

Am Ende hat man es überstanden
Sebastian Fasthuber in FALTER 29/2011 vom 22.07.2011 (S. 30)
Maja Haderlap hat den Bachmann-Preis zu Recht bekommen. Was der in Klagenfurt präsentierte Ausschnitt aus "Engel des Vergessens" versprach, löst der Roman ein. Er erzählt mit archaischer Wucht und doch beinahe leise vom Leben und Sterben im Grenzland zwischen Österreich und Jugoslawien und vom langen Schatten, den der 2. Weltkrieg und grausame Schicksale unter den Kärntner Slowenen bis heute über ganze Familien und Landstriche werfen.
Dass Haderlaps erstes Prosawerk, das auf zwei Lyrikbände in den 80er-Jahren folgt, stark autobiografische Züge aufweist, ist nicht von der Hand zu weisen. Wie Wirklichkeit und Fiktion in "Engel des Vergessens" gewichtet sind, tut aber letztlich nichts zur Sache, weil es sich hier so oder so um große Literatur handelt.
Die Geschichte hebt an mit dem Kind und der Großmutter in der Küche des Bauernhofs. Das Kind versucht, sich in der Welt zu orientieren; die Welt, das sind für das Mädchen die Familie, der Hof und die Umgebung. Die Großmutter ist die dominierende Person. Sie hat das KZ Ravensbrück überlebt und führt bis zu ihrem Tod zu Hause das Regiment. Umso trauriger ist die Gestalt des Vaters, der zunächst wie ein Taugenichts wirkt. Im Laufe der Handlung und der Jahre, die erst langsam und dann immer schneller vergehen, wird er jedoch zum sentimentalen Helden.
Er ist es, der – mehr noch als alle anderen Figuren – leidet und nicht vergessen kann, was ihm als jungem Menschen im Krieg widerfahren ist. Das Kind wächst in dem Glauben auf, der Vater werde sich eines Tages umbringen oder am Heimweg aus dem Gasthaus stürzen und erfrieren. Beides kann nur knapp abgewendet werden.
Später, als aus dem Kind eine Germanistin mit Doktortitel geworden ist, gelingt sogar eine Annäherung. Die Szene, wie der Vater die Tochter zum ersten und einzigen Mal in Wien besucht, ist von stiller Zärtlichkeit erfüllt. Es braucht diesen Gegenpol auch, damit sich der Leser nicht im Gestrüpp aus Leid und Ohnmacht verliert, das den Großteil des Buches einnimmt. Der Tod kann hier auch die Erlösung bedeuten. Am Ende heißt es über den Vater nur mehr: "Er hat es überstanden."