

Ein Hammer für Nerven mit Köpfen
Klaus Nüchtern in FALTER 8/2022 vom 25.02.2022 (S. 35)
Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung" über einen charismatischen Rechtspopulisten macht es sich zu einfach
Als "Dichter beschnittener Zuge", als "Desinfektionsspender gegen alles Böse", der gerne um Kommentare und Interviews gebeten wird, "wenn es um Juden, Nazis oder am besten um beide auf einmal ging", wird Avi Weiss vorgestellt. Weiss ist eine nicht ganz unbedeutende Nebenfigur, mit der sich der Wiener Autor und Historiker Doron Rabinovici einen selbstironischen Cameo-Auftritt in seinem mittlerweile fünften Roman gestattet. Auch andere Personen und Konstellationen aus "Die Einstellung" lassen einen Abgleich mit der außerliterarischen Wirklichkeit zu.
So kann man etwa in dem Protagonisten August Becker Züge des Falter-Fotografen Heribert Corn entdecken. Die für das liberale Wochenmagazin Forum arbeitende Journalistin Selma Kaltak wiederum äußert sich über die Wählerschaft des charismatischen Rechtspopulisten Ulli Popp in ähnlich verächtlicher Weise, wie das Profil-Journalistin Christa Zöchling 2015 getan hat, als sie Strache-Fans am Viktor-Adler-Markt als "die hässlichsten Menschen Wiens" apostrophierte.
Popp selbst, dem Pressefotograf Becker und Journalistin Kaltak auf seiner Wahlkampftour durch Provinzstädte mit Namen wie Aschen, Grant, Sulzen und Oberfeist folgen, um ihn mit den jeweils zu Gebote stehenden Mitteln "zur Kenntlichkeit zu entstellen", ist am ehesten ein in die jüngere Vergangenheit gebeamter Jörg Haider, der Herbert-Kickl-Zitate von sich gibt und Parallelen zu Donald Trump aufweist.
Am Abend an der Theke, allein mit seinen präsumtiven Entlarvern, erweist er sich freilich als charmanter, geistreicher und sogar selbstkritischer Gesprächspartner, der sich als großer Fan von August Becker outet und diesem eine obszön hohe Summe für ein - nicht gestelltes! - Foto bietet, das er von ihm, Popp, machen möge.
Damit ist auch das Thema des Romans umrissen. Dieser dreht sich nicht zuletzt um die in den 1990ern heftig debattierte Frage, ob die Medien durch ihre ikonische Inszenierung Jörg Haiders -der Falter hatte in gut monotheistischer Manier sogar ein "Bilderverbot" verhängt -dem dämonischen Demagogen nicht in die Hände spielen würde statt diesen, wie vielfach behauptet, kritisch zu demontieren.
Ist es vorstellbar, dass ein Foto als stets nur ausschnitthafte Momentaufnahme eine "höhere" Wahrheit enthüllt? Und wo verläuft die Grenze zwischen Entlarvung und der rein agitatorischen Instrumentalisierung eines "Meuchelfotos"?
August Becker selbst ist sich da durchaus sicher und vom eigenen Tun mitunter nachgerade angeekelt. Für Ambivalenzen, auf die der gewollt doppeldeutige Titel anspielt -"ohne Standpunkt keine Perspektive" heißt es an einer Stelle -, eröffnet "Die Einstellung" aber nur wenig Raum; diese bleiben eher behauptet, als dass sie vorgeführt oder gar auserzählt würden.
In dem gut überschaubaren Geflecht aus politischer Demagogie, journalistischer Ambition und allgemeinem Opportunismus sind die fiesen Figuren aufgrund ihrer "Visage", ihres "Glatzenschädels" oder ihrer abstoßenden Gesamtphysis -"breitbeinig [ ], den Bauch nach vorne gereckt, das Gesicht rot und verschwitzt, das wolfsgraue Haar schulterlang" - meist schon aus weiter Entfernung gut erkennbar.
Für einen Polit-Thriller ist der teils schlicht unplausible Plot mit seinem forcierten Diabolus-ex-machina-Twist nicht raffiniert genug, und auch für eine Milieustudie ist "Die Einstellung" zu plakativ geraten. Als sich Selma in der Redaktionskonferenz anheischig macht, über Popp, den "Mann, der das ganze Land in Atem" hält, einen langen Artikel zu schreiben, geht "ein Raunen durch den Raum".
Ein junger Kollege wendet ein, dass es nichts bringe, Popp zu verteufeln, aber: "Bruno, der Chefredakteur, hatte eingewilligt. Er vertraue auf Selmas Gespür. Es brauche jedoch herausragende Fotos von dem Mann. Und bitte keine Polemik, ein sorgfältiges Porträt solle es werden." Ja, genauso läuft das ab in den Redaktionen des Landes.
Als sich Popp beim Anschlagen eines Bierfasses etwas ungraziös gebärdet, gelingt Becker buchstäblich ein Hammerfoto, angesichts dessen der Fotoredakteur des Forum ganz aus dem Häuschen gerät: "Ein Mörderfoto. Ein Fangschuss. Popp und der Hammer. Ein Hammer von einem Politiker. Ein Haudrauf. Genial!" Konträr zu Beckers Intentionen weiß Popp aber auch diesen Schnappschuss noch propagandistisch für seine Zwecke auszuschlachten.
Das ruft nun wieder Journalistin Marion Ettl auf den Plan, die sich ein Gspusi mit Becker angefangen hat und in ihrer quer zum Grundtenor der Leserinnenmeinung liegenden Kolumne "Ettliches" für das Boulevardblatt TO-TAL unter dem Titel "Einen Hammer haben" hammerhart mit Popp ins Gericht geht: "Anfangs habe es so ausgesehen, als mache da einer Nägel mit Köpfen und traue sich, den wahren Nerv zu treffen, aber in Wirklichkeit schlage dieser Politiker nur wild um sich. Dieses Plakat und die Parolen darauf schlügen nun dem Fass endgültig den Boden aus."
Auch wenn der Autor seiner Figur diesen Katachresenkatarakt aus satirischem Schalk diktiert haben mag, fällt das Verdikt "Schlecht gesehen, schlecht gesagt" auch auf den Roman selbst zurück. Dieser macht es sich zu einfach; so einfach, dass er den Aberdutzenden Leitartikeln, Kommentaren und Analysen, die man zum Thema Rechtspopulismus bereits gelesen hat, weder an Erkenntnis noch an ästhetischem Vergnügen Wesentliches hinzuzufügen hat.