

LiebesEinritzungen und AnwesenheitsAufschriften
Julia Kospach in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 11)
Begabte Bäume“ von Bodo Hell ist ein hinreißendes Buch. Es erfrischt, als schritte man selbst an Hells Seite Natur- und Kulturlandschaften ab. Was er im Buch an einer Stelle über Ernst Bloch sagt, nämlich, dass der uns „spurenlesend auf eine Vielzahl von Fährten“ führt, gilt in gleicher Weise seit jeher für den 1943 in Salzburg geborenen Bodo Hell, der dieser Tage seinen 80. Geburtstag gefeiert hat. Unverwechselbar wie er selbst – in der hageren, käppi-tragenden Erscheinung eines veritablen Karikaturistentraums – sind auch die Texte dieses Enzyklopädisten mit Orgel-, Philosophie-, Germanistik- sowie Film- und Fernsehstudium.
Als Avantgardist in seiner umweltoffensten Form schreibt Bodo Hell hochrhythmische, häufig grafisch gestaltete Texte, die sich vergnügt irgendwo zwischen Prosa und Lyrik ansiedeln, von starker Naturaffinität geprägt sind, und die er selbst, als würdigster Ernst-Jandl-Erbe, am allerbesten vorträgt – mit hochelaborierten Tempowechseln, die den gelernten Musiker ausweisen. Und voller Fakten, die einen akribischen Rechercheur verraten.
„Begabte Bäume“ handelt von ebendiesen titelgebenden Bäumen, von ihrem Leben in der Natur, ihrer Nutzung und dem ganzen assoziativen Klangraum an Fakten, Kuriosa und Beobachtungen, der stets den besonderen Reiz von Hells Schreiben ausgemacht hat – egal ob es sich dabei um Essays handelte, um Filmisches, Hörspiele, Lyrik oder Prosa. Ums Ergehen von Landschaften und Kulturräumen zwischen Salzburgerland, Waldviertel, Südtirol und dem Dachstein, wo Hell seit 1979 auch als ziegenhütender und käseproduzierender Senner tätig ist, geht es in dieser Sammlung von Texten ebenso.
Man lernt jede Menge und staunt immer wieder aufs Neue über die Detailkenntnis, Beschreibungsgenauigkeit, den Humor und die tief im Konkreten wurzelnde Sprachfantasie des Autors.
Vom „bei Berührung blütensternchenregnenden“ Holunder über die Lärche, „deren SamenstaubAusstreu wie Schwefelregen niedergeht“ oder eine baumbestandene Blockheide „mit feuchtelndem RiesenplotschenBewuchs“ bis zur Wand einer Fischerhütte mit ihren „LiebesEinritzungen und AnwesenheitsAufschriften“.
All das hat man schon selbst häufig gesehen, aber noch nie so betörend genaue Worte und Bilder dafür gefunden. Schieflachen könnte man sich über manche Formulierungen, wie die über den baumhöhlenbewohnenden Kauz, wobei „kauzbezüglich“, nämlich für die nächtliche Beobachtung des Vogels, „absolute Bewegungslosigkeit des Lauernden“ geboten ist. „Kauzbezüglich“ – ein herrliches Hell-Wort: „Schutz Schmutz Nichtsnutz Aufputz Trutz Liegestütz pardauz Kauz…“ beginnt der Kauz-Text mit einem reimreichen lexikalischen Spiel.
Ein richtiggehender Flow erfasst einen – um nur ein Beispiel zu nennen – beim Lesen von Texten wie „Schimmelsprung (Waldviertel/Itinerar)“, einer Kamptal-Wanderung, die sprachlich fröhlich dahineilt und -mäandert, gerade so wie es auch die Gedanken beim Gehen tun.
In ihrer Detailverliebt- und versessenheit entwickelt „Schimmelsprung“ Wanderkartenqualitäten, und es drängt sich einem die Frage auf, ob Hell seine ungezählten Wahrnehmungen – „Siamkatze balanciert äugend am Dachfirst gegenüber“ – stets sofort in seinem Notizbuch festhält und also hunderte Male unterwegs stehenbleiben muss (eher nicht, er käme ja aus dem Rhythmus!) oder ob er frohgemut ausschreitet und sich auf ein phänomenales Gedächtnis verlassen kann?
In jedem Fall könnte man selbst, mit seinem Kamptal-Text bewaffnet, sofort umstandslos zum Wanderstock greifen und bestens geführt aufbrechen.
Man verliert sich bereitwillig in Bodo Hells rhythmischen Erzählungen und Betrachtungen. Verirren allerdings wird man sich, von ihnen angeleitet, garantiert nicht. Im Gegenteil: Man sieht mehr, als man sonst wahrgenommen hätte. Dank des Adlerauges des Autors entgehen einem nicht die unscheinbarsten landschaftlichen Phänomene, über deren regional-, bau-, kunst- und alltagsgeschichtliche Hintergrund man darüber hinaus wertvolle Hinweise erhält.
Das Beste aber ist, wie Bodo Hell seiner elementaren Naturverbundenheit, die sich andernorts literarisch viel zu oft im Schwärmerisch-Biederen aufhält, Bodenhaftung gibt. Er tut das, ohne ihr für eine Sekunde Schönheit und Faszination auszutreiben. Nur Naturkitsch ist da weit und breit keiner auszumachen. Vielmehr verhält es sich so, wie es Klaus Nüchtern in einem Geburtstagsgruß zu Hells Siebziger ausgedrückt hat, dass nämlich „eine Kuh ihre alpenpanoramahafte Aura verliert, sobald sie in einem Text von Bodo Hell vorkommt“.
Gleiches gilt natürlich auch für Ziegen, Zaunammern und Zikaden, welche zu den Protagonistinnen einer weiteren Neuerscheinung gehören, die anlässlich des runden Geburtstags des Autors erschienen ist, dem Klangbuch „Natur Aufnahme“ mit CD nämlich, für das Hell mit dem Tonmeister Martin Leitner und dem Musiker Georg Vogel zusammengearbeitet hat – wie er ja ganz generell und seit jeher ein Freund der künstlerischen Kooperation ist.
Töne, Geräusche und Natur-Gesänge aus verschiedensten Weltecken stehen auf der CD im Mittelpunkt, dazwischen mischt sich Bodo Hell mit „enzyklopädischen Text-Einschüben und assoziativen Unterfütterungen“, was natürlich insgesamt als Konzept kaum mehr zu toppen ist.
Wie gesagt: Die reale Umwelt lacht einen allenthalben aus Hells Literatur an, ob’s – wie in „Begabte Bäume“ – um die „BalzTaubheit“ des Auerhahns, ums Holzknecht-Werkzeug Sappel, um die barttragende katholische Heilige Corona oder das richtige Aufschichten eines Holzstoßes geht.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: