

Der neue Auster: Altern, Tod, Liebe und etwas Slapstick
Sebastian Fasthuber in FALTER 45/2023 vom 10.11.2023 (S. 30)
Erzählungen folgen in der Regel einer bestimmten Logik. Dadurch werden sie uns beim Lesen nachvollziehbar. US-Autor Paul Auster (Jg. 1947) hat sich dem stets widersetzt, indem er zufällige Fügungen zum Motor seiner Romanhandlungen machte. Zuletzt trieb er das in dem ausufernden Roman "4 3 2 1"(1200 Seiten!) zum Exzess.
Anders "Baumgartner", seine schlanke Meditation über Altern, Tod und die Liebe: Der postmoder ne Trickster verzichtet hier darauf, Feuerwerke an Effekten abzuschießen. Er arbeitet in viel kleinerem Rahmen.
Der Erzähler ist T. S. Baumgartner, Anfang 70, seit einer Ewigkeit Philosophieprofessor in Princeton und Verfasser gerühmter Bücher etwa zu Kierkegaard. Den Tod von Anna, der Liebe seines Lebens, hat er auch nach zehn Jahren nicht komplett verwunden, dazu kommen erste Alterserscheinungen.
Die Eingangsszene ist herrlicher Slapstick zum Thema beginnende Demenz. Der Held sitzt in seinem Arbeitszimmer und schreibt. Um einen Satz zu vervollständigen, benötigt er ein Buch, das unten im Wohnzimmer liegt. Im Erdgeschoß angekommen, fällt ihm auf, dass es verbrannt riecht. Nach dem Kochen der Frühstückseier hat er vergessen, den Herd abzudrehen.
Er greift den Topf ohne Geschirrtuch an -aua! Nach kurzem Verarzten fällt ihm ein, er hat seiner Schwester ein Telefonat versprochen. Es kommt nicht dazu: Zuerst ruft die Tochter der Putzfrau an, dann steht der Mann, der den Strom ablesen soll, vor der Tür. Am Weg zum Zählerpunkt stürzt Baumgartner über die Kellerstiege.
Die ersten Seiten sind eine Mischung aus Kleist und Mr. Bean - großes Kino. Dieses Level hält der Rest nicht ganz. Doch auch Baumgartners Erinnerungen an seine große Liebe, seine Kindheit und die Eltern haben fantastische Momente.
Diesmal wollte Paul Auster keinen großen Roman schreiben. Es wurde ein kleines Meisterstück.