Mein Fall

144 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783100300584
Erscheinungsdatum 29.01.2020
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag S. FISCHER
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Kurzbeschreibung des Verlags

»Nie habe ich von Pater G. erzählt, aus Angst, man könne mir anmerken, dass ich sein Kind geblieben bin.«

»Meine Eltern hatten mich der Gemeinschaft der Patres anvertraut, weil mich dort das Beste, das selbst sie mir nicht geben konnten, erwarten würde. Ich habe sie heimlich oft verflucht, weil sie mich nicht darauf vorbereitet hatten, was dieses Beste sei …« Als Zehnjähriger wurde Josef Haslinger Schüler des Sängerknabenkonvikts Stift Zwettl. Er war religiös, sogar davon überzeugt, Priester werden zu wollen, er liebte die Kirche. Seine Liebe wurde von den Patres erwidert. Erst von einem, dann von anderen.

Ende Februar 2019 tritt Haslinger vor die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Dreimal muss er seine Geschichte vor unterschiedlich besetzten Gremien erzählen. Bis der Protokollant ihn schließlich auffordert, die Geschichte doch bitte selbst aufzuschreiben.

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FALTER-Rezension

"Ich wollte kein Opfer sein!

Klaus Nüchtern in FALTER 4/2020 vom 24.01.2020 (S. 36)

Als Internatszögling ist Josef Haslinger gequält und sexuell missbraucht worden. Nun hat er darüber ein Buch geschrieben und spricht über seine Peiniger, über #MeToo und seinen Horror vor Linsen

Im 25. November 2018 beschließt Josef Haslinger, sich an die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft zu wenden. Diese war bereits 2010 vom Wiener Kardinal Christoph Schönborn eingesetzt worden, um „in absoluter Unabhängigkeit“ den Opfern von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Vertreter der katholischen Kirche die Möglichkeit zu bieten, ihre Fälle aufarbeiten zu lassen und Entschädigungszahlungen zu erhalten.

In seinem Buch „Mein Fall“, das dieser Tage erscheint, beschreibt Haslinger, wie er als Internatszögling des Stiftes Zwettl in den 1960er-Jahren von seinen Erziehern – allen voran von seinem Religionslehrer Pater Gottfried Eder – gedemütigt und sexuell missbraucht worden war. Es geht darin aber auch um sein jahre- und jahrzehntelanges Zögern, diese Erfahrungen öffentlich zu machen, die er bis dahin nur im Medium literarischer Fiktion behandelt hatte – zuletzt in der Erzählung „Im Spielsaal“ aus dem im Vorjahr erschienenen Band „Child in Time“.

„Mein Fall“ erzählt darüber hinaus auch von dem Gang zur sogenannten „Klasnic-Kommission“ (wie die Opferschutzanwaltschaft gemeinhin genannt wird), wo Josef Haslinger von Pontius zu Pilatus geschickt wird. Brigitte Bierlein, damals Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, und Waltraud Klasnic bestellen den Schriftsteller zu sich und lassen sich seinen Fall schildern, um sich persönlich für unzuständig zu erklären. Der Mitarbeiter der Ombudsstelle, bei dem Haslinger schlussendlich landet, meint schließlich „sinngemäß“: „Herr Haslinger, Sie sind doch ein Schriftsteller. Sie können das ja alles viel besser formulieren …“ In „Mein Fall“ kann man es nun nachlesen.

Falter: Herr Haslinger, gleich zu Beginn die Frage, die Ihnen vermutlich am häufigsten gestellt werden wird: Warum jetzt? Warum erst jetzt?

Josef Haslinger: Weil die Verantwortlichen tot sind. Zu ihren Lebzeiten wäre ich nie auf die Idee gekommen, zur Klasnic-Kommission zu gehen und sie öffentlich bloßzustellen.

Wie haben Sie überhaupt erfahren, dass die Täter nicht mehr leben?

Haslinger: Durch Zufall. In der Abflughalle in Schwechat habe ich zwei Zisterzienser-Mönche beobachtet, die sich unterhalten haben. Auf meine Nachfrage hat sich herausgestellt, dass sie zum Stift Heiligenkreuz gehören. Als ich mich dann erkundigte, ob der Pater Gottfried noch lebt, erfuhr ich, dass er vor vier Jahren gestorben war. „Wieso, haben Sie ihn denn gekannt?“ „Ja, das war mein Religionslehrer im Stift Zwettl.“ Sagt der Ältere der beiden: „Sie haben ihn sicher gern gehabt?“ Worauf ich antworte: „Ja, ich habe ihn gern gehabt. Sie wissen aber sicher, dass er nicht freiwillig nach Heiligenkreuz gegangen ist?“ Daraufhin ist dem die Kinnlade runtergefallen. Er hat sich umgedreht – und weg war er.

Er hat genau gewusst, was Sache ist?

Haslinger: Das hat er eindeutig gewusst. Und ich weiß nun auch, warum. (Zieht einen Brief aus der Tasche.) Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einen Brief vom Abt aus Heiligenkreuz bekommen, in dem sich dieser überschlägt vor Bedauern und mich um Verzeihung bittet. Worauf ich ihm geantwortet habe: „Sehr geehrter Herr Abt, Sie haben mich um Verzeihung gebeten, aber Sie haben mir ja gar nichts getan.“ Und schließlich steht in meinem Brief auch noch Folgendes: „Ich nehme an, dass Sie von Pater Gottfrieds Verfehlungen nicht erst durch mich erfahren haben. Was hat das Stift Heiligenkreuz unternommen und was gedenkt es, noch zu tun, damit vergleichbare Fälle nicht wieder vorkommen?“

Und was hat der Abt geantwortet?

Haslinger: Dass Pater Gottfried Eder bereits im Jahr 2011 von einem Internatsschüler des Missbrauchs beschuldigt und unter Beisein eines Kirchenrechtlers „intensiv befragt“ wurde, aber dass er leider überhaupt nichts zugegeben habe, obwohl man ihn immer wieder „ins Kreuzverhör“ genommen habe.

Was bedeutet dieser Brief für Sie?

Haslinger: Es ist für mich beruhigend zu erfahren, dass ich nicht der Einzige bin, der da jemanden beschuldigt. Ich habe allerdings keine Ahnung, wer das ist.

Wie war das damals im Internat? Ist da unter den Zöglingen nicht darüber gesprochen worden?

Haslinger: Doch, nachdem uns Pater Gottfried entzogen wurde. Wir hatten auf einmal einen neuen Religionslehrer und es hat ein Mitschüler gefehlt.

Das war derjenige, der seinen Eltern von dem Missbrauch erzählt hat?

Haslinger: Ja, der ist ein paar Monate da-rauf verstorben. Angeblich ist er beim Bergsteigen abgestürzt. Genaueres habe ich nie erfahren.

Kommt man da nicht auf Ideen?

Haslinger: Ja, natürlich. Die blühen auch bis heute, aber ich weiß es einfach nicht. Damals ist aber nicht nur Pater Gottfried versetzt, sondern auch der äußerst strenge Präfekt, Pater Bruno, abgezogen worden. Wir haben uns dann erstmals in der Klasse über das Wirken von Pater Gottfried unterhalten, und es stellte sich heraus, dass allein in unserer Klasse noch zwei weitere Mitschüler betroffen waren. Nachdem ich das Buch fertig hatte, dachte ich, dass ich ja nach 50 Jahren nicht wissen kann, ob das, was ich mir innerhalb dieser Zeit alles zusammengereimt habe, tatsächlich so vorgefallen ist, also habe ich den Text einem Mitschüler zu lesen gegeben. Und auch in diesem Falle war es seltsam beruhigend festzustellen, dass jemand ähnliche Erfahrungen gemacht hat und auch den Zudringlichkeiten unseres Organisten ausgeliefert war.

Wie alt war der Organist damals?

Haslinger: Vermutlich Ende 30: Schuldirektor, verheiratet, ein angesehener Bürger, der einen ganzen Haufen Kinder hatte. Ich habe das, was er mit mir gemacht hat, eigentlich nicht als Missbrauch verstehen können, es war nur wahnsinnig verwirrend für mich.

Aber bei der Definition von Missbrauch geht es doch nicht darum, wie sich das Opfer seinerzeit gefühlt hat?

Haslinger: Vollkommen richtig: Es geht darum, was der Täter getan hat, und das fällt eindeutig unter Missbrauch. Das war auch der Grund, warum ich diese Episode dann auch nicht unter den Tisch fallen ließ.

Mit Pater Gottfried war das was anderes?

Haslinger: Der ist richtig unverschämt geworden. Der legt mitten in der Religionsstunde den Habit über mich, liest was aus einem Buch vor und fingert gleichzeitig in meinem Hosentürl herum.

Wie haben Sie reagiert?

Haslinger: Schockstarr!

Sie schreiben auch, dass die verschiedenen Patres unterschiedliche Vorlieben hatten.

Haslinger: An die Clique vom Pater Maurus ist unsereins als Greenhorn gar nicht rangekommen. Dazu musste man erst „reifer“ werden. Es ist zwar auf dasselbe hinausgelaufen, aber das Prozedere war ein anderes: Von Maurus kriegte man eine Zigarette, ein Glas Wein und als Nächstes ein Pornoheft.

Ein super Deal, oder?

Haslinger: Eigentlich tadellos – alles, was man als Jugendlicher haben will. Aber dann musste ich mit dem Typen ins Bett, und das war scheiße.

Haben Sie sich als Erwachsener nie überlegt, die Täter zur Rede zu stellen?

Haslinger: Nein. Ich wollte mich nicht zum Opfer machen lassen und nicht Jahrzehnte später darüber nachdenken müssen, welchen Schaden ich damals davongetragen haben könnte – zumal ich mir einen solchen ja nicht eingestehen wollte. Mit 40 habe ich beschlossen, mein Leben selber in die Hand zu nehmen und nicht dem Papa, der Mama oder gar dem Pater Gottfried die Schuld für unglückliche Lebensverläufe zu geben. Ich habe das als befreiend empfunden. Es hat nur merkwürdigerweise nicht funktioniert: Man wird die Kindheit halt doch nicht los. Ein halbes Jahrhundert später komme ich mit diesem Buch daher.

Das über weite Teile aber gar nicht von sexuellem Missbrauch, sondern von physischer und psychischer Gewalt handelt.

Haslinger: Ich glaube, einer wie Pater Franz war einfach ein Irrer. Wenn man an der Tafel stand, ist der im Klassenzimmer zurückgegangen und hat gesagt: „Jetzt hau ich dir den Schädel auf die Tafel, dass der Batz herunterrennt!“ Und dann ist er auf den Schüler zugerannt und hat die Hand neben dessen Kopf auf die Tafel geschlagen.

Die sadistischen Disziplinarmaßnahmen, die Sie schildern, erinnern übrigens an jene aus Paulus Hochgatterers Roman „Fliege fort, fliege fort“. Dort gibt es etwa ein Mädchen, das die von ihr ausgekotzte Mahlzeit aufessen muss.

Haslinger: Das ist mir auch passiert. Tatsächlich habe ich erst 40 Jahre später wieder von Linsen gekostet. Sie waren offenbar anders zubereitet und der Kindheitsgeschmack wurde nicht wachgerufen. Trotzdem mache ich nach wie vor einen Bogen darum, weil ich mich davor fürchte, dass sie genau so schmecken könnten wie damals, als ich sie aufessen musste, obwohl ich mich schon erbrochen hatte.

Wäre es eigentlich keine Möglichkeit gewesen, mit den Eltern über diese Dinge zu sprechen?

Haslinger: Überhaupt nicht. Wobei mir nach vielem Nachdenken klar geworden ist, dass mein Vater wahrscheinlich zugänglicher gewesen wäre. Wenn er mich in den Ferien zu einem Pater gebracht hat, schien ihm das nicht ganz recht zu sein. Er hat sich zum Beispiel danach erkundigt, ob auch andere Buben da waren. Er hat zwar nie etwas gesagt, aber doch sichtlich eine gewisse Vorsicht walten lassen.

Und Ihre Mutter?

Haslinger: Von der habe ich tatsächlich geglaubt, dass sie in ihrer Prüderie nicht in der Lage wäre, mir zu erklären, wie die Welt wirklich aussieht. Ich dachte damals ja, dass die Priester die Zöglinge begrapschen, gehöre irgendwie dazu.

Aber Ihre Mutter hat mit Ihnen über homosexuellen Analverkehr gesprochen – die war doch gar nicht prüde!

Haslinger: Das zu tun, wurde ihr vom Pfarrer nahegelegt. Sie war tief religiös und den Priestern von Herzen verbunden. Ich dachte, dass sie da einfach einen blinden Fleck haben muss. In meiner Studentenzeit, als mein Vater schon gestorben war, habe ich zum ersten Mal mit ihr darüber gesprochen, und sie war völlig entsetzt.

Es gab einen Schüler, der sich die Gewalttätigkeiten nicht gefallen hat lassen?

Haslinger: Ja, der war für mich auch ein Held. Ich war zehn, er muss 13, 14 gewesen sein. Er hat begonnen, auf den Präfekten, der ein Riesenlackel war, einzuboxen und zu schreien: „Pater Bruno, Sie sind ein Tyrann. Ein Tyrann sind Sie!“ Das war das erste Mal, dass ich dieses Wort gehört habe. Ich habe mich also schon ausgekannt, als wir dann Schillers „Bürgschaft“ durchgenommen haben.

Und eines Tages war dann ja auch Knall auf Fall alles anders. Was haben Sie sich damals gedacht? Es muss doch eine ungeheure Befreiung gewesen sein.

Haslinger: Ja, das war es – was die gewalttätige Erziehung betraf. Ohrfeigen, Kopfnüsse oder eine mit dem Schlüsselbund hat man vom neuen Präfekten schon auch haben können, aber er hatte keine echte Strafsystematik, wo man zur Züchtigung antreten musste und auch nicht zucken durfte, weil man sonst gleich noch eine bekommen hat.

Und die sexuellen Übergriffe?

Haslinger: Die sind von einer Generation an die nächste übergegangen. Man ist dann sozusagen ins richtige Alter für Pater Maurus gekommen.

Das Schlimme ist, dass das System dazu tendiert, sich selbst zu perpetuieren. Sie beschreiben den Moment, in dem Sie drauf und dran sind, selbst zum Kapo zu werden.

Haslinger: Das ist so. Auf einmal hat man als Drittklassler Autorität über einen aus der Ersten und darf dem nicht nur ungestraft, sondern sogar mit Billigung der Vorgesetzten eine runterhauen – weil er seine lateinischen Gebete noch nicht auswendig kann oder dergleichen.

Auf der Basis wurde das britische Imperium errichtet.

Haslinger: Was heißt, unsere Gesellschaft ruht darauf!

Ist es tatsächlich so schlimm?

Haslinger: Es ist jedenfalls so, dass man erst in der Ära Kreisky über so etwas wie Kinderrechte überhaupt zu reden begonnen hat. Da war ich schon fast erwachsen! Davor durften Eltern und Vorgesetzte ihre Kinder nach Belieben dreschen.

Sie haben sich auch zum Fall Groër geäußert?

Haslinger: Und nicht nur zu diesem Fall, sondern auch zu den Vorfällen in St. Pölten. Aber das bedauere ich ein Stück weit. Ich habe, Bezug nehmend auf die Aussagen eines Opfers, gemeint, dass ich mir das mit 18, 19 Jahren nicht mehr hätte gefallen lassen. Das steht mir aber nicht zu. Im Zuge der Niederschrift von „Mein Fall“ ist mir immer klarer geworden, dass ich schon ein starkes Bedürfnis hatte, das zu verharmlosen oder kleinzureden. Dass die Vorstellung einer regelrechten „Identifikation mit dem Täter“, die einer einmal aufgebracht hat, zutrifft, bezweifle ich mittlerweile, obgleich man sich natürlich zu überlegen beginnt, wie die eigenen Vorwürfe vom Täter wahrgenommen und erlebt werden, und ob man’s nicht übertreibt und so weiter.

Wie stehen Sie dann zur #MeToo-Debatte?

Haslinger: Ich finde es wichtig, dass man die Fälle gerichtlich verfolgt, sofern das möglich ist, aber das öffentliche An-den-Pranger-Stellen bereitet mir Unbehagen.

Aber darin liegt doch der ganze Witz: Wäre das alles unter dem Deckmantel der Anonymität verblieben, hätten die Betroffenen nie erfahren, dass sie mit ihrem Schicksal und ihrer Scham nicht alleine sind.

Haslinger: Wenn eine Frau tatsächlich jemandem ausgeliefert ist – und diese Situation gibt es natürlich –, dann soll sie sich auch mit Hilfe von Medien zur Wehr setzen. Wenn es die einzige Möglichkeit ist, muss man dieses Mittel natürlich wählen. Dafür habe ich jedes Verständnis. Aber die Medien können nicht die Gerichtsbarkeit ersetzen. Prominente Täter sind dann natürlich auch einer gigantischen Fallhöhe ausgesetzt.

Weil ein übergriffiger Filialleiter nicht so tief fallen kann wie ein Filmproduzent oder Dirigent, verdienten Letztere mehr Schutz?

Haslinger: So kann man es nicht sagen, aber sie haben mehr zu verlieren. Richtig wäre es jedenfalls, die Menschen dazu zu ermutigen, sich selber rechtzeitig zur Wehr zu setzen.

Die Kultur des Beschwerens produziert einen Entmündigungseffekt, weil man verlernt, sich zur Wehr zu setzen?

Haslinger: Ja, so würde ich das sehen. Es gibt jemanden, der den Mut aufbringt, das zur Sprache zu bringen, und auf einmal gibt es Heerscharen von Menschen, die im Windschatten der Medienberichterstattung mitlaufen.

Ein Beispiel dafür ist der offene Brief an den ehemaligen Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann, den 60 Mitglieder des Ensembles im Zuge der #MeToo-Debatte Anfang 2018 unterzeichnet haben: vier Jahre nachdem Hartmann als Burgtheater-Direktor entlassen worden war. Wie feig und erbärmlich ist das denn?

Haslinger: Das fand ich auch. Es sind doch erwachsene Menschen, die einen vorbildlichen Nimbus für couragiertes, öffentliches Auftreten genießen und für viele als Rolemodels fungieren.

Sind Sie jetzt eigentlich schon entschädigt worden?

Haslinger: Nein. Ich habe bis heute außer dem Brief des Abtes von Stift Heiligenkreuz keinerlei Nachricht oder Verständigung bekommen. Ich weiß nicht, wie die Sache ausgegangen ist oder ausgehen wird.

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Über den Autor

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl, Niederösterreich geboren, studierte nach der Matura Philosophie, Theaterwissenschaften und Germanistik in Wien. Von 1977 bis 1992 gab Haslinger gemeinsam mit Gustav Ernst die Literaturzeitschrift "Wespennest" heraus. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit lehrte Haslinger als Professor für literarische Ästhetik in Leipzig. Sein Erstlingswerk publizierte er 1980 unter dem Titel "Der Konviktskaktus und andere Erzählungen". Haslingers Schriften sind häufig durch sein gesellschaftspolitisches Engagement geprägt, so in Band "Politik der Gefühle", "Rotweissbuch", "Das Elend Amerikas" oder "Klasse Burschen". Den Durchbruch als zeitkritischer Bestsellerautor machte Josef Haslinger mit "Opernball" und "Das Vaterspiel", welche beide verfilmt und vielfach ausgezeichnet wurden. Der Schriftsteller wurde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der Förderpreis der Stadt Wien, das Stipendium des Deutschen Literaturfonds, dem Preis der Stadt Wien und Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels sowie dem Rheingau Literatur Preis. Zuletzt erschien "Mein Fall", in dem er seine Missbrauchserfahrungen als Klosterschüler in Zwettl verarbeitete.

Alle Bücher von Josef Haslinger