

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit
Sebastian Fasthuber in FALTER 34/2009 vom 21.08.2009 (S. 28)
Trägheit, Gefräßigkeit, Wollust, Zorn, Hochmut, Neid, Habgier. Mit ein bisschen Anstrengung kriegt man die sieben Hauptlaster oder Todsünden noch richtig hin. Was diese Begriffe aber mit unserer Zeit zu tun haben sollen, erscheint zunächst rätselhaft. Sie sind der Gesellschaft mit dem sinkenden Einfluss der katholischen Kirche längst abhandengekommen.
"Lässliche Todsünden" nennt die ehemalige Journalistin Eva Menasse (Jg. 1970), die 2005 mit dem Roman "Vienna" erfolgreich literarisch debütierte, ihr neues Buch. Und ganz aus der Zeit scheint der Titel doch nicht zu fallen. Der wieder erwachte Wunsch nach Beständigkeit (zeitgerecht auf den Punkt gebracht nicht etwa von einem Dichter, sondern von der Deutschrockband Silbermond: "Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit / In einer Welt, in der nichts sicher scheint") lässt auch die Frage nach Mustern, mittels derer sich das Leben in Richtig und Falsch, Gut und Böse einteilen lässt, wieder zum Thema werden.
Solcherart gewappnet, betritt man Menasses sieben Erzählungen, die jeweils eine Sünde als Titel tragen. Die "Trägheit" stellt ein Mann in den besten Jahren dar. Er geht in seinen Beziehungen stets den einfachsten Weg. Mit dem Ex seiner Frau arrangiert er sich trefflich, auch die spätere Trennung von ihr steckt er weg. An seinem gemütlichen Opportunismus kann er nichts Falsches entdecken: "Wenn er manche Dinge so nahm, wie sie kamen, dann deswegen, weil er im Widerstand keinen Sinn sah."
Obwohl gut geschrieben und amüsant erzählt, sorgt der Eingangstext für Unbehagen. Der Held ist eine etwas blutleere Konstruktion, die exemplarisch die Sünde der Trägheit illustriert, wie sie sich heute manifestiert. Wenn das so weitergeht, wird einem im schlimmsten Fall unter "Gefräßigkeit" eine Figur mit einer Essstörung und unter "Habgier" ein Manager entgegentreten, der nicht auf seine Bonuszahlungen verzichten will.
Mit der zweiten Erzählung kratzt das Buch jedoch langsam die Kurve und befreit sich aus dem Sündenkorsett. Die "Gefräßigkeit" ist ein junges Mädchen, das eine Beziehung mit seiner Lehrerin unterhält. Was freundschaftlich begann, wird im Urlaub in Italien schnell sauer. Die Frau hat nach einer Beziehung mit einem verheirateten Mann gerade eine Abtreibung hinter sich und könnte Trost gebrauchen. Das Mädchen sieht das nicht. Am Ende entzündet sich über der Kleinigkeit, dass die Jüngere mit den Essensvorräten verschwenderisch umgeht, der zum Bruch führende Streit. Jahre später lässt das Mädchen, inzwischen selbst Mutter, die Ereignisse Revue passieren.
"Lässliche Todsünden" begeht man unbewusst oder unfreiwillig. So verhält es sich auch mit dem "Zorn" der Mutter und Ehefrau, die versucht, immer alles unter Kontrolle zu haben, oder mit dem "Hochmut" des Exrevoluzzers aus adeligem Haus, der ein nach außen erfolgreiches Leben voller verpasster Chancen führt. Die "Habgier" ist eine freie Filmemacherin, die es verabsäumt hat, für einen pikanten Rechercheauftrag im Vorhinein ein Honorar zu vereinbaren, die "Wollust" ein Paar, das Sex durch überfürsorgliche Pflege ersetzt hat.
Eva Menasse versteht sich auf das Schildern von Lebensläufen und Lebenslügen, und sie verfügt dabei über ein feines Sensorium für die kleinen Brüche in Biografien, die man oft erst dann entdeckt, wenn sie schon etwas zerrissen haben. Die überschaubare Form der Erzählung von 20 bis 50 Seiten liegt ihr, auch wenn durch die übergeordnete Thematik manches unnötig mit Bedeutung überfrachtet wirkt.
Am Ende wünscht man sich vor allem, Menasse würde ihre routinierte Schreibe ab und zu über Bord werfen und sich selbst mehr von der Leine lassen: "Lässliche Todsünden" hält über 250 Seiten lang mit leichten Schwankungen ein und denselben Ton. Das mag man Stil nennen, doch schwächt es die Geschichten, wenn alles im selben Gewand daherkommt. Von der unterhaltsamen Lektüre hallt nur wenig nach. Sünde, was war das nochmal?