

Zerrbilder des Judenhasses
Sigrid Löffler in FALTER 41/2011 vom 14.10.2011 (S. 37)
Umberto Ecos neuer Roman "Der Friedhof in Prag" ist in seiner Dokumentenversessenheit ein etwas zweifelhaftes Vergnügen
Nein, Umberto Eco ist kein Vielleser, er ist ein Allesleser. Der Philosoph, Medienwissenschaftler und Semiotikprofessor liest auch den erbärmlichsten Schund, sofern er ihm als Erzählmaterial für seine historischen Romane dienlich ist. So hat Eco für seinen autobiografischen Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" Schundhefte, Comics und Trivialliteratur aus der Zeit des Faschismus ausgewertet.
Für seinen neuesten Roman "Der Friedhof in Prag" greift er auf die verworrenen und sinistren okkulten Schriften des 19. Jahrhunderts zurück, um abermals die Entstehungsgeschichte der sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion" zu erzählen, des scheußlichsten antisemitischen Pamphlets und zugleich größten literaturpolitischen Betrugs der modernen Geschichte.
Abermals deshalb, weil Eco die dubiose und trübe Genesis dieses Machwerks judenfeindlicher Hetze bereits mehrfach aufbereitet hat – in seiner romanhaften Enzyklopädie der Weltverschwörungstheorien "Das Foucaultsche Pendel" ebenso wie in seinen Harvard-Vorlesungen.
Jetzt hielt Eco es für angezeigt, einen 500-Seiten-Roman über die erfundene Gestalt eines ruchlosen Dokumentenfälschers namens Simonini zu schreiben, dem er die Kompilation der "Protokolle" in die Schuhe schiebt. In zahlreichen vorbeugenden Interviews hat Eco seine pädagogische Absicht beteuert: Mit diesem Roman, an dem alles außer der fiktiven Hauptfigur dokumentarisch belegt sei, wolle er die Leser über die Entstehung einer literarischen Fälschung aufklären, auf die sich die judenfeindliche Propaganda, etwa der Hamas, bis heute beruft.
Auf den Einwand, dass die "Protokolle" von der Londoner Times bereits 1921 als Lügengespinst entlarvt wurden, entgegnet Eco gern, eben dieser Nachweis der Fälschung diene Antisemiten von Hitler bis Hamas als Beweis für die Echtheit. Wem also will Eco mit seiner Roman-Melange aus Fakten und Fiktion die Augen über diese Schundschrift öffnen? Die in diesem Punkt aufklärungsresistente Hamas wird seinen Roman vermutlich gar nicht erst lesen. Und wie oft will Eco uns, die bereits aufgeklärten Leser, noch aufklären?
"Der Friedhof in Prag" zwingt den Leser, in die Kloake der Weltverschwörungstheorien und Hetzschriften des 19. Jahrhunderts hinabzusteigen. Dorthin, wo der Schurke Simonini 50 Jahre lang als williger Helfer jedweden Geheimdienstes verleumderische Fälschungen fabriziert.
Damit will Eco zweierlei beweisen: Zum einen, dass es zum Wesen der Verschwörungsparanoia gehört, jede beliebige Gruppierung reihum ein und desselben Weltkomplotts zu verdächtigen – die Freimaurer, die Jesuiten oder eben die Juden. Und zum anderen, dass jede Fälschung bereits vorhandene Vorurteile bestätigt – geglaubt werden nur altbekannte Verschwörungsfantasien und gut abgehangene Verleumdungen.
Eco mutet uns ein Scheusal als Romanhelden zu. Sein Simonini hat seine schmutzigen Hände in jedem politischen Komplott zwischen Garibaldis Risorgimento und der Affäre Dreyfus. Er ist ein skrupelloser Mörder und ein glühender Antisemit und Rassist; er entfaltet als Ich-Erzähler gleich eingangs einen solchen Leporello von Ressentiments und Hassgefühlen – gegen Deutsche, gegen Italiener, gegen Priester, gegen Freimaurer, gegen Frauen, gegen Juden, gegen sonst wen –, dass dem Leser die Gesellschaft dieses Monstrums an Bösartigkeit und Menschenhass von vornherein verleidet wird.
Dass Eco diesem Unhold auch noch einen Doppelgänger, ein Alter Ego beigibt, ist ein ärgerlich plumper Verwirrungstrick. Noch ärgerlicher sind manche der eingestreuten historischen Illustrationen "aus dem Bildarchiv des Autors" – Zerrbilder des Judenhasses, aus antisemitischen Hetzschriften des 19. Jahrhunderts entnommen, die im Kontext dieses Romans nur missverständlich wirken können.
Vielleicht ist es gerade seine Dokumentenversessenheit, die diesem so gelehrten wie zähen Professorenroman zum Verhängnis wird. Eco, der Archivar, bohrt sich derart monomanisch in seine Obsession – das Thema historischer Fälschungen – hinein, dass ihm die potenziell antisemitischen Wirkungen seines Romans etwas aus dem Blick geraten.
Präsentation: 19.10., 20 Uhr, Burgtheater