

Ernte in Balkonien
Julia Kospach in FALTER 15/2021 vom 16.04.2021 (S. 44)
Fensterbank, Balkon, Terrasse, Hinterhofgärtchen: Keine Fläche ist zu klein, um auch in der Großstadt eigenes Gemüse, Kräuter oder Beeren zu ziehen. Aber wie geht man es an? Eine Anleitung in fünf Schritten für Urban Gardener mit Selbstversorgersehnsucht.
Erst einmal einlesen
Je kleiner die Fläche, desto wichtiger die Planung. Deshalb hilft zum Einstieg eine Aufwärmrunde Armchair-Gardening, sprich Lektüre: Unübertroffen umfassend ist immer noch Andrea Heistingers „Handbuch Bio-Balkongarten“. Kein Aspekt, der dort nicht beleuchtet würde. Kurz gefasstes Know-how zu Balkongemüse, -obst und -kräutern bietet auch das neue „Alles Bio vom Balkon“ von Ursula Kopp.
Ebenso lohnend ist der Blick in einschlägige Balkongarten- und Selbstversorger-Blogs, etwa kistengruen.de, hauptstadtgarten.de oder wurzelwerk.net. Ganz neu ist die Garten-App Gardify (www.gardify.de), eine Art Smart-Gardening-Tool, das einem mit To-do-Erinnerungen, Ökoscans, Pflanzen-Doc oder ortsgenauen Frostwarnungen virtuell zur Hand geht.
Was es zu vermeiden gilt
Man mag es noch so bedauern, aber auf einem dunklen Nordbalkon werden nie Paradeiser reifen. Sie benötigen – wie die meisten Fruchtgemüse – sechs Stunden Sonne pro Tag. Halbschattentolerant sind Blattgemüse wie Mangold, Salat oder Gartenampfer. Hellerer Schatten funktioniert etwa auch für Radieschen, Gurken oder Himbeeren. Und im tiefen Schatten kann man es immerhin noch mit Pilzen probieren. Wobei in der Stadt Schattenlage sowieso nicht gleich Schattenlage ist: Denn wenn rundum Fensterscheiben Sonnenlicht reflektieren, schaut die Sache schon wieder besser aus.
Ebenso sind in der Stadt Hitze und Wind ein Thema. Beide lassen Pflanzgefäße rasch austrocknen. Daher lieber wenige größere Topfe als viele kleine, in denen die Erde in Windeseile steinhart wird und man mit dem Gießen nicht nachkommt. Auch Nährstoffe sind in größeren Gefäßen länger verfügbar.
Die richtige Wahl
Wer in der Horizontalfläche beschränkt ist, schwinge sich in die Höhe: Windsicher befestigte Rankgerüste funktionieren auf Balkonen und Terrassen als ideale Senkrechtgärten. Feuerbohnen, Erbsen, Gurken, essbare Blüten wie Kapuzinerkresse oder auch viele Paradeiser kann man nach oben ziehen und dabei auch für Blattgrünkühlung von Mauern sorgen. Insgesamt gilt: Beim Einkauf kleinwüchsige Sorten wählen, bei Obst zu schlankem Säulenobst greifen und nach Balkonsorten fragen.
Eine Fundgrube für Sorten, die auf kleinstem Raum gedeihen, ist Birgit Lahners Buch „Bio-Gärtnern am Fensterbrett“. Die Wiener Nutzpflanzenexpertin bietet auch eintägige Workshops zum Thema an (www.birgitlahner.at). Gute Adressen für den Kauf von Bio-Gemüsejungpflanzen und Bio-Samen von samenfesten Sorten, also Sorten, von denen man Samen gewinnen und im Folgejahr wieder anbauen kann, sind z.B. Reinsaat, Sativa oder Arche Noah (siehe Spalte).
Einige erprobte Mischkulturen für Töpfe, wie sie Andrea Heistinger empfiehlt, sind: Salat und Radieschen, Knoblauch und Erdbeeren, Erdmandeln und Paradeiser, Salat und Kohlsprossen, Basilikum mit Paprika, Paradeiser oder Aubergine, Schnittlauch und Karotte.
Gutes Gerät
Drei Werkzeuge braucht man zum Balkongärtnern jedenfalls: Handschaufel, Gartenschere und ein „Heindl“, sprich: eine kleine, gestielte Handhacke. Damit deckt man alles vom Jäten übers Graben und Stutzen bis zum Töpfe-mit-Erde-Befüllen ab. Man kann dabei jeweils zur Billigausführung greifen und Glück haben oder sich gleich etwas Stabiles zulegen, zum Beispiel eine Gartenschere von Felco (Modell ist Geschmackssache) sowie eine Handschaufel und eine Kleinhaue von „PKS Bronze-Gartenwerkzeuge“ aus Bad Ischl (kupferspuren.at).
Beschriftete Pflanzetiketten, die man neben frisch Gesätem oder Gesetztem in die Erde steckt, gehören ebenfalls zur Grundausstattung, weil man schneller, als man glaubt, vergisst, was man wo gesetzt hat. Ideal – und billiger als Plastiketiketten – sind hölzerne Mundspateln. Mit Bleistift beschriften, der hält am längsten!
Weil es immer etwas hoch- und festzubinden gibt, braucht es eine Rolle reißfesten, nicht zu dünnen Gartenspagats. Und wer einmal in einer betörenden Auswahl von Qualitätsgartenwerkzeug schwelgen möchte, kann dass auf dictum.com tun.
Erde und Wasser
Weil man in Balkonien nur in Pflanzgefäßen gärtnert, ist die Erde umso wichtiger. Hier bei der Qualität zu sparen rächt sich später. Oberstes Gebot: Die Erde darf keinen Torf enthalten! Bio und Torf gehen ohnehin nicht zusammen. Beim Torfabbau werden nämlich jede Menge Moore zerstört.
Ein sehr gutes, torffreies Bio-Substrat aus Niederösterreich ist Alfred Grands Bio-Erde aus Kompost, Rindenhumus, Lavasand und Regenwurmhumus: www.vermigrand.eu.
Für die Anzucht von Samen, die nährstoffarme Erde zum Keimen brauchen und erst nach dem Vereinzeln in gehaltvolleres Substrat gesetzt werden, gibt es eigene Anzuchterde. Sie eignet sich auch gut für Kräuter.
Ein Wort noch zum Gießen: Gemüse braucht vor allem als frisch gesetzte Jungpflanze und während der Frucht-entwicklung regelmäßige Wasserversorgung. In Hitzephasen muss man deshalb mitunter zweimal pro Tag gießen. Eine Mulchschicht oben auf der Topferde – etwa aus Stroh – hilft gut gegen das Austrocknen.
Nun der finale Geheimtipp: Sammeln Sie Regenwasser! Das erspart Gießkanneschleppen, und wie alle Pflanzen mögen auch Gemüse und Kräuter weiches Regenwasser am liebsten
In dieser Rezension ebenfalls besprochen:
Kauf dir den Kompostwurm!
Irena Rosc in FALTER 9/2012 vom 02.03.2012 (S. 50)
Gemüse, Obst und Regenwürmer: über die Fruchtfolge und Mischkultur im Kistl
Fortunats Bohnen wachsen auf einem kleinen Schiff. Seine Mutter, die Agrarwissenschaftlerin und Autorin Andrea Heistinger, hat gemeinsam mit Arche Noah ein Handbuch über das Gärtnern in der Stadt geschrieben. Sie beschreibt das Pflanzen von Obst, Kräutern und Gemüse auf dem Balkon wie eine einfache Übung, die auch Kindern gelingt, was ihr Sohn Fortunat zu bestätigen scheint.
Mit Beispielen aus Wien, London, Berlin und Amsterdam erzählt und zeigt Heistinger, wie man ohne eigenen Garten essbare Pflanzen auch auf kleinstem Raum in der Stadt züchten kann. Ob Kartonkistchen aus dem Supermarkt, Plastiktaschen oder Kübel, vieles eignet sich auf dem Balkon oder auf einer öffentlichen Fläche als Pflanzbehälter.
So weit wie in Amsterdam, wo Anrainer einfach auf dem Gehsteig Pflastersteine entfernen und Pflanzen einsetzen, so weit sind wir noch nicht; aber das kann ja noch kommen. "Auch bei uns werden vermehrt Nutzpflanzen in der Stadt angebaut", sagt Heistinger. "Auf meinen Reisen konnte ich beobachten, dass gerade jene Menschen, die sich beim Gärtnern nicht auskennen, die kreativsten Lösungen entwickeln."
So hat sie auch in ihr neues Buch Texte vieler Autorinnen und Autoren einbezogen, die mit ihr über Anbauanleitungen diskutiert, ihr E-Mails geschrieben und viele Fragen beantwortet haben.
Andrea Heistinger studierte in Wien Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur. In ihrer Abschlussarbeit ging sie Fragen der ökologischen Landwirtschaft nach und kritisierte zugleich deren dominante Paradigmen. Zum Beispiel jenes, dass das tausendjährige Bemühen der Landwirtschaft, lokal angepasst Pflanzen zu züchten, von 100 Jahren Saatzuchttechnik in den Schatten gestellt würde. "Die Saat der Bäuerinnen" heißt ihre Arbeit, 2001 als Buch erschienen, in der sie Bäuerinnen und ihre Saatgutgewinnung in Südtirol porträtiert, über deren Lebensgeschichten und deren, wie sie es nennt, "In-Kultur-Nehmen" von Pflanzen berichtet. "Saatgut ist Gemeingut" lautet nach wie vor auch Heistingers Devise.
Die Puffbohne (Vicia faba) ist ein beliebtes Gemüse im Hause Heistinger in Schiltern und, wie die Autorin erklärt, ganz leicht selbst anzubauen und zuzubereiten: "Puffbohnen in einem 10 cm hohen Balkonkisterl oder einem anderen Gefäß so aussäen, dass jedes Samenkorn zum anderen
2 cm Abstand hat, fingerdick mit Erde bedecken und an einem hellen Ort aufstellen. Feucht halten. Nach 6–8 Wochen kann man die Sprossen das erste Mal beernten: Blätter und Stängel grob geschnitten schmecken sehr gut als Suppeneinlage. Eine Handvoll pro Suppenschüssel, mit heißer Gemüsebrühe übergießen, nicht mehr kochen. Das Puffbohnengrün schmeckt auch sehr gut zu Ziegenfrischkäse oder einfach aufs Butterbrot. Anbau das ganze Jahr indoor, dabei kann zweimal beerntet werden."
Wenn wir sie im März im Freien anbauen, freuen wir uns selbstverständlich am meisten auf die Schoten und ihren Inhalt, die dicke Bohne, die von Juni bis August geerntet werden kann. Sie kann sowohl roh wie gekocht gegessen werden und ist seit der Steinzeit eine unserer wichtigsten Kulturpflanzen. In der Zeit vor dem billigen Fleisch aus Massentierhaltung war sie einer der wichtigsten und preisgünstigsten Eiweißlieferanten.
In Italien bereitet man aus frischen, ausgelösten Puffbohnen einen schmackhaften Salat so zu, dass man eine Salatschüssel mit einigen grünen Salatblättern auslegt, 900 g frische, junge und ausgelöste Puffbohnen mit zwei in feine Ringe geschnittenen Frühlingszwiebeln vermischt und auf den Salatblättern anrichtet. 200 g fein gehobelten Pecorino darüber verteilen, 4 EL Olivenöl mit Salz und frischgemahlenem Pfeffer verrühren und über den Salat träufeln. Serviert wird mit Weißbrot. Oder man taucht die frischen Bohnenkerne in Salz, isst dazu ein Stück Brot und Salami und trinkt dazu ein Glas Wein.
Andrea Heistinger sagt, sie suche "das Besondere, das Eigensinnige und Widerspenstige, das Improvisierende, das Nützliche und das Schöne in der Kultivierung von Pflanzen". Wer mag, kann sich bei ihr einen essbaren Garten bestellen. Den Regenwurmhumus und einheimische Regenwürmer bekommt man in Absdorf in Niederösterreich – übrigens ein preisgekröntes österreichisches Businessmodell. Laut Heistinger ist so ein Kompostwurm ein Regenwurm, aber ein gewöhnlicher Regenwurm ist kein Kompostwurm. Und die Pflanzen wachsen auf Kompostwurmhumus viel besser.