

Hertha Firnberg hätte eine bessere Biografie verdient
Eva Blimlinger in FALTER 44/2009 vom 30.10.2009 (S. 24)
Zum 100. Geburtstag erscheint eine Biografie der großen Sozialdemokratin Hertha Firnberg. Rezension einer Enttäuschung
Im heurigen September hätte die ehemalige Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg ihren 100. Geburtstag gefeiert. Anlass genug, eine Biografie über die sozialdemokratische Politikerin zu schreiben. Die Biografie der Literaturwissenschaftlerin Marlen Schachinger präsentiert sich aber leider wie die derzeitige Sozialdemokratie: orientierungslos, interesselos, leidenschaftslos, ungenau, oberflächlich, ahistorisch und apolitisch.
Zugegeben, die Biografie ist keine leichte Form. Wie soll sie angelegt werden? Hagiografisch, als Abrechnung, als Hinwendung? Weshalb entscheidet sich jemand dazu, über eine Person des öffentlichen Lebens eine Biografie zu schreiben? Warum dies Schachinger tut, bleibt der Leserin gänzlich verborgen, denn dass eine Biografie "der (subjektiven) Wahrheit verpflichtet" ist und "nur das Leben einer Person konstruiere, niemals jedoch es rekonstruieren könne", klingt wie eine Wikipedia-Definition. Schachingers Arbeit basiert auf Interviews – sie nennt diese Erfahrungsberichte –, Literatur und sehr wenigen Akten. Sie macht die "mangelnde Aktenlage aufgrund zweier Weltkriege" dafür verantwortlich. Eine Fehleinschätzung, hat es doch die Sozialdemokratie, aber auch das Österreichische Staatsarchiv schlichtweg versäumt, sich um den Nachlass von Firnberg zu kümmern.
Aber es gibt sie, die Akten, suchen muss man sie halt. Bedenkt man etwa, dass sogar das gesamte Scheidungsverfahren aus dem Jahr 1942 – Firnberg war mit dem Lehrer Walter Hon zwischen 1932 und 1942 verheiratet – im Wiener Stadt- und Landesarchiv einzusehen ist oder dass man etwa im Universitätsarchiv in die Unterlagen von Firnberg als Studentin Einsicht nehmen kann, dann liegt es wohl eher an der Autorin als an den Weltkriegen, diese Akten nicht bearbeitet zu haben. Im Quellenverzeichnis findet sich kein einziges Archiv, kein einziger Aktenverweis. Einzig das Bewerbungsschreiben von Firnberg an die Arbeiterkammer NÖ aus dem Jahr 1948 wird ausführlich zitiert, wo sich dieses befindet, wird jedoch nicht verraten.
Auch bei den Literaturangaben dominiert die Lücke. Firnberg zählte neben Anna Janda, Erna Patzelt und Lucie Varga zu den insgesamt vier Frauen, die in den Jahren 1925 bis 1936 in der Reihe "Veröffentlichungen des Seminars für Wirtschafts- und Kulturgeschichte an der Universität Wien" publizierten. 1935 erscheint die Dissertation Firnbergs "Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der agrarischen Lohnarbeit in Deutschland" als elfter und letzter Band der renommierten und international rezipierten Institutsreihe. Offensichtlich hat Schachinger keinen Blick in die Arbeit geworfen, weder zitiert sie daraus, noch findet sich das Werk in der Bibliografie am Ende des Buches. Lediglich aus dem erwähnten Bewerbungsschreiben erfährt man von der Existenz der Dissertation, Firnberg als Historikerin – und das schmerzt besonders – wird nicht beachtet. (Eine Anmerkung zur Dissertation, verweist dies doch auch ins private Leben: Zu der Arbeit gibt es zwei Karteikarten im Katalog der Universitätsbibliothek, auf einer steht: "Hon, Hertha, 1935 [Mädchenname] s. Firnberg". Unter Firnberg findet sich dann die Originalkarteikarte aus dem Jahr der Katalogisierung, "Hon-Firnberg, Hertha" ist durchgestrichen und "Firnberg, Hertha" darübergeschrieben.)
Schachinger verlässt sich in geradezu fahrlässiger Weise auf die "Erfahrungsberichte". Die Interviews, die sie mit zahlreichen Weggefährten und sehr viel weniger -gefährtinnen führt, ohne deren Angaben durch Quellen zu überprüfen, ohne deren Erzählungen zu hinterfragen, führt zu fragwürdigen Einschätzungen. Als Beispiel sei hier nur die Historikerin Erna Patzelt genannt, die Schachinger als Mentorin von Firnberg bezeichnet. Über die zweifelhafte Rolle von Patzelt, auch im Verhältnis zu Firnberg gibt es mittlerweile einiges an Literatur. Patzelt hat sich etwa vor 1938 illegal für die NSDAP betätigt, und wenn Firnberg in einem Interview Folgendes sagt, so ist hier auch an Patzelt zu denken: "Ich wollte eigentlich immer eine akademische Karriere machen. Ich war ja auch Assistentin am Institut für Wirtschafts-und Kulturgeschichte. Ich bin nicht in die Politik gegangen, ich bin gegangen worden."
Auch die Auswahl der Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen erscheint in vielen Fällen willkürlich und nicht nachvollziehbar: wieso Daniela Graf und nicht Eva Kreisky, und wieso keine politischen Gegnerinnen wie etwa Marga Hubinek oder Maria Schaumayer?
Ungenauigkeiten ziehen sich wie ein roter
Faden durch die Biografie. In der Liste Preise und Auszeichnungen gibt es eine lückenhafte Mischkulanz, offensichtlich unüberprüft übernommen von www.frauen.spoe.at/hertha_firnberg/biografie.htm, oder ist es umgekehrt? Da wird die Vizepräsidentschaft der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie genannt, eine Auszeichnung? Andererseits wird zum Beispiel die unter dem damaligen Rektor Oswald Oberhuber verliehene Ehrenmitgliedschaft der damaligen Hochschule für angewandte Kunst vergessen. In einem Kapitel wird aufgezählt, welche Preise, Schulen usw. nach Firnberg benannt wurden. Kein Wort darüber, dass 1990 der Dr.-Hertha-Firnberg-Staatspreis für besondere Leistungen auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung gestiftet und vergeben wurde. Zwei Jahre später, im Jahr 1992, noch einmal, wieder zwei Jahre später – Firnberg stirbt am 14. Februar 1994 –, wird der Preis nicht mehr vergeben, und das ist bis heute so.
Schachinger lässt seitenlang andere zu Wort kommen, ohne dabei ein eigenes Bild der Historikerin, der Politikerin, der Statistikerin, der Frau Hertha Firnberg zu zeichnen. Schade.