter wieder Gift ins Essen. Der Arzt, ein behäbiger Mann aus dem Dorf, wird bald zur wichtigsten Bezugsperson und verliebt sich in die Mutter. Er behandelt sie „wie eine Prinzessin“, „sah in ihr, was keiner je gesehen hatte“. Obwohl der Arzt irgendwann herausfindet, was die Frau ihrem Kind antut, schweigt er.

Die Mutter sei kein Monster, erklärte die Autorin jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, sondern leide an einer psychischen Krankheit: dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. So wie alle Menschen ist sie vulnerabel, aber verkehrt ihre Liebe in eine hinterhältige Form der Gewalt.

Hier endet der erste Teil von „Zitronen“, der die Kindheit Augusts umfasst. Valerie Fritsch, geboren 1989 in Graz, recherchierte akribisch zum Thema Gewalt. „Wenn ich etwas gar nicht verstehe, habe ich das Bedürfnis, mich dem zu nähern und etwas mehr zu verstehen“, sagt die Autorin. „Häusliche Gewalt ist überall, hinter jeder Tür passieren schlimme Dinge.“

Fritsch legt ihren vierten Roman vor. Drei Jahre nahm sie sich Zeit, um Gespräche mit Tätern und Opfern zu führen, um mit Mördern über ihre Lebensgeschichte zu sprechen. Den Kontakt hat sie über den Verein zur Resozialisierung „Neustart“ hergestellt. Mehrere gewalttätige Männer teilten dafür intime Details mit ihr, erklärten sich und ihre Motive.

Im zweiten Teil des Buches ist August Drach erwachsen und verschwindet in der Anonymität der Stadt. Er trifft auf Gestalten der Nacht, lernt zu lügen und die eigene Vergangenheit zu vergraben. Nur die Schlaflosigkeit erinnert ihn an die Kindheit. „Die Minuten blühten wie Millionen von Blumen auf dunklen Wiesen um ihn herum, und nicht eine ließ sich pflücken, keine verging.“ Es sind schwülstige Metaphern wie diese, die Fritschs Roman stellenweise ins Klischee kippen lassen.

Irgendwann trifft August auf Ava und verliebt sich. Es ist die erste große Liebe, eine, die alles einnimmt, aber auch ständig im Verdacht steht, zu vergehen, so kostbar, dass August um sie fürchtet. Obwohl die beiden heiraten, lässt sich sein Misstrauen nicht besänftigen. Er prüft sie, stößt sich an ihrer Art, den Bäcker anzusehen – und schreit sie an, schüttelt sie. Irgendwann geht Ava.

Im letzten Teil mündet die Geschichte des August Drach in ein blutiges Finale. Er fährt nachhause, rächt sich an der Mutter. Spätestens jetzt wird überdeutlich, welche Intention die Autorin verfolgt: zu ergründen, was zum Grauen motiviert; die Banalität des Bösen familiensoziologisch zu untersuchen. Es ist eine zeitlose Geschichte.

Diese durchaus interessante Prämisse tritt jedoch mitunter plump hervor. „Alles, was er tat, tat er mit der Inbrunst der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins“, schreibt Fritsch und liefert eine scheinbare Erklärung für die Grausamkeit: Wer selbst misshandelt wurde, misshandelt andere.

Doch gilt das für alle? Warum werden die einen gewalttätig und die anderen nicht? Ist die eigene Prägung unabwendbar – oder entscheidet der Mensch als freies Wesen über sein Tun? Weiterführende Fragen zur Gewalt kommen in Fritschs Prosa nicht vor. Ihre Erzählung verläuft knapp, die Charaktere bleiben farblos, wie Puppen eines Schauspiels. Auch der Buchtitel kippt in den Kitsch, wenn Fritsch die Zitronen als Sterne beschreibt, die hoffnungsfroh am Himmel stehen.

„Gewalt und Liebe heben einander nicht auf“ ist ein zentraler Satz des Romans. Einer, der nicht umstrittener sein könnte. Sollten wir also Mitleid haben, mit dem armen Mann? Dieses Fazit möchte man Fritsch nun wirklich nicht unterstellen.

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Über die Autorin

Valerie Fritsch, geboren 1989 in Graz, studierte an der Akademie für angewandte Photographie und ist seitdem als Fotografin und freie Schriftstellerin tätig. Außerdem ist sie Mitglied des Grazer Autorenkollektivs plattform. Fritschs Publikationen erscheinen in Literaturmagazinen, Anthologien und im Rundfunk. Zuletzt veröffentlichte die Autorin die Romane "Herzklappen von Johnson & Johnson" und "Winters Garten" sowie die Gedichte "kinder der unschärferelation". Fritsch erhielt mehrere Auszeichnungen und Stipendien, darunter der Brüder Grimm Preis, der Peter Rosegger Preis und das Staatsstipendium für Literatur. Sie lebt in Graz und Wien.

Alle Bücher von Valerie Fritsch