

Was ist böse? Und wo beginnt und endet Freundschaft?
Kirstin Breitenfellner in FALTER 8/2017 vom 22.02.2017 (S. 38)
Die Tiere des Bauernhofs überbieten einander beim Unartigsein. Der Hund erschreckt den Hahn, die Taube lässt ihren Dreck auf den Hut des Bauern fallen, das Schwein isst den ganzen Futtertrog leer. Da meldet sich die Katze an, als Nächstes an der Reihe zu sein. Das Pferd sei ja wohl zu brav. Alle sehen die kleine Maus und ahnen die Gefahr, aber niemand tut etwas – außer dem Pferd. Was es tut, lässt alle verstummen. „Das hätte ich dir nicht zugetraut“, sagt der Hund. „Das ist nicht nur böse, das ist furchtbar gemein.“ Das Pferd ist auf die Maus getreten. Ist das nicht zu schlimm für ein Bilderbuch ab vier Jahren, fragen sich auch vorlesende Eltern an dieser Stelle. Aber dann hebt das Pferd langsam sein Vorderbein – und man sieht, dass es die Maus vor der Katze nur im Inneren seines Hufeisens versteckt hat.
Ein herausragendes Bilderbuch erfordert eine kongeniale Zusammenarbeit von Text und Illustration. Autor Lorenz Pauli und Zeichnerin Kathrin Schärer dürfen hier getrost als Glücksfall bezeichnet werden, ja sogar als Schweizer Antwort auf das Erfolgsduo Julia Donaldson und Axel Scheffler. Mit „böse“ legen sie ein Buch vor, das das Zeug zu einem Klassiker à la „Grüffelo“ hat, wo das überraschende Ende die Geschichte rückwirkend in einem neuen Licht erscheinen lässt. Und Schärer zeichnet so detailreich, realistisch und gleichzeitig liebevoll bis ins letzte Barthaar hinein, dass man ihre Figuren sofort ins Herz schließt.
Die Texte von Lorenz Pauli gehen sogar noch mehr in die Tiefe als jene von Donaldson. Mit seinen so anmutigen wie gewitzten Geschichten über „Rigo und Rosa“, den Leoparden und die Maus, die im Zoo leben, beweist er, dass man Kindern auch abstrakte Themen näherbringen kann: Vertrauen und Verzeihen, Freude und Langeweile, Neid und Freundschaft, das Weltall und die Wahrheit geben Anlass zu allerlei Gezank zwischen den ungleichen Freunden. Am Ende jeder Geschichte lässt Pauli beinahe so viele Fragen offen, wie er zuvor in den Raum gestellt hat, und gibt einem trotzdem das Gefühl, bereichert zu sein.
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