

Georg Renöckl in FALTER 13/2010 vom 02.04.2010 (S. 30)
Man kann natürlich versuchen, nicht an rosarote Elefanten zu denken. Oder nicht daran, was passiert, wenn die "Regel Nummer eins: Kein Sex, niemals" gebrochen wird. Geht aber nicht.
Dabei ist Sebastian Horvath nicht nach Tagträumen zumute: Seine Existenz als "Geisterschreiber" für Philosophie-Doktoranden, während die eigene Dissertation warten muss, ist unhaltbar geworden. Er tritt die Flucht nach vorne an und eröffnet in der Mondscheingasse ein "Streichelinstitut".
"Mit asiatischen Mitarbeiterinnen?", fragt die freundliche Dame, bei der er den Gewerbeschein beantragt. Doch Sebastian streichelt natürlich selbst und glaubt fest an seine Regel Nummer eins.
Die Institutsgründung erweist sich als richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Kurz nach einer Kleinanzeige im Blatt der "Sozialfaschisten" (Sie halten es übrigens gerade in Ihren Händen) geben sich dank eines offenbar verbreiteten Streicheldefizits schon die Ministerialräte und Unternehmerinnen die Klinke in die Hand.
Dummerweise steht einmal die Ex im Institut, und eine militante Tierschützerin wird rabiat, weil die Homepage auf Tierversuche verweist.
So weit, so gut und vor allem: so unterhaltsam. Nicht nur die Romanfigur Sebastian Horvath, sondern auch ihr Erfinder Clemens Berger, 1979 im burgenländischen Güssing geborener Wahlwiener, scheint das richtige Rezept für eine "Wunschgruppe" gefunden zu haben, die irgendwo zwischen Postpubertät und Prä-Midlifecrisis mit dem Sinn eines Lebens hadert, dessen Mittelpunkt sie am Naschmarkt oder in Neubau sucht.
Der Roman hält seine Leser natürlich mit der beständigen Neugier, wann und wie die Regel Nummer eins denn gebrochen wird, bei der Stange. Er lebt aber vor allem von seiner schillernden Hauptfigur, dem kritisch-grantigen Philosophen mitten im überangepassten, trendy Neubau-Universum.
Sebastian ist ein notorischer Flunkerer, wodurch er sich oft selbst gehörig in die Bredouille bringt, und obendrein ein Verbalerotiker im besten Wortsinn, der sowohl derb-direkt von einer "Muschi" als auch tantrisch-taktvoll von einer "Yoni" schwärmen kann.
Nach dem Anfangserfolg gerät er freilich zunehmend in Bedrängnis, das Romangefüge leider auch. Eine Stammkundin, die wunderschöne Frau Dr. Fischer, macht ihm seine Regel Nummer eins zur Qual, die faszinierende Ungarin Esther den Rest der Treue zur Freundin Anna. Das Beziehungsdrama, in das er nun schlittert, könnte ziemlich kitschig verlaufen, doch saugt der reichlich zitierte, schön trockene Adorno das Schmalz aus den Dialogen.
Nicht nur die Begegnung mit Esther, auch der überraschende Run auf sein Institut überfordert Sebastian. Alte Kunden bleiben aus, da seine einst so sanften Hände seit dem ökonomischen Erfolg härter geworden sind.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, über das er nun ausgiebig nachdenkt, macht die Sache nicht besser. Die auch noch bisexuelle Frau Dr. Fischer gewinnt immer größeren Einfluss auf Sebastian und Anna, die ebenfalls Erfahrungen mit Frauen nicht abgeneigt ist. Sie bleibt jedoch eine Figur von der charakterlichen Tiefe der Softpornodarstellerin, an die sie Sebastian erinnert. Vielleicht ist sie aber auch nur die böse Königin im Anti-Kapitalismusmärchen, das der Roman schließlich auch noch sein will.
Clemens Berger erweist sich in seinem "Streichelinstitut" als gewitzter Erzähler, der es immer wieder schafft, vermeintlich unrettbaren Situationen doch noch überraschende Wendungen zu geben.
Seinen Roman, der Wiener Bobo-Satire, philosophische Beziehungsgeschichte, Selbstfindungsmelodram und Kapitalismusparabel in einem sein will, überfrachtet er dabei allerdings. Die anfängliche Spannung weicht Durchhängern, etwas schlaff zieht sich die Geschichte dem streichelweichen Happy End entgegen.