

Chapeau!
Nathalie Grossschädl in FALTER 25/2016 vom 24.06.2016 (S. 40)
Ein Hut, ein Kapperl, ein Blumenkranz, eine Perücke oder ein Kopftuch: Was man am auf dem Kopf trägt, sagt oft mehr über einen aus, als man will.
„Chapeau!“, sagt man in Wien, wenn man eine Leistung besonders gut findet. Es ist ein frankophiler Ausdruck des Respekts. Man zieht innerlich den Hut vor jemandem. „Chapeau!“ heißt auch die aktuelle Ausstellung im Wien Museum am Karlsplatz, die sich der Sozialgeschichte von Kopfbedeckungen annimmt. Der Falter nimmt das zum Anlass, um elf Wienerinnen und Wiener, manche eingeboren, manche eingewandert, über ihre Kopfbedeckung erzählen zu lassen. Ursprünglich sollten Hüte und Kopftücher Wind, Regen, Hitze und Kälte abhalten. Sporthelme, inzwischen wieder Alltag im Stadtbild, erfüllen diesen Zweck. Aber was wir am Kopf, unserem exponiertesten Körperteil, tragen, ist viel mehr als nur Schutz. Einst zeigte man mit einem Hut seinen sozialen Rang, seine politische Gesinnung, auch seine Religion. Das Kopftuch oder die Perücke orthodoxer Jüdinnen, der „Scheitel“, erinnern noch daran.
Mittlerweile spiegelt die Kopfbedeckung mehr den persönlichen Geschmack wider, er ist soziokulturelles Erkennungsmerkmal, im besten Fall Markenzeichen. Ein Knautschhut der Wiener Hutmanufaktur Mühlbauer wurde zum Erkennungszeichen des alternativen Wiener Bürgertums. Künstlern wie Ernst Molden oder Stefanie Sargnagel dient ihr Budapester Hut oder ihre rote Baskenmütze als „praktischer Wiedererkennungswert“ (Sargnagel). Alle Kopfbedecker eint: Wer sich angewöhnt, mit Hut, Kappe, Tuch oder was auch immer aus dem Haus zu gehen, fühlt sich ohne schnell nackt.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen:
Ein Stück Stoff, das aufregt
Barbaba Tóth in FALTER 15/2014 vom 11.04.2014 (S. 17)
Was ist das Kopftuch? Zeichen von Unterdrückung muslimischer Frauen oder ein Stück Stoff, das Frauen aus freier Entscheidung anlegen und keine Rückschlüsse auf ihre Selbstständigkeit oder ihren Feminismus zulässt? Die Journalistin Petra Stuiber, langjährige Leiterin des Chronik-Ressorts im Standard und nun Chefin vom Dienst des Blattes, nähert sich in ihrem Buch "Kopftuchfrauen" auf zwei Arten dieser schwierigen Frage. Sie hat zehn Kopftuchträgerinnen porträtiert, die alle irgendwie aus dem Schema fallen. Die muslimische Feministin Dudu Kücükgöl etwa, Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreichs. Oder Renate Kaufmann, ehemals SPÖ-Bezirksvorsteherin in Wien-Mariahilf, die während ihrer schweren Krebserkrankung ein Kopftuch trug. Oder Selma C., die in Wahrheit anders heißt, eine Callcenter-Mitarbeiterin, die dem Klischee der unterdrückten muslimischen Frau am nächsten kommt, aber unter Zusicherung von Anonymität Stuiber von ihren kleinen Momenten des häuslichen Aufbegehrens erzählt hat.
Was Stuiber mit ihren Porträts aussagen möchte, wird schnell klar: Warum jemand ein Kopftuch trägt, kann sehr individuelle Gründe haben. Pauschalurteile werden dem umstrittenen Stück Stoff nicht gerecht. Diesen Gedanken unterstützt die Journalistin auch im ersten Teil ihres Buches, in dem sie eine kluge Zusammenfassung der "Kopftuchdebatte" liefert – inklusive ausführlicher Darstellung der wichtigsten Protagonisten, von Thilo Sarrazin über Alice Schwarzer (beides Gegner des Kopftuches) bis zur US-Philosophin und Feministin Judith Butler, die davor warnt, dass die Kopftuchdebatte die Frauenbewegung spalten könnte.