

Vom Opportunismus des Westens
Stefanie Panzenböck in FALTER 1-2/2016 vom 13.01.2016 (S. 17)
An dem Tag, als Terroristen die Redaktion der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo überfielen und zwölf Menschen töteten, war gerade die neue Ausgabe mit dem Schriftsteller Michel Houellebecq am Titelblatt erschienen. Der Anlass war Houellebecqs neuer Roman „Unterwerfung“, der ebenfalls an diesem Tag veröffentlicht worden war. Die Geschichte spielt im Jahr 2022 in Frankreich. Der Präsidentschaftswahlkampf wird ausgetragen zwischen einer moderaten muslimischen Partei und dem rechtsextremen Front National unter Marine Le Pen. Die Muslime gewinnen und bilden eine Koalition mit den Sozialisten und Konservativen.
Der Protagonist François, ein Professor für Literaturwissenschaft, verliert daraufhin seinen Job, weil er kein Muslim ist, erhält aber eine satte Pension, von der er gut leben kann. Doch er langweilt sich zusehends und entscheidet sich, doch zu konvertieren, um wieder auf der Uni unterrichten zu können, gleichzeitig findet er Gefallen an der bereits legalisierten Polygamie. Kritiker, vor allem französischer Medien, vernichteten „Unterwerfung“ zum Teil, warfen Houellebecq Islamophobie und Rassismus vor, bezichtigten ihn des blanken Zynismus und der Sympathie für die Rechte oder machten Provokationen wie die seinen sogar verantwortlich für derart grausame Anschläge.
Diese Urteile verwundern nach wie vor. Denn im Grunde handelt „Unterwerfung“ nicht einmal in erster Linie von einer drohenden Islamisierung, sondern vom Opportunismus unserer westlichen Gesellschaft, die momentan noch nach ihren Werten schreit und die Demokratie verteidigen will, aber es sich schlussendlich richtet, egal wer das Sagen hat. Houellebecq hat mit diesem Roman zwar ein dystopisches, aber nur allzu wahrscheinliches Spiegelbild unserer Zukunft entworfen. Sein Zynismus ist dabei ein notwendiges Übel.
Houellebecqs neuer Roman: mehr Spott für Frankreich als für den Islam
Sebastian Fasthuber in FALTER 3/2015 vom 14.01.2015 (S. 31)
"Unterwerfung", das im Jahr 2022 angesiedelt ist, handelt von einem Frankreich, das sich, genau, dem Islam unterwirft. Der neue Roman von Michel Houellebecq hätte also ohnehin für großes Aufsehen gesorgt. Der Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, dessen aktuelles Cover eine Karikatur des Autors ziert, hat die Aufmerksamkeit allerdings noch potenziert.
Es ist in mancherlei Hinsicht ein problematischer und grenzwertiger, stilistisch ziemlich schludriger, aber als Ganzes großartiger Roman, der zeigt, was Literatur darf, kann und sogar soll. Nämlich grundsätzlich einmal alles zur Sprache bringen – auch das, was im politischen und medialen Diskurs nicht gesagt werden darf.
Der Islam kommt im Roman gar nicht so schlecht weg. Dieser hat es eher noch einmal auf all die alten 68er, ehemaligen Trotzkisten oder Stalinisten abgesehen, die ihre einstigen Ideale und Überzeugungen längst über Bord geworfen haben und sich nur zu gern dem Islam unterwerfen, solange es für sie bequem und mit Vorteilen verbunden ist.
Houellebecqs satirischer Spott und Hohn richtet sich gegen die Politiker und Intellektuellen seines Heimatlandes. Er zeichnet sie als Fähnchen im Wind, die bereitwillig mit einem charismatischen Muslimführer kollaborieren würden – ein bisschen so wie das Vichy-Regime mit dem Großdeutschen Reich.
Der erzählerische Trick besteht darin, dass der Autor mit seinem Alter Ego François einen Ich-Erzähler einsetzt, der vorgibt, sich bislang überhaupt nicht für Politik und Religion interessiert zu haben. Das erlaubt ihm einen zwar gefährlich naiven, aber auch nicht vorbelasteten Blick auf die Umwälzungen, die Frankreich im Buch gerade durchmacht.
2017 hat sich der Sozialist François Hollande in der Stichwahl noch gegen Marine Le Pen vom Front National durchgesetzt. Danach begann der Aufstieg des islamischen Politikers Ben Abbes, dem Gründer der Bruderschaft der Muslime.
Bei der Wahl 2022 liegt diese ziemlich gleichauf mit dem Front National. Chaos und Gewalt liegen in der Luft. Die schwachen Sozialisten und Konservativen machen lieber den moderat auftretenden Abbes zum Premierminister als Le Pen, die sich extra zu einem Merkel-Verschnitt entwickelt hat, weil sie meint, "man habe als Frau wie Angela Merkel auszusehen, um an den Gipfel der Macht zu gelangen".
Für François, der als Literaturprofessor und Alkoholiker ein von Langeweile und Depressionen geprägtes Leben führt, ergibt sich eine neue Gelegenheit. Der Misanthrop soll an die Sorbonne berufen werden und außerdem als Experte für den Décadence–Autor Joris-Karl Huysmans ("Gegen den Strich") eine prestigeträchtige Ausgabe von dessen Werken betreuen.
Freilich muss er erst zum Islam konvertieren. Dazu lässt er sich nur zu gern überreden. Sein Gehalt als Professor an der von den Saudis kontrollierten Sorbonne ist enorm hoch und François darf sich dazu noch drei seiner neuerdings ausnahmslos verschleierten Studentinnen als Frauen aussuchen. Sie werden für ihn zu Hause den Schleier ablegen und ihm im Schlafzimmer und in der Küche treue Dienerinnen sein.
Houellebecq behauptet nicht, dass es so kommen wird. Er schildert für Frankreich ein in vielerlei Hinsicht erschreckendes Szenario, wobei die Islamisierung wohlbemerkt ganz friedlich und freiwillig vonstatten geht. Alles wirkt so harmlos, fast nett. Wären wir als Muslime nicht alle glücklicher? Ein ausgefuchstes Schelmenstück.