

Gloria und Mo-Nee spielen Leben
Sebastian Fasthuber in FALTER 37/2023 vom 15.09.2023 (S. 31)
Die Weisheiten der Sportwelt sind von schlichter Schönheit, aber dadurch nicht weniger zutreffend: Never change a winning team. Man muss den Schwung mitnehmen. Weil, das wusste schon der Skirennläufer Rudi Nierlich: "Wonn's laft, donn laft's!"
Bei der Vorarlberger Autorin Monika Helfer, die ihr Leben lang geschrieben hat und mit 70 plötzlich Bestsellerautorin wurde, läuft es. So gut, dass der Hanser Verlag mit Handkuss jedes Jahr ein neues Buch von ihr herausbringt.
Das jüngste trägt den Titel "Die Jungfrau" und erzählt von Helfers Jugendfreundin Gloria, die ihr ganzes Leben in einer verwunschenen Villa zubringt -so als hätte das Gebäude sie verschlungen und ließe sie nicht mehr frei.
Eigentlich hatte Helfer vor, es bei drei Romanen über Menschen aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu belassen. Mit "Die Bagage", "Vati" und "Löwenherz" hatte sie zuletzt eine Trilogie über ihre Familie geschrieben und dabei eine reizvolle Art biografischen Erzählens entwickelt. Frei nach dem Motto "Du, wie war das damals?" basiert dies neben eigenen Erinnerungen auf Gesprächen mit ihrem Mann Michael Köhlmeier sowie auf Erzählungen anderer und wohl auch mancher Erfindung. Es geht Helfer in diesen Büchern nicht so sehr um die Korrektheit der Fakten als um das Finden einer eigenen, wenn man so möchte, poetischen Wahrheit, die den Figuren gerecht wird.
Gloria eignet sich wunderbar als Heldin eines Helfer-Romans. Jung und reich und schön und klug und frei - so kommt sie zumindest in den Jugendszenen rüber. Doch während Freundin Monika (Mo-Nee, so nennt Gloria sie) mit Anfang 20 Mutter wird und ein ausgefülltes Leben führt, bleibt Gloria im Warteraum des Lebens zurück.
Ihr Schauspielstudium bricht sie ab. Sie spielt ja schon -frei nach einem 80er-Hit des Wiener Sängers Hansi Lang -Leben. Und sie ist gut. Als 17-Jährige entführt sie ihre Freundin nach Zürich. Aus Glorias Idee, nach New York zu fliegen und sich dort entjungfern zu lassen, wird zwar nichts. Aber auch in der Schweiz lassen sie es krachen.
Als angehende Autorin genießt es Monika, ins Villenleben der vornehmen Vorarlberger reinzuschnuppern. Sie lernt schnell. Zuhause gibt es nur Schwarztee, hier darf sie sagen: "Ich bevorzuge Earl Grey."
Dass Glorias Leben - auch wenn es am Dachboden eine voll funktionsfähige Extra-Wohnung gibt, die nie jemand benutzt, während Monika sich mit zig Verwandten ein paar Zimmer teilen muss -so toll auch wieder nicht ist, wird schnell klar.
Das Haus ist vollgemüllt mit Luxuszeug, das sie und ihre Mutter kaufen und abstellen, um es danach nie mehr anzuschauen. Da ist offenbar eine riesige Lücke, und sie lässt sich nur zum Teil mit dem Rätsel um Glorias unbekannten Vater erklären. Sie wird dieses Haus jedenfalls nicht mehr verlassen. Und sie wird Jungfrau bleiben.
Kann das wahr sein? Es ist eine Stärke von Helfers Romanen, die in einer klaren Sprache geschrieben sind und doch märchenhafte Züge tragen, dass es keine Auflösung gibt. Der Text entfernt sich oft weit von der verwunschenen Hauptfigur und ihrer Villa. Helfer erzählt stattdessen von ihrer furchtbaren ersten Hochzeit (mit Brautstehlen!).
Dabei ist "Die Jungfrau" eine Art Auftragswerk. Nach sehr langer Funkstille meldet sich Gloria an Mo-Nees 70. Geburtstag. Sie möge über sie schreiben. Ob der vorliegende Roman das Buch ist, das sie sich gewünscht hat? Hymne ist es keine.
Aber es wirkt poetisch wahr. Und hallt nach, weil vieles offen, ungesagt bleibt.