

Der Sog der Düsternis: Die Freundinnen aus Neapel kämpfen gegen die Aussichtslosigkeit
Stefanie Panzenböck in FALTER 35/2017 vom 30.08.2017 (S. 31)
Der dritte Band von Elena Ferrantes neapolitanischer Saga beginnt mit einem Leichenfund. Gigliola Spagnuolo, Frau des lokalen Mafiabosses Michele Solara, wird tot vor der Grundschule aufgefunden, als die Freundinnen Elena und Lila durch das heruntergekommene Viertel Neapels spazieren, in dem sie aufgewachsen sind. „Wie viele Frauen, damals kleine Mädchen wie wir, lebten nun nicht mehr, waren von der Erde verschwunden, weil sie krank geworden waren, weil ihre Nerven dem Schleifpapier der Qualen nicht standgehalten hatten, weil ihr Blut vergossen worden war“, resümiert die Erzählerin Elena Greco.
Der Tod Gigliolas, einer Freundin aus Kindertagen, ist ein Vorgriff auf das Jahr 2005. Die soeben auf Deutsch erschienene Fortsetzung der Freundinnen-Tetralogie „Die Geschichte der getrennten Wege“ behandelt die ersten Erwachsenenjahre der beiden Protagonistinnen Elena und Lila im Italien der 1970er-Jahre.
Das Ereignis steht programmatisch für die gesamte Geschichte. Gigliola ist unter ungeklärten Umständen gestorben, und nichts erinnert mehr an die Schönheit junger Jahre. Gigliola hatte sich durch die Heirat mit dem Mafiaboss den gesellschaftlichen Aufstieg gesichert und sich damit einem Mann unterworfen, der sie betrog, verachtete und misshandelte.
Elena und Lila werden überleben, doch ihr Kampf für gesellschaftliche Anerkennung scheint aussichtslos. Elena ist mittlerweile mit einem Professor in Florenz verheiratet und schwankt zwischen Bequemlichkeit und Zerstörungswut. Lila ist geschieden und malocht in einer Wurstfabrik in Neapel. Beide werden sie in die brutaler werdenden Kämpfe zwischen Kommunisten und Faschisten hineingezogen, die Italien immer mehr beherrschen.
Auch der dritte Band ist eine – historisch gut verortete – Geschichte des Scheiterns, die von der ersten bis zur letzten Seite einen Sog der Düsternis entfaltet. Es geht um die Befreiung von der armen Herkunft und vom Patriarchat sowie die bittere Erkenntnis, dass auch die fortschrittlichsten Intellektuellen ihre männliche Dominanz nicht kampflos aufgeben werden. Ferrante hat schon immer auf den moralischen Zeigefinger verzichtet. Die Gewalt rollt in einfachen Sätzen und alltäglichen Ereignissen heran.
Immer wieder erscheint die Flucht als einziger Ausweg, der sich dann wieder als Sackgasse erweist. Aus dem Machtkreis jener Männer, die Liebe versprechen und Unterwerfung meinen, gibt es kein Entkommen.