

"So eine Vasektomie ist eine faire Sache"
Sebastian Fasthuber in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 26)
Ihr Debüt "Blasmusikpop" machte Vea Kaiser im Alter von nur 23 Jahren zum Popstar der heimischen Literatur. Und wie es sich für einen Popstar gehört, feiert sie nun ein großes Comeback. Schuld an der längeren Veröffentlichungspause waren weder Burnout noch Schreibkrise.
Kaiser hat in der Zwischenzeit zwei Kinder bekommen. Richtig weg war sie ohnehin nie, so trat sie 2020 und 2021 als Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Erscheinung. Mit dem gewohnt prallen, rasant erzählten Roman "Fabula Rasa" wird sie an vergangene Erfolge anknüpfen können. Nur Kaisers Leben ist heute ein völlig anderes.
Falter: Frau Kaiser, wie ist es, als Mutter von zwei Kindern auf Lesereise zu gehen?
Vea Kaiser: Mein Leben ist gerade ein organisatorischer Supergau. Ich gebe heute nur zwei Interviews, so etwas hätte ich früher nebenbei erledigt. Tatsächlich bin ich um fünf Uhr aufgestanden, habe meine Söhne aufgeweckt und mich selbst hergerichtet. Jeder Tag ist komplett durchgetaktet. Zum Glück holt meine Mutter sie heute vom Kindergarten ab.
Darf ich fragen: Wo ist der Vater?
Kaiser: Es ist ein totales Problem, wenn man mit einem Menschen verheiratet ist, der etwas wirklich Wichtiges macht. Der Vater meiner Kinder ist Urologe und hat vor sechs Monaten überraschend eine Kassenpraxis bekommen. Ich kann ihm nicht sagen, dass er die Ordi heute früher zumachen soll, weil dadurch Menschen, die schon sehr lange auf einen Termin beim Kassenarzt warten, noch länger warten müssten. Leider ist mein Mann gerade nicht so flexibel, wie ich es benötigen würde. Er wäre ja bereit, nur 50 Prozent zu arbeiten. Der Fachärztemangel hat unsere diesbezüglichen Pläne durchkreuzt.
In Ihrem Roman entpuppen sich die meisten Männer als Filous. Hatten Sie einfach Glück bei der Partnerwahl?
Kaiser: Die Hauptfigur ist auch kein Engerl, die fährt zu Beginn quasi dreigleisig. Was ich aber sicherlich besser gemacht habe als meine Romanheldin, ist, mich mit einem Mann fortzupflanzen, auf den ich mich verlassen kann, der von Anfang an bereit war, seinen Teil zu leisten. Aber natürlich immunisiert das nicht gegen den Zufall: Um ewig glücklich zu bleiben, ist man auch davon abhängig, dass einem das Schicksal nur solche Brocken in den Weg wirft, die man auch gemeinsam bewältigen kann.
Wie kompatibel ist der Job der Schriftstellerin generell mit Mutterschaft?
Kaiser: Autorinnen mit Kindern stehen vor ganz anderen Herausforderungen als Männer. Meine Söhne sind noch sehr klein, zwei und vier. Sie schaffen es noch nicht, jeden Tag von früh bis spät ohne mich auszukommen. Ich halte es auch keine ganze Woche ohne sie aus. Ergo kann ich nicht so viele Lesungen machen, wie ich gerne würde. Und definitiv nicht so viele wie männliche Kollegen mit Familie.
Stehlen sich die Männer immer noch aus der Verantwortung?
Kaiser: Ich nehme es häufig so wahr. Wenn mir Kollegen mit kleinen Kindern erzählen, dass sie für zwei Monate auf irgendeinen schönen Schreibaufenthalt fahren, damit sie sich konzentrieren können, fehlen mir die Worte. Autorinnen mit kleinen Kindern sind von Aufenthaltsstipendien fast automatisch ausgeschlossen. Und wenn du sie mitnehmen darfst, hast du dort keine Betreuung für sie. Das ist schon ein großer Unterschied. Die meisten Männer lassen sich davon nicht stören, sondern wollen ja genau deshalb hin. So können sie ohne die Familie in Ruhe schreiben. Da kämpfe ich schon sehr gegen die aufsteigende Galle. Als Schriftstellerin musst du immer verteidigen, dass du da bist.
Wie meinen Sie das?
Kaiser: Bei meinem Debüt musste ich mich dafür rechtfertigen, dass ich mich schon Schriftstellerin nenne. Beim zweiten Roman kam ständig die Frage, ob ich keine Angst davor habe, dass das neue Buch keiner lesen will. Beim dritten lief es relativ entspannt ab. Jetzt ist es wieder schlimmer. Neulich war ich in einer Talkshow und wurde gefragt: "Sie haben so lang nichts mehr geschrieben. Wie ist es jetzt, wenn einen niemand mehr kennt?" Autoren werden solche Fragen nicht gestellt. Junge Frauen mit erfolgreichen Debüts werden als One-Hit-Wonder abgestempelt. Schreibt ein 23-Jähriger einen tollen ersten Roman, wird er als neuer Thomas Mann gefeiert.
Dann lassen Sie es mich so formulieren: Haben Sie keine Angst gehabt, dass viele Leser nach sechs Jahren Pause Vea Kaiser vergessen haben könnten?
Kaiser: Doch. Ich wollte nicht erst zurückkommen, wenn alle, die mich mal kannten, schon weg oder in Pension gegangen sind. Und wenn die letzten Medien, die noch über Literatur berichten, ausgestorben sind. Viele Leute, mit denen ich damals über meine Bücher gesprochen habe und die sie rezensiert haben, gibt es heute nicht mehr. Manche Buchhandlungen sind eingegangen. Ich will aber nicht negativ klingen. Andere Buchhandlungen sind sogar gewachsen und machen Veranstaltungen. Der Vorverkauf für meine Lesungen läuft extrem gut. In Wahrheit ist eine lange Pause auch eine super Sache. So viel können die Menschen gar nicht lesen. Man tut sich nicht immer einen Gefallen damit, alle zwei Jahre ein Buch zu veröffentlichen. Außer man schreibt Krimireihen.
Hat sich der Literaturbetrieb in Ihrer Abwesenheit verändert?
Kaiser: Die Konkurrenz durch andere Medien ist noch extremer geworden. Es gibt so viele Streamer, soziale Netzwerke sowieso. Die Zeit, in der Menschen lesen, ist noch geringer und kostbarer geworden. Wir Autorinnen haben die Verantwortung, der sich verändernden menschlichen Wahrnehmung entgegenzukommen. Die Konzentrationsfähigkeit schwindet. Die Menschen wollen keine fünfseitigen Beschreibungen von Figuren in all ihren verschiedenen psychischen Befindlichkeiten. Und keine dreiseitigen Beschreibungen von Landschaften. Die googeln, wenn sie wissen wollen, wie es dort ausschaut. Durch die Serienwelt sind Plot und Spannung noch wichtiger geworden.
Müssen wir das bildungsbürgerliche Lesen endgültig begraben? Wird die Literatur der Zukunft seichte Unterhaltung?
Kaiser: Nein, nein, nein. Ich glaube nur, dass die Leser viel weniger verzeihen. Früher haben sie ein langweiliges Kapitel eher mal geduldet oder über gewisse Unschärfen in der Handlung hinweggesehen. Das tun sie nicht mehr. Ich glaube nicht, dass wir runternivellieren müssen. Die Anforderung an Sprache ist sogar eine höhere geworden. Und brutalerweise kämpfen wir auch gegen die KI.
Welche Erfahrungen haben Sie mit KI gemacht?
Kaiser: Ich habe seit zehn Jahren eine Kolumne im Kurier. Neulich habe ich ein bisschen rumexperimentiert. Die KI kann inzwischen den klassischen Vea-Kaiser-Stil ganz gut imitieren, weil ihr die Kolumnen digital zugänglich sind. Inhaltlich waren die KI-Fabrikate allerdings nicht ernstzunehmen. Die Kolumne basiert ja auf meinem Blick auf die Welt. Der entwickelt sich immer weiter, da kommt die KI nicht mit. Das hat mich total entspannt. Sie kann mich imitieren, aber nicht ersetzen.
Wie ist Ihr neuer Roman entstanden?
Kaiser: Ich habe natürlich jetzt viel weniger Zeit zum Schreiben, aber ich bin viel konzentrierter. Am produktivsten war ich nachts neben der Waschmaschine. Ich bin jede Nacht, wenn die Kinder eingeschlafen sind, wieder aus dem Bettchen raus und in mein dunkles Kellerbüro gegangen. Ich habe die Maschine eingeschaltet und geschrieben, bis der erste Waschgang vorbei war. Dann habe ich die Wäsche in den Trockner geräumt und weitergeschrieben, bis er fertig war. Ich habe das große Glück, zwei sehr gute Schläfer bekommen zu haben.
Also nicht wie der Bub im Roman, der die ganze Zeit schreit?
Kaiser: Nein, nicht mehr. Aber es sind schon viele Erfahrungen, die die Hauptfigur als Mutter macht, von mir. Über viele Wochen hinweg hat mein Kleiner jeden Tag pünktlich um 17 Uhr zu brüllen begonnen. Er war pumperlg'sund, aber er konnte den Tag einfach nicht verarbeiten. Im Buch betet die Mutter, dass irgendjemand da ist, damit sie nicht alleine mit diesem schreienden Kind ist. Das war das erste Kapitel, das ich geschrieben habe. Und das ist auch mein Fazit nach dem Schreiben eines Romans mit zwei Kindern: Keine Frau kann das alleine machen, einen Job, einen Haushalt, eine Beziehung führen und Kinder großziehen. Das geht sich alles nicht aus.
Mutterschaft als Romanthema war aufgelegt?
Kaiser: Es war eher mein letzter Strohhalm. Noch vor den Kindern habe ich zwei Manuskripte für die Schublade geschrieben. Dadurch war bei "Fabula Rasa" schon ein ordentlicher Druck da, den Roman auch fertig zu kriegen.
Was stimmte nicht mit den Manuskripten?
Kaiser: Ich wurde zwei Mal von der Realität überholt. Zuerst habe ich einen Roman geschrieben, der sich auf eine humoristischgesellschaftskritische Art mit einer Impfgegnerfamilie auf dem Land beschäftigt. Das hat es ja immer schon gegeben, am Land die Leute, die Wiesenkräuter sammeln und Impfungen negativ gegenüberstehen. 2020 sind Dinge passiert, die die krudesten Dinge in dem Roman noch weit überholt haben. Das zweite war ein großer Friedensroman um einen Ursprachenforscher.
Einen Friedensroman könnte die Welt doch vertragen.
Kaiser: Vielleicht schreibe ich den auch noch irgendwann fertig. Aber ich hatte in dem Moment das Gefühl, dass meine ukrainischen Kolleginnen mehr zu diesem Thema zu sagen haben als ich. Die sind direkt betroffen. Das Frieden-Krieg-Thema habe ich nicht so durchdrungen. Wohl aber die Geschichte einer jungen Frau, die gegen diverse Widerstände hinweg versucht, ein gutes Leben zu führen, die beruflich nicht darauf reduziert werden will, wie sie ausschaut, die sich nicht von dem Umstand, Mutter geworden zu sein, in ihrem Beruf ausbremsen lassen möchte, die nicht den Männern den Vortritt lassen möchte. Diese Figur kann ich sehr gut begreifen.
Sie holt um 15 Uhr komplett abgehetzt ihren Sohn aus dem Kindergarten ab. In dem Bereich hat sich schon etwas verbessert, oder?
Kaiser: Ja, aber leider noch nicht flächendeckend in ganz Österreich. Ich habe viele Freundinnen im ländlichen Raum, die davon träumen, dass das Kind vor dem dritten Geburtstag einen Kindergartenplatz bekommt. Unser Kindergarten hat uns nie vorgeworfen, wir hätten die Kinder jetzt eine Woche immer sehr spät abgeholt. Als ich mit meinem zweiten Sohn schwanger war, habe ich nicht gewusst, ob mein erster Sohn nach der Geburt seines Bruders im Sommer in den Kindergarten geht. Die Leitung hat mir geraten, ihn einfach anzumelden. Damit ich einen Platz für ihn habe, wenn ich Ruhe brauche. Zeitgleich hatte eine Freundin dieselbe Situation am Land. Bei ihr hat die Kindergärtnerin gesagt: Naja, wenn sie ein Baby hat, wird ja wohl ihr anderes Kind auch zu Hause bleiben.
Was müsste sich gesellschaftlich ändern?
Kaiser: Früher hatte man Großfamilien. Wenn wir Frauen am Gipfel ihrer Leistungsfähigkeit nicht an Heim und Herd zwingen wollen, müssen wir als Gesellschaft die frühere Hilfe durch Großfamilien ersetzen. Die Kinderbetreuung muss so gestaltet sein, dass sie den Frauen ein gutes Gefühl gibt. Für mich war wichtig zu wissen, dass die Buben gut aufgehoben sind. Ich konnte einfach rausgehen und schreiben. Ohne den Kindergarten würde es dieses Buch nicht geben. Und nicht ohne meine Familie. Vor allem meine Mutter unterstützt mich extrem, manchmal hilft auch meine Oma mit.
Damit geht es Ihnen sehr gut und als erfolgreiche Autorin sind Sie auch privilegiert. Was hören Sie von Kolleginnen?
Kaiser: Viele müssen sich entscheiden. Manche bleiben dadurch kinderlos. Also ich verstehe Kolleginnen, die sich gegen Kinder entscheiden, weil sie ihr Schreiben nicht aufgeben wollen. Ich hatte das Glück, mich schon etabliert zu haben, bevor meine Kinder kamen.
Sie haben viel in "Fabula Rasa" reingepackt. Es ist ein Wien-Roman, ein Mutter-Roman und ein Hotel-Roman. Mögen Sie das Leben aus dem Koffer?
Kaiser: Von 2012 bis zur Pandemie war ich fast immer unterwegs. Mir sind zu Hause die Hotels schon sehr abgegangen. Ich liebe dieses Gefühl, umsorgt zu werden. Und die Frühstücksbuffets. Die letzten vier Jahre habe ich fast jeden Tag meines Lebens mit Obstschneiden verbracht. Ich freue mich so wahnsinnig auf die Lesereise, weil mir endlich wieder jemand das Obst schneidet. Das ist für mich jetzt der größte Luxus: ein fertiger, frischer Obstsalat.
Was mir gut gefallen hat: Sie singen auch der Arbeit ein Loblied.
Kaiser: Ja, die Hauptfigur arbeitet wie ich wahnsinnig gern. Und auch unglaublich viel. Sie ist eine Arbeitskünstlerin. Natürlich gibt es Jobs, die man rein zum Geldverdienen macht. Ich wollte aber eine Geschichte über Arbeit als Quelle des Selbstbewusstseins oder Form der gesellschaftlichen Teilhabe erzählen, über einen Menschen, der Arbeit und Anstrengung als etwas Schönes empfindet. Mir war der Roman wichtiger, als schnell wieder mein kinderfreies Sozialleben aufzunehmen oder in den Vorgeburtskörper zurückzukehren. Dafür mache ich jetzt viel Sport. In meinem Freundeskreis geht das böse Wort Bandscheibenvorfall um. Davor habe ich eine panische Angst.
Ich habe das Buch als feministischen Roman gelesen. Ist er das?
Kaiser: Es ist ein wahnsinnig feministisches Buch, weil es um Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern geht. Um Väter, die sich nicht kümmern, weil sie eine verletzte Künstlerseele haben. Das können sich übrigens nur Männer erlauben. In Österreich gibt es so viele ewige Talente und Männer, die ihr Scheitern glorifizieren. Ich sage nur: Marco Wanda hat ein Buch geschrieben, falls sich jemand dafür interessiert.
Sie interessieren sich also nicht für Wandas Buch?
Kaiser: Ich interessiere mich eher dafür, warum eine altbekannte, x-fach erzählte Geschichte vom männlichen, sich für ein Genie haltenden Musiker, der über seine Exzesse schreibt, auf den Bestsellerlisten rangiert und in allen Medien glorifiziert wird, während es eine vergleichbare Geschichte einer Musikerin nicht nur nirgendwo zu lesen gäbe, sondern sie gar nicht erst passiert, weil Frauen solche Exzesse oder gar, sich selbst für ein Genie zu erachten, ja gar nicht erst erlaubt werden.
Dürfen Frauen nicht scheitern?
Kaiser: Nein, das wird ihnen nicht zugestanden. Frauen müssen funktionieren, immer. Das erwarten wir gesellschaftlich von ihnen. Wir akzeptieren keine Frauen mit Alkoholund Drogenproblemen, die sich darin suhlen, dass sie unglücklich und missverstanden sind. Ich kenne viele Männer wie den Vater im Roman und wahrscheinlich habe ich mir beim Schreiben noch einmal versichert, dass ich sehr froh bin, mit keinem von diesen Freddys ein Kind bekommen zu haben.
Bei der zweiten Frau machen Männer wie Freddy im Buch alles anders.
Kaiser: Genau. Die erste Familie war ein lästiger Klotz am Bein, auf den man sich wegen der Arbeit oder Jugend oder Selbstverwirklichung nicht konzentrieren konnte, aber 15 bis 20 Jahre später gehen sie zum Geburtsvorbereitungskurs mit und wechseln die Windeln. Das ist doch grausam der ersten Frau gegenüber. So quasi: Das war der missglückte Versuch und dann macht man das noch einmal. Ich rufe in meinem Freundeskreis gern dazu auf, in die Praxis meines Mannes zu gehen. So eine Vasektomie ist eine faire Sache.
Fabulierlust und Feminismus
Sebastian Fasthuber in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 10)
Es beginnt in den Kellern der Nacht. Im U4 geigen nicht die von Falco besungenen Goldfisch’, sondern spielt die mangels Zukunftsaussicht gleich namenlos bleibende Nachfolgeband der auch schon hoffnungslosen New-Wave-Combo Gaxi Royal. All das ist Angelika Moser egal, denn sie ist jung und hat mit ihrer besten Freundin die Zeit ihres Lebens.
Nach sechs Jahren Pause meldet sich Bestsellerautorin Vea Kaiser mit dem Wien-Roman „Fabula Rasa“ zurück, der von der Subkultur der ausgehenden 1980er bis in die Gegenwart führt. Zentraler Handlungsort ist ein Grand Hotel am Ring. Inspiration war der reale Fall einer Sacher-Buchhalterin, die über einen längeren Zeitraum vier Millionen Euro veruntreut hat – aus Mutterliebe, wie Zeitungsmeldungen zu entnehmen war.
Der Stoff war ein gefundenes Fressen für die Autorin, in der Zwischenzeit selbst zweifache Mutter. Ihre Romanheldin hat nicht die besten Startvoraussetzungen: Hausbesorgertochter aus dem Gemeindebau, Vater unbekannt. Als sie schwanger wird, entpuppt sich auch ihr Mann als Niete. Aber das spornt die Protagonistin nur dazu an, für ihren Sohn das Beste rauszuholen.
Angelika ist eine hervorragende Buchhalterin und steigt zur ersten weiblichen Abteilungsleiterin in dem Traditionsbetrieb auf. Ihr Chef bittet sie in einer heiklen Situation darum, ausnahmsweise ein bisschen mit den Zahlen zu tricksen. Angelika fällt auf, wie leicht falsche Abrechnungen durchgewunken werden – und beginnt Gelder auf ihre Privatkonten zu transferieren. Aber das interessiert Kaiser weniger als das Thema Mutterschaft.
„Fabula Rasa“ ist wie schon die Vorgänger ziemlich umfangreich, handlungsstark und von einer Lust am Fabulieren durchdrungen. Gute Unterhaltung in gewohnter Manier? Nicht nur.
Kaiser gelingt mit ihrem jüngsten Opus zugleich ein österreichisches Sittenbild. Der sogenannten besseren Gesellschaft, die in Nobelhotels absteigt und am Opernball auftanzt, den Spiegel vorzuhalten, sodass sie am Ende ziemlich nackig dasteht, ist noch keine besondere Leistung. Da kann man gut drüber lachen, fertig.
Ernst wird der Roman dort, wo er die Strukturen einer immer noch patriarchal geprägten Welt aufzeigt, in der Frauen für die Kinderbetreuung aufzukommen und auch sonst immer zu funktionieren haben. Weil die Männer halt nicht immer können. Oder wollen.
Da haben wir es: Vea Kaiser hat einen feministischen Roman geschrieben. Und er ist gut geworden.